1. Elon Musk muss um Twitters Werbekunden kämpfen – auch weil sie seine Übernahme des Konzerns mitfinanzieren müssen
Immer wenn es Neuigkeiten über Elon Musk gibt, muss ich an Karl Lagerfeld denken. Das liegt an Lagerfelds tollem Spruch: »I’m very much down to earth. Just not this earth.« Der Spruch scheint mir zu Musk nicht bloß deshalb zu passen, weil er sich als Raumfahrtunternehmer betätigt. Sondern auch, weil er sich öfters wie ein Außerirdischer benimmt, der auch in Geschäftsdingen so agiert, als sei er nicht oder nicht ganz von dieser Welt.
Heute berichtet mein Kollege Alexander Demling , dass einige große Konzerne ihre Werbeetats für den von Musk nach allerlei Hickhack für 44 Milliarden Dollar übernommenen Kommunikationsdienst Twitter infrage stellen.
Musk hat angekündigt, er wolle »den Vogel befreien« und jede Äußerung zulassen, die nicht gegen Gesetze verstößt. Prompt werden seit Musks Übernahme bei Twitter offenbar vermehrt rassistische oder homophobe Begriffe und Botschaften ausgetauscht. General Motors, der größte US-Autohersteller, hat seine Werbung auf Musks Plattform, die derzeit noch von angeblich 240 Millionen Menschen täglich genutzt wird, bereits ausgesetzt. Der Werbekonzern IPG, der unter anderem die Werbeetats von Spotify, Mattel oder Coca-Cola platziert, empfiehlt seinen Kunden, Werbung auf Twitter fürs Erste bleibenzulassen.
Der Neueigentümer Musk hat das Board aufgelöst, das Twitter bislang kontrollierte. Er hat angekündigt, den Account des seit 2021 auf Twitter ausgesperrten ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wieder freischalten zu wollen. Im Zusammenhang mit dem Attentat auf Paul Pelosi, den Gatten der demokratischen Politikerin Nancy Pelosi, hat er zuletzt selbst geholfen, eine groteske Verschwörungserzählung zu verbreiten. Politisch gelte er als »stramm rechts«, schreibt mein Kollege Alexander.
Auch weil das in San Francisco angesiedelte Unternehmen seine eigene Übernahme mit 13 Milliarden Dollar neuen Schulden mitfinanzieren muss, ist es auf Werbekunden dringend angewiesen. Mit einem neu eingesetzten Führungsteam und mehr als 50 Softwareentwicklern aus seinen anderen Firmen, vor allem Tesla, die nun in der Twitter-Zentrale eingesetzt werden, will Musk offenbar die Mitarbeiterschaft reduzieren – und dafür sorgen, dass Twitters Nutzer die Plattform künftig stärker selbst finanzieren. Rund die Hälfte des Umsatzes soll aus Abo-Gebühren kommen, die Twitter für die Verifizierung von Nutzerkonten verlangen will. Erst kündigte die neue Führungsriege an, 20 Dollar pro Monat zu verlangen, gestern schlug Musk dann ein Abo für acht Dollar vor.
»Wir sehen jetzt live, wie Elon Musk seine Firmen managt«, sagt Alexander. »Chaotisch, viel Trial and Error und mit extremem Druck auf die Mitarbeiter.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Ein Vogel dreht frei
2. Die heutigen Proteste von Klimaaktivisten richteten sich gegen Parteizentralen – und sind als politische Aktionen ziemlich plausibel
Heute haben sie mal wieder geklebt. Aktivisten der Klimaprotestgruppe »Letzte Generation« nahmen sich in Berlin die Zentralen der Ampelparteien SPD, FDP und Grüne vor. (Hier mehr dazu.)
So klebten sich drei Menschen an die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin-Mitte und klatschten Farbe auf die Fassade und ein Auto. Am Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Kreuzberg, entleerten zwei Frauen einen Feuerlöscher und beschmierten die Fassade. In einem Gebäude, das die FDP nutzt, klebten sich zwei Personen am Hauseingang fest.
Die Leute der »Letzten Generation« teilten zu den Aktionen ihre Überlegungen zur Farbwahl mit: »Orange Farbe wird durch Warnwesten und Banner viel mit der ›Letzten Generation‹ in Verbindung gebracht, aber auch mit orangen Gefängnisoveralls«, hieß es. »Die Todesspirale aus Klimakipppunkten beginnt sich bereits zu drehen und keine der Parteien hat einen Plan, das noch in den Griff zu bekommen«, verkündete die Protestgruppe.
