Trotz großer inhaltlicher Vorbehalte will sich die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion dem Machtwort des Bundeskanzlers in der Frage des AKW-Weiterbetriebs beugen. »Wir werden in der Fraktion dafür werben, dem Vorschlag zu folgen«, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann am Dienstag vor einer Sitzung ihrer Fraktion. Die Grünenabgeordneten sollten »diesem Vorschlag des Bundeskanzlers folgen, auch wenn wir wissen, dass in der Sache das AKW Emsland fachlich nicht notwendig ist«.
In ihrer Fraktion werde es »kritische Stimmen« zu dieser Haltung geben, sagte Haßelmann voraus. Sie betonte, mit der Entscheidung des Bundeskanzlers sei »jetzt sichergestellt, dass der Atomausstieg längstens bis zum 15.4. komplett zu Ende ist«. Der Atomausstieg sei »unumkehrbar«. Die Entscheidung des Kanzlers bedeute: »Es werden keine neuen Brennelemente angeschafft.«
Haßelmann sagte, es habe vor der Entscheidung des Kanzlers »keine Verhandlungen« mit den Grünen gegeben. »Olaf Scholz hat als Bundeskanzler im Rahmen der Richtlinienkompetenz diese Entscheidung getroffen«, sagte sie. Zum Rückgriff des Kanzlers auf diese Kompetenz sagte sie: »Davon macht man sicherlich nicht oft Gebrauch.«
Positiv hob Haßelmann hervor, dass die Koalition mit dem Machtwort des Kanzlers die Atomkontroverse abschließen und sich anderen Themen zuwenden könne. Koalitionsintern sei die Lage verfahren gewesen – Haßelmann sprach von einem »Streit, der unauflöslich schien«. Sie hoffe, dass sich die Lage in der Koalition bei künftigen Streitpunkten »nicht erneut so verhakt und öffentlich so zuspitzt«.
Trittin kritisch
Die Grünen hatten am Wochenende auf einem Parteitag beschlossen, nötigenfalls einen sogenannten Streckbetrieb für die Meiler Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April 2023 mitzutragen. Die FDP hatte gefordert, auch das dritte Atomkraftwerk Emsland am Netz zu halten und alle drei Meiler bis ins Jahr 2024 hinein laufen zu lassen. Gegebenenfalls sollten bereits stillgelegte AKW reaktiviert werden.
Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin von den Grünen sagte dem »Redaktionsnetzwerk Deutschland« mit Blick auf das vom Bundespresseamt veröffentlichte Scholz-Schreiben an die zuständigen Minister: »Mag sein, dass der Brief von der Geschäftsordnung der Bundesregierung gedeckt ist, vom Grundgesetz ist er es nicht.« Danach führten die Minister ihre Ressorts in eigener Verantwortung. »Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz.«