Wladimir, der Scheinriese
In vier Regionen der Ukraine will Russlands Diktator Wladimir Putin ab Freitag dieser Woche Referenden abhalten. Es soll darüber abgestimmt werden, ob die selbst ernannten »Volksrepubliken« Donezk und Luhansk künftig der Russischen Föderation angehören. Auch in den von Russland besetzten Regionen Saporischschja und Cherson wurden derartige Abstimmungen angekündigt.
Russlands Präsident Putin mit Vogel
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GAVRIIL GRIGOROV/SPUTNIK/KREMLIN / POOL / EPA
Mir erscheint das wie der verzweifelte Versuch Putins, jene Stärke zu demonstrieren, die seine Armee auf dem Schlachtfeld nicht zu demonstrieren vermag. Die Gegenoffensive der Ukraine ist dieser Tage jedenfalls erstaunlich erfolgreich.
Anders als ursprünglich erwartet, kontrolliert Moskau auch sechs Monate nach dem Überfall auf die Ukraine nicht einmal den Donbass ganz. Es ist, offen gesagt, ein Witz für ein Land, das sich über Jahrzehnte brusttrommelnd als größte Militärnation der Welt präsentierte.
Und natürlich handelt es sich nicht um ein echtes Referendum. Niemand, der sich noch in diesen Gebieten aufhält, wird frei über deren künftige Zugehörigkeit entscheiden können. Es ist eine Abstimmung mit gezücktem Maschinengewehr. Mal abgesehen davon, dass viele der eigentlichen Einwohner jener Gebiete vor den russischen Panzern geflüchtet sind.
Ich glaube nicht, dass sich Putin mit diesen Referenden einen Gefallen tut. Die territoriale Verteilung der Ukraine wird jedenfalls nicht durch solche Schein-Referenden entschieden. Sondern militärisch, auf dem Schlachtfeld.
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Selenskyj blickt gelassen auf Scheinreferenden, angeblich russische Verluste bei Donezk: Laut Kreml steht eine Generalmobilmachung nicht zur Debatte. Die geplanten Volksabstimmungen in der Ostukraine sorgen für Empörung. Und: Union will über Kampfpanzer abstimmen lassen. Das geschah in der Nacht.
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»Viele Soldaten wollen nicht mehr kämpfen«: Pavel Filatjew kämpfte an der Front in der Ukraine. Nach einer Verwundung hat er Russland mittlerweile verlassen. Und rechnet schonungslos mit Putins Angriffskrieg ab. SPIEGEL TV traf ihn in Frankreich zum Exklusivinterview.
Wankende Mullahs
Es sind bewegende Szenen, die uns derzeit meist via Social Media aus Iran erreichen. Tausende Menschen protestieren auf Straßen und Plätzen offen gegen das Regime. Der jüngste Anlass: Vorige Woche starb die 22-jährige Iranerin Mahsa Amini an den Folgen der Verletzungen, die ihr die iranische Moralpolizei zugefügt hatte. Weil sie ihr Kopftuch angeblich nicht anständig trug.
Seit die Nachricht bekannt wurde, bricht sich der über Jahre angestaute Hass auf das Regime an zahlreichen Orten Bahn. Immer mehr Iranerinnen und Iraner überwinden ihre Angst und protestieren gegen die Mullahs und ihre Handlanger in der Regierung.
Proteste in Teheran
Foto: AFP
Da schneidet sich eine Frau umgeben von einer jubelnden Menge in Kerman für alle sichtbar die Haare ab – als Zeichen des Protests gegen die Jahrzehnte währende Unterdrückung. Da schnappt sich ein junger Mann das Handy eines im Dienstwagen sitzenden Polizisten durch das Wagenfenster – mit dem der Polizist die Protestierenden gefilmt hatte.
Natürlich sollte man weder naiv sein, noch sich zu früh freuen. Aber die Geschichte zeigt auch: Fast überall, wo es einen solchen Mut und ausgeprägten Freiheitswillen gab, war das jeweilige Regime früher oder später Geschichte.
Große graue Herren
Zentralbanker, das waren bis vor Kurzem graugesichtige Männer, die Unverständliches über Geldmengen, Zinsen und Verbraucherpreise verkündeten, für das sich jenseits des Fachpublikums kaum jemand interessierte. Graugesichtige Männer sind die meisten Zentralbanker zwar immer noch. Aber plötzlich ist das, was sie sagen und beschließen, sehr interessant.
Seitdem die Inflationsraten in den westlichen Volkswirtschaften zweistellig wachsen, wird Leuten wie Jerome Powell deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Heute Abend wird der Chef der amerikanischen Zentralbank die neueste Zinsentscheidung der Federal Reserve (Fed) verkünden. Powell und seine Kollegen dürften den Leitzins zum dritten Mal in kurzer Folge um gewaltige 0,75 Prozentpunkte auf dann 3,25 bis 3,50 Prozent erhöhen, um die Inflation in den USA zu kontern. Die liegt inzwischen bei 8,3 Prozent – und das, obwohl die weitgehend Energie-autarken Amerikaner nicht einmal Opfer von Russlands Rohstoff-Erpressungspolitik sind. Anders als die Europäer.
Zentralbanker Powell
Foto: ELIZABETH FRANTZ / REUTERS
Powell ist in der gleichen Situation wie viele seiner Kollegen in aller Welt, von denen einige in den nächsten Tagen ebenfalls reagieren werden. Viel zu lange haben die Zentralbanken schon vor dem Ukrainekrieg die Inflationsgefahren unterschätzt. Jetzt kommen sie kaum hinterher und müssen mit Riesenschritten die Zinsen anheben – in einer Zeit, in der den meisten Volkswirtschaften eine Rezession droht.
Mein Kollege Tim Bartz hat sich angeschaut, wie die Situation in den USA, der Eurozone, Großbritannien, der Schweiz und Japan ist. Sein Fazit: Überall droht die Teuerung außer Kontrolle zu geraten; höhere Leitzinsen sind als Gegengift notwendig, könnten aber die Wirtschaft abzuwürgen. »Inflation plus Rezession, das ist der ziemlich perfekte Sturm für Notenbanker«, fasst Tim das Dilemma der Zentralbanker zusammen.
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Die Startfrage heute: Warum zahlt Porsche in den USA bis zu 1109 Dollar Entschädigung pro Benziner?
Verliererin des Tages…
Lufthansa-Flotte in Frankfurt/Main
Foto: RONALD WITTEK / EPA
… ist die Lufthansa. Als United Airlines für den Frühsommer 2022 einen Direktflug nach Berlin ankündigte, griff meine Kollegin Ines Zöttl in Washington zu: Sie buchte bei Uniteds Code-Sharing-Partner Lufthansa. Doch die Reise wurde zum Irrflug durch Deutschlands Servicewüste. Der Direktflug fand nicht statt, die Ersatzmaschine startete mit Stunden Verspätung. Selbstredend blieb dann beim Umstieg in Frankfurt am Main der Koffer zurück. Es begann ein wochenlanges Warten, irgendwann verschwand die letzte Spur zu dem angeblich nur verspäteten Gepäck aus dem Netz. »Es gab ein Problem bei der Suche nach Ihren Angaben«, meldet die Gepäckermittlungsseite: »Für diese Kombination aus Buchungsnummer und Nachname wurde kein Datensatz gefunden.«
Am Ende kam der Koffer nach vier langen Wochen doch noch an: Dort, wo er gestartet war – in Washington.
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Ich wünsch Ihnen was!
Ihr Markus Feldenkirchen