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News des Tages: Ukraine-Flüchtlinge, Wahlhilfe für AfD, Proteste in Iran

1. An der Grenze der Solidarität

Russland hat die Ukraine mit neuen Raketenangriffen überzogen. In der Umgebung der Hauptstadt Kiew und im Gebiet Chmelnyzkyj habe es Explosionen gegeben, die Luftabwehr sei zum Einsatz gekommen, teilten offizielle Stellen mit. Die Behörden riefen die Menschen auf, in Kellern und Bunkern Schutz zu suchen.

Wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität Russland gegen Zivilisten vorgeht, wenn man sich vorstellt, von welchen Existenzängsten getrieben Ukrainerinnen und Ukrainer auch bei uns in Deutschland Zuflucht suchen, machen Nachrichten wie die aus Apolda in Thüringen fassungslos. Ein Unbekannter wollte in unmittelbarer Nähe einer Unterkunft für Kriegsflüchtlinge mit einer Gasflasche eine Explosion herbeiführen. Die Feuerwehr konnte vor Ort jedoch den Brandanschlag verhindern, weil Augenzeugen das Geschehen beobachtet und die Behörden informiert hatten.

Auch im sächsischen Leipzig war es am Montagabend zu einem Zwischenfall mit Geflüchteten aus der Ukraine gekommen. Am Rande einer Montagsdemonstration hatten Rechtsextreme Geflüchtete und Gegendemonstranten bepöbelt. Auf Twitter veröffentlichte Videos des Zwischenfalls zeigen mehrere hasserfüllte Männer, die aus der Demo heraus »Ihr Schweine, verpisst euch« und »Ihr lebt auf unsere Kosten« brüllen. Ja, was denn sonst? Das Leben und Überleben auf unsere Kosten nennt sich Solidarität, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe.

Natürlich kann keine Hilfe grenzenlos sein. Immer mehr Kommunen berichten, dass sie die steigenden Flüchtlingszahlen vor Probleme stellten . Neben einer Million Ukraine-Vertriebenen kommen derzeit auch wieder mehr Asylbewerber aus anderen Staaten nach Deutschland.

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Heute hat der Bund deshalb Ländern und Kommunen mehr Unterstützung bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen aus der Ukraine zugesagt. Immerhin eine kleine gute Nachricht an einem Tag, der vom Krieg bestimmt war.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Übergabe erfolgt: Ukraine hat deutsches Luftabwehrsystem erhalten

  • Putins Rache: Mit massiven Luftangriffen reagiert Russland auf die Beschädigung der Krimbrücke. Moskau hatte es auf den Energiesektor der Ukraine abgesehen. Doch nicht bei allen Zielen war die Absicht so eindeutig .

  • Die Mär vom guten Zaren: Margarita Simonjan hat ihr Land begeistert in den Krieg gehetzt. Nun gibt sich die Chefpropagandistin als Anwältin der kleinen Leute – und sucht Schuldige für das Chaos der Mobilmachung. Nur auf Putin lässt sie nichts kommen .

  • Bundeswehr-Brigadegeneral verspricht Litauen Schutz der Nato-Ostflanke: Bereits seit 2017 sind deutsche Truppen im litauischen Rukla stationiert – nun wird die Präsenz deutlich erhöht. Der Kommandeur der Truppe spricht von einer klaren »Abschreckung gegen Russland«.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Verdeckte Wahlhilfe aus der Schweiz

Die AfD gilt seit Jahren als die mit Abstand größte Partei in den sozialen Netzwerken, besonders bei Facebook und neuerdings auch bei TikTok. Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 hat die Partei es geschafft, dass ihre Inhalte deutlich häufiger geliked oder kommentiert werden als die der politischen Konkurrenz. Aktuell bewirbt die AfD auf Facebook ihre »Analyse des großen AfD-Wahlerfolgs zur Landtagswahl in Niedersachsen« und ätzt gegen Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der »einfach mal die Klappe halten« solle.

Schäuble hatte die Deutschen angesichts der Energiekrise auf Entbehrungen im Winter eingestimmt, so seien kalte Wohnungen und Stromausfälle denkbar. »Dann zieht man halt einen Pullover an. Oder vielleicht noch einen zweiten Pullover«, sagte er der »Bild«-Zeitung  . »Darüber muss man nicht jammern, sondern man muss erkennen: Vieles ist nicht selbstverständlich.«

Empörung über »bestens situierte Spitzenpolitiker«, so der AfD-Facebook-Post, die weniger vermögenden Bürgern Genügsamkeit predigen, erklären den Aufstieg der AfD zur Social-Media-Partei nicht allein. Nach Informationen von Correctiv, ZDF »Frontal« und SPIEGEL haben Ermittler neue Hinweise darauf, dass ein bestens situierter Unternehmer aus der Schweiz großen Anteil am Erfolg der AfD im Netz haben könnte.

