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Oktoberfest: Die Vernunft spricht klar gegen einen Besuch. Sollte man auf sie hören?

Himmel der Bayern: Oktoberfestzelt in München


Foto: Tobias Hase/ dpa

Der Bierpreis! Die Billigdirndl! Der Kotzhügel! Schon vor der Seuche gab es viele Gründe, das Oktoberfest für die Pest zu halten. Wenn es am Samstag nach zwei Jahren Pandemiepause wieder eröffnet wird, kommen weitere Gründe hinzu. Der Energieverbrauch! Vegane Weißwurst! Und vor allem: Das Infektionsrisiko!



Bereit zum Abstieg?

Inflation, mögliche Rezession, Energiepreisexplosion: Deutschland erwartet ein schweres Jahrzehnt mit sinkendem Wohlstand – die Ungleichheit droht weiter anzuwachsen. Beginnt nun eine Zeit der Umverteilung, in der vor allem die obere Mittelschicht belastet wird?

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Eine goldene Nase verdienen sich nur die Wiesnwirte. Alle anderen Bierzeltbesucher gehen in diesem Jahr wohl mit Corona, der Grippe oder Schnupfen nach Hause. Als mich eine Pressesprecherin der SPD einlud, den Sonntagvormittag gemeinsam mit Generalsekretär Kevin Kühnert in einem der Wiesnzelte zu verbringen, bat ich um kurze Bedenkzeit. Dann sagte ich ab. Und war damit nicht allein. Die Eingeladenen machten gerade aus Angst vor Volksfestviren reihenweise Rückzieher, konstatierte die SPD-Dame.

Seitdem grübele ich. Wäre es nicht langsam Zeit, der Vernunft die blinde Gefolgschaft zu kündigen? Ich bin dreimal geimpft und einmal genesen – die Münchner Mutante wird mich schon nicht in den Himmel der Bayern schicken. Und sowieso: Wenn sie mich nicht auf der Wiesn erwischt, dann in den Wochen danach im S-Bahn-­Getümmel oder im fensterlosen Klo des SPIEGEL-Büros am Marienplatz.

Am Donnerstag habe ich mich mit dem neuen Omikron-Impfstoff boostern lassen. Außerdem besitze ich vier Dirndl, in denen ich vor Corona als stolze Münchnerin gerne auf die Wiesn gegangen bin. Wieso traue ich mich nun nicht mehr hin? Warum sehe ich Schwarz statt Weiß-Blau?

Manchmal kommt es mir so vor, als ob wir nach der Erfahrung der letzten zwei Krisenjahre hinter jeder Ecke die nächste Katastrophe witterten. Die Unvernunft steht in Zeiten knapper werdender Ressourcen unter Generalverdacht. Wer Spaß hat, behält ihn besser für sich.

Gelegenheiten, dem Gegen­über ein »I mog di« zuzurufen, werden weniger. Wir verteilen Likes statt Lebkuchenherzen. Oder setzen wütende Tweets zur mangelnden Panzerlieferungsbereitschaft der Regierung ins Netz. SPD-General Kühnert hat diese Woche seinen Twitteraccount deaktiviert, nachdem es ihm »jetzt einfach zu blöde« geworden war, sich weiter digitale Wortgefechte zu liefern. Verständlich, dass er lieber im Bierzelt Rede und Antwort gibt.


Mehr zum Thema

Die Klagen über das aufgeblähte Megaevent Oktoberfest mögen alle ihre Berechtigung haben. Es stimmt aber auch, dass man sonntagvormittags, wenn die Rauschkugeln ihren Kater noch ausschlafen, auf der Wiesn wunderbare Stunden verbringen kann. Vom Kettenkarussell »Bayern Tower« aus sieht man bis zu den Alpen. In der Krinoline spielt eine echte Blaskapelle. In den Festzelten auf der »Oidn Wiesn« gibt es vormittags noch Platz auch für spontane Besucher ohne Reservierungsbändchen.

Jeder kann kommen, niemand muss. Alle gehören dazu. Die Wiesn ist ein Menschenexperiment, aber auch eine Art gesellschaftlicher Idealzustand. Ich sollte hingehen. Wenn nicht mit der SPD, dann mit Freunden.


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