Das ist, was die Wahl der Metaphern angeht, etwas waghalsig und kippelig formuliert, allerdings durchaus einleuchtend. Mir sind die Aktionen der meist jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten grundsätzlich verständlich. Die Kritik, dass das Anliegen der Protestler ja schon sehr viel Aufmerksamkeit habe, geht meiner Meinung nach in die Irre: Es ist den Protestierenden weniger an Aufmerksamkeit gelegen als an der Aufforderung zum schnellstmöglichen Handeln. Da sind Parteizentralen sicher eine bessere Klebe-Adresse als die Rahmen von in Museen aufgehängten Gemälden.
Meine Kulturressort-Kollegin Ulrike Knöfel ist Kunstkritikerin, hält sich viel in Museen auf und hat sich mit den Protesten der Klimaaktivisten schon mehrmals beschäftigt. Sie bezeichnet die jüngsten Aktionen als »Streetart reloaded« und sagt: »Immerhin sind Farbwerfer auf Parteizentralen harmloser als Straßenblockaden, die Krankenwageneinsätze behindern, oder als die Aktivistenhappenings in Museen, bei denen Risiken und Nebenwirkungen für jahrhundertealte Kunst eben doch nicht ausgeschlossen sind.«
Meine Kollegin Sophie Garbe hat einen Kommentar zu den Klimaprotesten – und sie beschäftigt sich klug und ausgeruht mit den Reaktionen auf die Proteste. »Die Debatte ist von einer Aggressivität und Enthemmung geprägt, die kaum noch im Verhältnis zum tatsächlichen Geschehen steht«, stellt sie fest. Die Protestierenden würden von Menschen, die ihre Aktionen ablehnen, als Terroristen und Extremisten bezeichnet. »In Bezug auf die Klimaaktivistinnen und -aktivisten scheint keine Beschreibung zu krass und keine Bestrafungsfantasie zu haarsträubend zu sein.« Die überkochende Wut auf die Aktivisten offenbare etwas Tieferliegendes. Die Protestaktionen seien ein willkommener und konsensfähiger Anlass geworden, sich in der eigenen Abwehrhaltung bestätigt zu fühlen: Juhu, diese »Chaoten« und ihre Forderungen muss niemand mehr ernst nehmen. »Offenbar ärgern sich viele Leute einfach lieber über die Grenzübertretungen der Klimaschützer als darüber, dass die Regierung ihr eigenes Klimagesetz bricht«, schreibt Sophie. »Diese kollektive Vermeidungstaktik wird langfristig wohl weitreichendere Konsequenzen haben als die aktuellen Proteste.«
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Und hier ihr ganzer Kommentar: Der Zorn gibt ihnen recht
3. Der Deutsche Fußball-Bund muss wohl viele Millionen Euro Steuern nachzahlen – und könnte den Status der Gemeinnützigkeit verlieren
Sehr viele Menschen in Deutschland lieben den Fußballsport, ich auch; aber kaum jemand mag Fußballfunktionäre. Das ist im Einzelfall höchstwahrscheinlich oft eine Ungerechtigkeit. Es ändert aber nichts an der Schadenfreude, mit der viele Menschen heute die Nachricht zur Kenntnis nehmen dürften, dass der Deutsche Fußball-Bund, kurz DFB, wohl eine Steuernachzahlung in Millionenhöhe leisten muss. Nach Informationen des SPIEGEL droht dem Verband der Verlust der Gemeinnützigkeit.
Meine Kollegin Nicola Naber und mein Kollege Rafael Buschmann berichten , dass den Anwälten des DFB ein Brief zugeschickt wurde, demzufolge Ermittler »umfangreiche Tatsachenfeststellungen zur besonders schweren Steuerhinterziehung« gefunden hätten. Demnach habe der DFB in den Jahren 2014 und 2015 rund 3,4 Millionen Euro an Körperschafts- und Gewerbesteuer hinterzogen. Die Staatsanwaltschaft beschäftigten dabei unter anderem fragwürdige Einnahmen des DFB aus der Vermarktung von Bandenwerbung bei Heimspielen der Nationalmannschaft. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit würde den DFB nach Schätzungen des Finanzamts für die Jahre 2014 und 2015 rund 26 Millionen Euro kosten.
Der DFB hatte Zeit, sich bis zum 30. September zu den Vorwürfen der Ermittler zu äußern. Für den heutigen Nachmittag war ein Pressegespräch zum Thema angekündigt. Auch für spätere Jahre drohen dem DFB offenbar Steuernachzahlungen. Dem Brief an die DFB-Anwälte zufolge ist bereits »gegen Verantwortliche des DFB e. V. wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung zugunsten des DFB e. V. ein weiteres Steuerstrafverfahren für die Beitragszeiträume 2015–2020 eröffnet« worden. So ungünstig für die Verbandsfinanzen die Steuerangelegenheit auch ist: Um die Existenz des DFB muss man sich angesichts der Popularität und der Umsätze des Fußballsports eher keine Sorgen machen.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Ein Satz, der Millionen kosten könnte
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Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Welche Waffen gegen die Kamikazedrohnen helfen: Kleine Billigflieger mit Sprengsätzen: Gegen solche Miniattacken hat die Bundeswehr bisher kaum Mittel. Dabei gibt es verblüffend einfache Lösungen .
