Der Grünen-Bundesparteitag ist mit einer Zitterpartie zu Ende gegangen. Nur mit knapper Mehrheit lehnten die Delegierten einen Vorstoß gegen die Vereinbarung zum Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen 2030 ab. Insgesamt 315 Delegierte stimmten gegen einen entsprechenden Antrag der Grünen Jugend, 294 Delegierte stimmten am Sonntag in Bonn dafür.
Die jüngste politische Übereinkunft der grün geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Land mit dem Energiekonzern RWE sieht unter anderem vor, zwei Braunkohlekraftwerke bis 2024 laufen zu lassen, aber den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vorzuziehen. Die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Ministerin Mona Neubaur mitgetragene Ausstiegsvereinbarung sieht außerdem vor, dass die Siedlung Lützerath in Nordrhein-Westfalen, die ein Symbol für die Klimaschutzbewegung ist, abgerissen wird, um dort Kohle zu fördern.
Der abgelehnte Antrag der Grünen Jugend sah ein vorläufiges Moratorium für die weiteren Räumungen vor. Im Ort Lützerath leben Kohleausstiegsaktivisten. Zudem soll der Ausstiegsfahrplan für die Kohlekraftwerksblöcke im Rheinischen Revier noch einmal auf den damit verbundenen Ausstoß an Treibhausgasen und die Klimaziele überprüft werden.
NRW-Umweltminister Oliver Krischer hatte für die Vereinbarung geworben: »Das verändert das Rheinland, das macht einen Fortschritt.« Er wies darauf hin, dass der Kompromiss den Bestand weiterer Dörfer sichere. Der Co-Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, hatte gewarnt, wenn die Kohle unter Lützerath verfeuert werde, verfehle Deutschland seine Klimaziele.
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur verteidigte die politische Verständigung mit dem Energiekonzern RWE. Sie warb dafür, sich dafür einzusetzen, »dass das, was in Nordrhein-Westfalen gelungen ist, dass wir das auch für Sachsen und Brandenburg erreichen können«. Auch dort gibt es Kohleabbaugebiete. Bundesumweltministerin Steffi Lemke räumte schmerzhafte Kompromisse in der Klimapolitik ein. Dafür sei Lützerath ein Symbol. Doch mit dem Plan blieben 280 Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde.
Luisa Neubauer von Fridays for Future zweifelte die Zahlen an, die der Entscheidung zugrunde liegen. Die Grünen gingen in ihrer Kompromissbereitschaft zu weit. »Da wird dann erklärt, dass man sich nicht im Kleinen verkämpfen soll, da sättigt man die Demokratie lieber noch mit einer Runde Öl von Verbrechern, damit die Gesellschaft nicht die Laune verliert für den Klimaschutz.«.
»Wir sind nicht die Jammer-Partei«
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir verteidigte die Kohle-Einigung und forderte die Partei zum Stolz auf eigene Erfolge auf. »Ich habe einen Wunsch an uns alle: Überlasst nur bitte das Jammern den anderen, die können das besser. Wir sind nicht die Jammer-Partei.«
Auf ihrem ersten Präsenzparteitag seit drei Jahren klopften die Delegierten auch Positionen bei anderen zentralen Themen fest:
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Endgültiges Aus für die Atomkraft: Die Grünen billigen einem möglichen Reservebetrieb der zwei noch laufenden Akw in Süddeutschland – legen aber den 15. April als endgültiges Datum für den Atomausstieg fest. Die Partei werde zudem im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zur Beschaffung neuer Brennelemente zustimmen. »Sie sind für eine Einsatzreserve nicht erforderlich«, steht in dem Parteitagsbeschluss. Damit beziehen die Grünen im Streit mit der FDP, die längere Laufzeiten will, klar Position.
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Bewältigung von Inflation und Energiekrise: Die Grünen wollen jene in den Blick nehmen, die von der Krise am härtesten getroffen werden. Das Bürgergeld soll weiter erhöht werden, eine Kindergrundsicherung die Kinderarmut beenden. Zudem müsse Wohnen für alle bezahlbar sein – dafür soll der Schutz und das Recht von Mieterinnen und Mietern an verschiedenen Stellen gestärkt werden. Zur Entlastung von den hohen Gaspreisen verlangt die Partei ein Mengen-Grundkontingent pro Haushalt und eine rückwirkende Kompensation der steigenden Preise schon vor dem 1. März. Zur Finanzierung von Entlastungen erwägen die Grünen eine neuerliche Aussetzung der Schuldenbremse.
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Waffenlieferungen: Die Ukraine soll weiter und verstärkt mit Waffen unterstützt werden, egal ob aus der Bundeswehr oder der Industrie. In ihrem Beschluss zur Außenpolitik betonen die Grünen außerdem ihr Nein zu Waffenlieferungen an Saudi-Arabien – fordern aber nicht den Widerruf der umstrittenen Exportentscheidung mit europäischen Partnern. Die Bundesregierung hatte kürzlich wegen eines gemeinsamen Projekts mit Italien, Spanien und Großbritannien eine Ausnahme vom Exportstopp ermöglicht. Außenministerin Annalena Baerbock rechtfertigte dies mit Verweis auf einen Altvertrag über ein europäisches Gemeinschaftsprojekt.
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Solidarität mit den Frauen im Iran: Die Grünen halten angesichts der aktuellen Lage die Aussetzung von Abschiebungen in den Iran »für dringend geboten« und sprechen sich für eine Ausweitung der Sanktionen aus. Die Regierung in Teheran wird aufgefordert, die Diskriminierung und Verfolgung von Frauen, religiösen und ethnischen Minderheiten, anders Denkenden und Oppositionellen einzustellen.