Seit Russlands Diktator Wladimir Putin die Mobilisierung Hunderttausender Männer für den Krieg verfügt hat, flüchten Tausende außer Landes. Im Auto. Per Flugzeug. Zu Fuß. In die Mongolei. Nach Kasachstan. Finnland. Oder in die Türkei. Die meisten von ihnen sind weder Vaterlandsverräter noch Weicheier. Sondern Männer mit gesundem Menschenverstand. Männer, die diesen Krieg nicht kämpfen und ihm keinesfalls das eigene Leben opfern wollen.
Das Problem ist nun, dass kaum ein Land diese Männer aufnehmen will. Zum einen weil die Bereitschaft, Ausländer aufzunehmen, im neonationalistischen Zeitalter ohnehin recht gering ist. Zum anderen weil es sich um Russen handelt, denen man in weiten Teilen Europas und auch in Deutschland mit ähnlich vielen Ressentiments begegnet wie dem Muslim aus Syrien. Weil offenbar viele in jedem Russen einen kleinen Putin vermuten. Oder weil unsere Köpfe über die Jahrzehnte mit antirussischen Klischees von Wodka saufenden Stiernacken geflutet wurden.
Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, unseren Russismus zu überwinden und diesen Männern Schutz zu gewähren. Es geht hier weder um jene Superreichen, denen zahlreiche Dachgeschosswohnungen in deutschen Innenstädten (und zig anderen europäischen Metropolen) gehören. Noch um jene Miturlauber, die ihre Aufenthalte rund ums Mittelmeer in der Vergangenheit etwas arg zünftig gestalteten. Wir reden hier vor allem über die russische Unterschicht, aus der bevorzugt für den Krieg rekrutiert wird.
Wer sich durch Flucht dem völkerrechtswidrigen Krieg Putins und dessen Kriegsverbrechen verweigert, ist nicht nur Kriegsflüchtling, sondern auch politischer Flüchtling, weil ihm drastische Strafen drohen. Er hat ein Anrecht auf Asyl. Deshalb sollte man ihm ein humanitäres Visum ausstellen und bei der Reise nach Deutschland helfen. Das wäre nicht nur human, sondern auch klug. Jeder geflüchtete Russe fehlt Putin an der Front.
In Osteuropa und den baltischen Staaten sehen das viele anders. Statt die Flucht zu ergreifen, so das weitverbreitete Credo, sollten die Betroffenen lieber in Russland gegen Putin aufbegehren. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko beispielsweise bezeichnete Flucht als eine »sehr schwache Position«.
Nun kann nicht jeder so beinhart männlich sein wie der frühere Boxweltmeister. Ich zum Beispiel wäre vermutlich keine Granate in Sachen Zivilcourage. Wäre ich ein Russe in Russland, würde ich nicht auf die Straße gehen, um mich von Putins brutalen Schlägern erst in den Transporter und dann an die Kriegsfront bringen zu lassen. Sofern mich die Sozialisation in Russland und die Indoktrination durch Propaganda nicht ohnehin zu einem Putin-Anhänger gemacht hätten (niemand sollte das unter den Bedingungen des real existierenden Putinismus für sich ausschließen), würde ich auch das Weite suchen.
Um mein Leben zu retten. Um nicht für Putin zu sterben.