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Russische Militärs haben offenbar über Atomwaffeneinsatz gesprochen: Hochrangige russische Armeeangehörige sind laut »New York Times« so frustriert über die Misserfolge in der Ukraine, dass sie über nukleare Optionen diskutiert haben. Die US-Regierung zeigt sich demnach »beunruhigt«.
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Russland steigt wieder in Getreideabkommen ein: Die russische Regierung hat am Wochenende das Getreideabkommen mit der Ukraine ausgesetzt. Doch jetzt soll Kiew schriftliche Garantien gegeben haben – und Moskau beendet die Blockade der Häfen wieder.
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Kiew baut 1000 Heizstationen, Schweden offen für Stationierung von Atomwaffen: Die ukrainische Hauptstadt bereitet sich auf weitere Attacken gegen die Infrastruktur vor. Präsident Selenskyj fordert besseren Schutz für Getreidefrachter. Und: Schwedens Botschaft an die Nato.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Bund und Länder beschließen 49-Euro-Ticket: Nach SPIEGEL-Informationen steht die Finanzierung. Der Fahrschein wird bundesweit im Nahverkehr gelten – und hat jetzt auch einen offiziellen Namen.
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Lauterbach hält Kitaschließungen rückblickend für falsch: Dass Kitas in der Pandemie geschlossen haben, war laut Gesundheitsminister Lauterbach »nach heutigem Wissen nicht nötig« – und soll sich nicht wiederholen. Entwarnung will er angesichts der »Winterwelle« aber nicht geben.
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So hoch ist die Entlastung für die Verbraucher: An diesem Mittwoch wollen Kanzler und Länder festzurren, wie die Strom- und Gaspreisbremse aussehen soll. Vergleichsportale haben schon berechnet, was das bringen würde – für Singles, Paare, Familien.
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Interessenten kämpfen mit Klagewelle um Medizin-Studienplätze: Das Vergabechaos um Medizinstudienplätze an der Frankfurter Goethe-Uni zieht Dutzende Eilverfahren nach sich: 50 Klagen liegen dem Verwaltungsgericht vor.
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Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Bei diesen Firmen landen nur die Besten: Tolle Noten an der Uni? Da schlagen vor allem Pharmafirmen zu. Eine neue Studie zeigt, welche Unternehmen die besten Talente für sich gewinnen. Und auch, wer dabei am erfolglosesten ist .
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»Der Einzelne wird zum Passagier der Masse« Lassen sich Unglücke wie das Massengedränge von Seoul vermeiden? In vielen Fällen ja, sagt der Fußgängerforscher Andreas Schadschneider – und erklärt, warum die Menschen in Südkoreas Hauptstadt trotzdem keine Chance hatten .
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»Unser Sexleben wurde zu einer ziemlich verkrampften Angelegenheit« Wer ungeschützten Sex hat, ist schon schwanger – so lautete die Gleichung in meinem Kopf. Bis ich zunehmend verzweifelt versuchte, mit Anfang 30 ein Kind zu bekommen .
Was heute weniger wichtig ist: Milder Trennungsschmerz
Fallen gelassen: Der US-amerikanische Footballstar Tom Brady, 45, hat sich im Radio über seine Trennung von Gisele Bündchen, 42, geäußert. Es sei nicht einfach, eine Scheidung nach 13 Jahren Ehe vor den Augen eines großen Publikums durchleben zu müssen. Es herrsche aber eine »sehr freundschaftliche Situation« zwischen ihm und ihr.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Vor Beginn der eigentlichen Bund-Länder-Runde zeigte sich Stephan Weil (SPD), niedersächsischer Ministerpräsident und MPK-Vorsitzender, bereits irritiert über das Gebahren.
Cartoon des Tages: Aufrüttelnd
Illustration: Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Könnten Sie sich an den extrem unterhaltsamen Songtexten des Sängers Bernd Begemann erfreuen. Der ist ein toller Livekünstler, hinreißender Liedschreiber und in der sonst ziemlich humorlosen Stadt Hamburg ein Star. Im Rest des Landes eher nicht, obwohl ihn der SPIEGEL schon öfter gelobt hat.
Gestern Abend war ich in Hamburg bei einem Konzert, das Begemann anlässlich seines 60. Geburtstag veranstaltet hat. Es war ein großer Spaß. In einer grundsätzlich tollen Reihe des Ventil Verlags ist gerade ein Buch mit 100 Songtexten von Begemann erschienen. Es trägt den schönen Titel: »Gib mir eine zwölfte Chance« .
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel
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