Wie meine Kollegen aus dem SPIEGEL-Hauptstadtbüro, Sven Röbel und Sven Becker, berichten , geht die Staatsanwaltschaft Berlin dem Verdacht nach, dass die AfD mutmaßlich illegale Zuwendungen aus der Schweiz erhalten hat. Nach Recherchen der Kollegen durchsuchten Fahnder der Kriminalpolizei am 28. September in der Nähe von Aschaffenburg die Räume eines Geschäftsmanns, der als Social-Media-Experte für die AfD tätig war und unter anderem den Facebook-Auftritt der Partei betreute.

Laut Verdacht der Ermittler soll die Privatfirma des Mannes weitere Social-Media-Aktivitäten für die AfD durchgeführt haben. Diese sollen jedoch nicht aus der offiziellen Parteikasse, sondern verdeckt aus der Schweiz bezahlt worden sein – was ein Verstoß gegen das Parteiengesetz wäre.

Kollege Sven Röbel kommentiert : »Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie von Spendenskandalen innerhalb der AfD, die in der deutschen Parteiengeschichte vermutlich einzigartig sind.«

3. Unterstützung der Proteste in Iran

Charlotte Gainsbourg und Isabelle Huppert haben es vorgemacht, nun ziehen deutsche Schauspielerinnen wie Sandra Hüller, Maryam Zaree oder Katharina Thalbach nach: Sie schneiden sich Haare ab, um Solidarität mit den Demonstrierenden in Iran auszudrücken.

Vor sechs Tagen hatte die Aktion aus Frankreich, bei der Stars wie Isabelle Adjani oder Marion Cotillard zur Schere griffen, für Aufsehen gesorgt. Untermalt von einer persischsprachigen Version des Partisanenliedes »Bella Ciao« waren über 50 Schauspielerinnen dabei zu sehen, wie sie sich teils einzelne Strähnen, teils – wie Juliette Binoche – ganze Handbreit von Haaren abschnitten. Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der nationalen Sittenpolizei haben sich iranische Frauen aus Protest gegen staatliche Unterdrückung und Gewalt vor laufenden Kameras demonstrativ die Haare abgeschnitten.

Unter den 40 Teilnehmenden aus Deutschland sind nicht nur Schauspielerinnen wie Nicolette Krebitz oder Alice Dwyer, die das Video auf ihrem Instagram-Kanal verbreitete, sondern auch einzelne Männer. So schneidet sich Ronald Zehrfeld eine Locke ab, und auch Julius Feldmeier greift zur Schere.

Ist das nun reine, nutzlose Symbolpolitik? Unsere Kolumnistin Samira El Ouassil findet: »Nein, denn es geht allein um die Sichtbarmachung.« Da das Regime in Iran die landesweite Kommunikation durch Internetzensur und eine Sperrung sozialer Medien erschwere, »brauchen die Protestierenden umso mehr internationale Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit, denn nur diese kann ihnen zu einem Schutz vor den brutalen Repressionen verhelfen. Unter der Beobachtung der Weltöffentlichkeit haben die Aufstände und ihre Akteure die größten Überlebenschancen«.

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Belarus streicht deutschem EU-Botschafter das Visum: Dirk Schuebel war drei Jahre lang EU-Vertreter in Minsk, nun muss er seinen Posten räumen: Das belarussische Regime hat sein Visum gestrichen. Der Botschafter hinterließ einen Abschiedsbrief.

  • Stornierungswelle trifft den Wohnungsbau: Material und Energie kosten immer mehr – und auch die Kreditzinsen steigen stark: Oft rechnet sich der Bau neuer Wohnungen nicht mehr. Die Branche verzeichnet deutlich mehr stornierte Projekte.

  • In Biosupermärkten bleiben die Kunden aus: In der Krise sparen viele Konsumenten an hochpreisiger Ware. Biosupermärkte, Naturkostläden und Reformhäuser verzeichnen dramatische Einbußen. Beliebt sind Bioprodukte trotzdem – nur eben billigere.

  • Habeck warnt Lindner im AKW-Streit: Wirtschaftsminister Robert Habeck wirft FDP-Chef Christian Lindner die Blockade des Streckbetriebs der Atommeiler vor. Lindner pokert. Er will mehr. Kommt es nun zum Showdown?

