Wird Putins Krieg noch schmutziger?
Die russische Seite hatte zuletzt bemerkenswerten Redebedarf. Schon am Sonntag telefonierte Verteidigungsminister Sergej Schoigu einige Nato-Kollegen ab, am Montag rief dann auch Generalstabschef Waleri Gerassimow in London und Washington an. Das Thema war stets das gleiche: die Warnung vor der »schmutzigen Bombe«.
Putin, Minister Schoigu (im Dezember 2021)
Foto: Mikhail Metzel / dpa
Die Anrufer wollten aber nicht etwa mit dem Einsatz eben dieser Bombe drohen. Nein, sie zeigten sich angeblich besorgt: Die Ukraine könnte sie auf eigenem Gebiet zünden, um dieses Kriegsverbrechen dann Russland anzulasten.
Nun wird man im Kreml nicht so naiv sein anzunehmen, dass die westlichen Unterstützer der Ukraine den absurden Warnungen Glauben schenken. Darum geht es auch nicht. Die Telefonkampagne aus Moskau muss uns aus anderem Grund alarmieren: Der Verdacht liegt nahe, dass Wladimir Putin mit seiner Fake-Erzählung die nächste Eskalation seines Krieges vorbereitet.
Putin hat mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Man muss leider davon ausgehen, dass er nicht davor zurückschreckt, eine mit radioaktivem Material versetzte Bombe detonieren zu lassen. Und dass er nicht davor zurückschreckt, anschließend die Ukraine dafür verantwortlich zu machen. Ganz im Sinne des zuvor inszenierten Verwirrspiels würde der Kriegstreiber anschließend erklären: Wir haben Euch ja gewarnt! Und womöglich würden die verbliebenen Staaten an seiner Seite, darunter China, zumindest auf einer Prüfung dieses Vorwurfs beharren.
Derzeit, so heißt es aus der US-Regierung, gebe es keine Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz von Atomwaffen oder einer »schmutzigen Bombe« vorbereite. Hoffen wir, dass die Amerikaner richtig liegen.
Der 750-Milliarden-Plan
750 Milliarden Dollar – auf diese Summe beziffert die ukrainische Regierung die Kosten für den Wiederaufbau ihres Landes. Es gibt auch Schätzungen, die deutlich darunter liegen, die genaue Zahl aber spielt im Moment auch keine Rolle. Fakt ist: Die Zerstörungen durch die russischen Angriffe sind enorm, Wohnhäuser, Straßen, Fabriken sind zerbombt, Schienen, Flughäfen und Versorgungsleitungen beschädigt. Und ein Ende des Krieges ist auch nach acht Monaten nicht in Sicht.
Zerstörter Landwirtschaftsbetrieb in der Ukraine
Foto: Carl Court / Getty Images
Genau das ist das Problem. Der Wiederaufbau kann eigentlich erst richtig beginnen, wenn die Waffen schweigen. Und doch ist es richtig, wenn heute in Berlin internationale Experten zusammenkommen, um schon jetzt darüber zu reden. Eingeladen haben Olaf Scholz als G-7-Vorsitzender und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, für die Ukraine ist Ministerpräsident Denys Schmyhal dabei, Präsident Wolodymyr Selenskyj wird zugeschaltet.
Das Treffen soll, so betonen die Organisatoren, keine Geberkonferenz sein, es wird also nicht darum gehen, möglichst viel Geld einzusammeln. Stattdessen will man vor allem darüber sprechen, wie die Hilfe am besten in der Ukraine ankommt, wenn endlich Frieden herrscht.
Denn machen wir uns nichts vor: Wenn die Milliarden fließen, dann werden in der Ukraine nicht nur jene bereitstehen, die es gut meinen mit ihrem Land. Korruption war vor dem russischen Überfall ein großes Übel in der Ukraine. Und dieses Übel wird mit dem Krieg nicht einfach verschwinden.
»Wenn wir die Ukraine wiederaufbauen, dann tun wir das mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf«, sagt der Kanzler. Die Perspektive soll Anreiz und Mahnung für die ukrainische Regierung sein: Die internationale Wiederaufbauhilfe funktioniert nur, wenn Ihr den Kampf gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit aufnehmt. Am Ende winkt der Beitritt zur EU.
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Reicher Premierminister
Bleiben wir beim Geld. Der neue Premierminister Großbritanniens hat nämlich auch ziemlich viel davon. Auf fast 850 Millionen Euro wird das Privatvermögen Rishi Sunaks geschätzt. Sunak hat einst viel Geld als Investmentbanker und Hedgefonds-Manager verdient. Seine Frau Akshata Murty ist die Tochter von Nagavara Murthy, eines der vermögendsten Männer Indiens, sie hält Anteile an dessen IT-Unternehmen.
Rishi Sunak
Foto: ANDY RAIN / EPA
Ist es ein Problem, wenn ein Regierungschef so reich ist? Eigentlich nicht. Es gibt zunächst einmal keinen Grund anzunehmen, dass ein wohlhabender Mensch kein guter Politiker sein kann. Aber Sunak weiß natürlich, dass sein Reichtum Angriffsfläche bietet.
Als Finanzminister musste er sich in britischen Medien noch im Frühjahr den Bau eines angeblich 450.000 Euro teuren Freizeitkomplexes mit Indoor-Schwimmbad, Yoga-Studio, Tennisplatz und Fitnessraum auf seinem Landsitz in der englischen Grafschaft North Yorkshire vorhalten lassen. Allein die Heizkosten für den Pool sollen sich auf knapp 15.000 Euro pro Jahr belaufen.
In Zeiten, in denen die Menschen unter galoppierender Inflation und explodierenden Energiekosten leiden, können solche Berichte schnell zum Problem werden. Der Pool zeige, dass Sunak jeden Bezug zum Leben normaler Bürger verloren habe, zitierte der »Guardian« die Labour-Abgeordnete Rachael Maskell. Für die meisten Menschen lebe Sunak auf einem anderen Planeten.
Die Arbeiter, Rentner, Alleinerziehenden und Familien vom Gegenteil zu überzeugen, dürfte zu den wichtigsten Aufgaben des konservativen Politikers gehören. Heute tritt Sunak sein Amt als Premierminister offiziell an. Dazu wird er am Mittag im Buckingham Palast von König Charles III. empfangen. Dessen Privatvermögen soll übrigens nicht ganz an das seines Gastes heranreichen.
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Die Startfrage heute: Welches Land war 2021 das bevölkerungsreichste der Welt?
Das Jugendwort des Jahres 2022 …
… heißt »smash«. Zumindest hat der Langenscheidt-Verlag dieses dazu gekürt, per Abstimmung unter Zehn- bis 20-Jährigen. Von den Teilnehmern in dieser Altersgruppe votierten demnach 43 Prozent für das Wort. Ob der Sieg gerechtfertigt ist oder nicht? Ich weiß es nicht, und meine Kinder sind noch zu jung, um mir da weiterhelfen zu können.
Jugendliche mit Mobiltelefon
Foto: Justin Lambert/ Getty Images
»Smash« ist natürlich eigentlich englisch, heißt so viel wie: zertrümmern, zerschlagen. Für die Jugendlichen, so erklärt es mir Langenscheidt, hat es eher eine zwischenmenschliche Bedeutung: jemanden abschleppen, mit jemandem etwas anfangen – oder gleich: mit jemandem Sex haben.
Nun denn. Die beiden anderen Kandidaten, die zuletzt in der engeren Auswahl waren, klingen dagegen fast altbacken: »Macher« (mit 24 Prozent auf Platz drei) und »bodenlos« (33 Prozent, Platz zwei).
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