Meine Lieblingsgeschichte heute: Über tote Mücken und lebende Hunde

»Homo homini lupus est.« Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Wissen Sie, von wem dieses Zitat stammt? Kleiner Tipp: Vom Staatstheoretiker Thomas Hobbes, der es als Sinnbild für den »menschlichen Naturzustand« verwendete, ist es nicht. Sollten Sie in Nordrhein-Westfalen wohnen, erzählen Ihnen womöglich bald Ihre Kinder, dass der berühmte Wolf-Vergleich dem Komödiendichter Titus Maccius Plautus zugeschrieben wird, der 250 Jahre vor Christus lebte.

Ab Sommer 2023 steht in Grundschulen in NRW Philosophie auf dem Stundenplan. Schon ab der ersten Klasse werde das neue Schulfach »Praktische Philosophie« als Alternative zum Religionsunterricht angeboten, heißt es aus dem Schulministerium in Düsseldorf. Meine Kollegin Miriam Olbrisch  aus dem SPIEGEL-Deutschlandressort hat sich mit dem Englisch- und Philosophielehrer Sebastian Vieth darüber unterhalten, was die Grundschüler in dem Fach künftig lernen werden.

Offenbar sollen sie weder Aristoteles oder lateinische Lebensweisheiten zitieren können. »Mit den Kindern üben wir vor allem Philosophie im Dialog«, sagt Vieth. Das habe schon Sokrates so gemacht: »Er stellte so lange Fragen, bis das Gegenüber zu neuen Erkenntnissen gelangte.« Man könne die Grundschüler zum Beispiel fragen: »Was spricht für und was gegen die Haltung von Nutztieren? Warum töten wir Mücken, Hunde aber nicht? Warum darf man nicht klauen? Aber auch: Wer bin ich?«

Eine Frage, auf die man vermutlich auch als Erwachsener immer wieder neue Antworten finden kann.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Wo ist mein Atombunker? Alle reden auf einmal von Armageddon, auch wir in New York. Die einen liebäugeln mit Luxusbunkern, die anderen kaufen Propylen-Overalls. Zum Glück haben wir genug Bier und Sekt im Kellerkühlschrank .

  • Warum Bidens Erfolg von den Launen der Saudis abhängt: Das Ölländer-Kartell Opec+ will die Förderung kürzen – die US-Regierung fürchtet steigende Benzinpreise. Reagieren die Amerikaner mit einem Exportverbot für das eigene Öl, würde das auch Europa treffen .

  • Das Geheimnis der gesunden Gehirne: Bei ungefähr jedem fünften Menschen bleibt die Geisteskraft bis ins hohe Alter erhalten. Der Neurologe Oliver Tüscher erklärt, welche Einflussfaktoren hier eine Rolle spielen – und was wir daraus lernen können .


Was heute weniger wichtig ist

  • König Charles will offenbar seine Krönung verschlanken. Das Klatschblatt »Daily Mail« berichtete, zu Charles »Coronation« im nächsten Jahr würden 2000 Gäste erwartet. Das wären 6000 weniger als bei der Krönung seiner Mutter im Jahr 1953. Statt der damaligen drei Stunden dürfe die Zeremonie nur 60 Minuten dauern. Die Gäste werden wohl nicht auf den eigens für Elizabeths Krönung hergestellten Samtsitzen, sondern auf einfachen Stühlen Platz nehmen. Männliche Gäste werden zudem eher Anzug tragen als eine Krönungsrobe. Die Bürgerinnen und Bürger hätten kein Verständnis mehr dafür, dass vor ihren Augen goldene Gewänder und wertvolle Juwelen getragen werden, wenn sie selbst nicht wissen, wie sie ihre nächste Mahlzeit bezahlen sollen, heißt es in London.

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Besonders stark betroffen ist Venzuela.

Cartoon des Tages: Eiszeit

Illustration: Klaus Stuttmann


Und heute Abend?

Testen Sie Ihr Wissen. Nicht nur, wenn Sie sich mit Zitaten berühmter Philosophen auskennen, haben Sie womöglich Spaß am täglichen SPIEGEL-Quiz:

Heute zum Beispiel war ich bei folgender Frage ratlos: »Menschen teilen nicht nur mit Affen einen Großteil ihres Erbguts. Auch bei Pflanzen gibt es Übereinstimmungen. Wie viel Prozent unseres Erbguts teilen wir mit der Banane?« Kleiner Tipp: Es ist ziemlich viel Erbgut. Womöglich so gar mehr als das, was uns mit Wölfen verbindet.

Einen schönen Abend.

Herzlich
Ihre Anna Clauß

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