Wann liefert auch Olaf?
Wenn es um beherzte, sprich umfangreiche Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine geht, sind Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Baerbock ziemlich weit voneinander entfernt.
Koalitionspartner Scholz, Baerbock
Foto: JENS KRICK / POOL / EPA
Auch deshalb gab es am vorigen Dienstag einen vertraulichen Austausch zwischen den beiden im Kanzleramt, ohne Pressekonferenz, ohne Statement. Wie meine Kolleginnen und Kollegen aus dem SPIEGEL-Hauptstadtbüro recherchierten, ging es um Deutschlands Rolle im Krieg. Um die Frage, was die Bundesregierung für die Ukraine weiter tun könnte. Es ging um Waffenlieferungen – und um Panzer.
Entweder einigten sich die beiden bei dieser Gelegenheit auf eine neue Linie, oder Baerbock widersprach gleich am nächsten Tag in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« den Leitlinien des Kanzlers. Sie habe Verständnis für die Forderung der Ukraine nach modernen Kampfpanzern, erklärte sie dort. Die Entscheidung solle man nicht auf die lange Bank schieben.
Für Baerbock wären zum Beispiel deutsche Leopard-2-Panzer, die in der Ukraine auf russische Stellungen schießen, offenbar kein Tabu mehr. Für Scholz momentan schon. Dabei stellt sich die Frage von Panzerlieferungen vor dem Hintergrund überraschender Erfolge der ukrainischen Armee umso drängender, der Dissens lässt sich nicht mehr überdecken.
Gestern verkündete Verteidigungsministerin Christine Lambrecht jedenfalls schon mal überraschend neue Lieferungen: zwei weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ Mars II und 50 gepanzerte Truppentransporter, Modell Dingo. Das Paket wurde dem Vernehmen nach sehr kurzfristig zusammengestellt – wohl auf Druck aus dem Kanzleramt.
Ob dies der Anfang einer Umkehr war, hin zu einer ebenso umfassenden wie zeitnahen Hilfe mit schlagkräftigen Waffen?
Scholz spricht heute bei einer Tagung zur Zukunft der Bundeswehr im Verteidigungsministerium. Darüber hinaus empfängt er die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Die USA liefern selbst weit mehr Waffen als Deutschland und würden sich dies auch von den Verbündeten wünschen. Pelosi weilt anlässlich eines Treffens der Parlamentspräsidenten der G7-Staaten in Berlin.
Für Scholz wären die Anlässe für eine Annäherung somit gegeben. Nicht nur an die Vereinigten Staaten. Sondern auch an die deutsche Außenministerin…
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Winfrieds Windstille
Bei seinem Amtsantritt 2011 versprach Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands, dass er Baden-Württemberg zum »Musterlände der Erneuerbaren« machen und vor allem die Windkraft ausbauen werde.
Windkraftanlagen auf der Schwäbischen Alb bei Amstetten
Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich
Das blieb, nun ja, ein eher windiges Versprechen.
Sein Land ist nämlich noch immer Schlusslicht im nationalen Windstrom-Ranking, was sich in Zeiten der Energiekrise besonders rächt. Vor allem, weil der Südwesten mit seiner Industrie viel Strom braucht, die Trassen von Nord nach Süd auf sich warten lassen und der Atomstrom (AKW Neckarwestheim) bald Geschichte ist. Die Bilanz ist also nicht weniger als ein Debakel.
5,8 Prozent des Stroms wurden 2021 in Baden-Württemberg durch Windkraft erzeugt. Selbst Bayern mit seiner umstrittenen Abstandsregel produziert mehr. Bundesweit liegt der Anteil des durch Windkraftanlagen erzeugten Stroms bei rund 23 Prozent.
Meine Kollegin Christine Keck hat Kretschmann beim Besuch des Windparks Hohenlochen Anfang September auf einem Schwarzwaldgipfel gefragt, warum er sein Versprechen nicht gehalten hat. Er entgegnete, es liege an den Ausschreibungsbedingungen des Bundes für Fördermittel. Das stimmt, ist aber nur ein Teil der Wahrheit.
Es gibt noch viele andere, seit Ewigkeiten bekannte Probleme beim Ausbau der Windkraft: Artenschutz, Denkmalschutz, eine unglaubliche Bürokratie, protestierende Nachbarn, eine ausgeprägte Gutachteritis.
Inzwischen ist aber ein Hauch von frischem Wind aufgekommen: mit einer Task Force, die Kretschmann installiert hat. Sie arbeitet seit vergangenem Herbst und ist quer über die Ressorts aufgestellt. Das Widerspruchsrecht bei Genehmigungsverfahren zum Beispiel ist abgeschafft worden.
Aber all das geschieht viel zu spät. Ein wirklich vorausschauend handelnder Politiker hätte das schon vor Jahren anstoßen müssen.
Sahra – oder ein Schrecken ohne Ende. (Oder andersrum.)
Die Linke hat wilde Tage hinter sich. Das liegt, Sie ahnen es vielleicht, wieder mal an Sahra Wagenknecht. Die hatte im Bundestag Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgeworfen, einen »Wirtschaftskrieg« gegen Russland vom Zaun gebrochen zu haben. Für einige Linke war das zu viel. Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband, erklärte seinen Austritt aus den Linken. Ebenso Fabio De Masi, der prominenteste Finanzpolitiker.
(Noch-)Linken-Politikerin Wagenknecht
Foto: CLEMENS BILAN / EPA
Eigentlich könnten diese Tage gut sein für die Linke. Gegen SPD und Grüne könnte sie sich profilieren, als soziales Gewissen im Land. Doch was wären die Linken, wenn sie auch im ungünstigsten Moment nicht doch lieber Ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: der Beschäftigung mit sich selbst.
Diesmal geht die innerparteiliche Zersetzung sogar so weit, dass nicht wenige eine Spaltung der kleinen Bundestagsfraktion befürchten. Ein SPIEGEL-Team hat die vergangenen Tage bei den Linken rekonstruiert. Dabei zeigt sich, wie wenig die handelnden Personen die Lage noch im Griff haben. Zum Beispiel, wenn Fraktionschef Dietmar Bartsch noch über die Inhalte der Wagenknecht-Rede verhandeln will oder die Vorsitzende Janine Wissler in der Vorstandssitzung der Partei versucht, die Lage irgendwie zu entspannen. Dabei ist die Diskussion in der Partei längst eskaliert.
Wagenknecht habe sich schon immer gegen die Modernisierung der Partei gestellt, befindet mein Kollege Timo Lehmann, der für den SPIEGEL über Die Linke berichtet. In den 1990er Jahren habe sie ihren Kampf gegen Gregor Gysi geführt, der vom DDR-Sozialismus wegzukommen versuchte. 2005 sprach sich Wagenknecht gegen die Fusion der PDS mit der WASG aus. Jetzt bekämpfe sie seit Jahren die von Katja Kipping erdachte Linke, die Emanzipation und Klimagerechtigkeit mit der sozialen Frage verbinden soll. »Mit ihren Versuchen ist Wagenknecht immer gescheitert, sie sollte daraus Konsequenzen ziehen« so Lehmann. Und das kann nur bedeuten: Aus der Partei auszutreten. »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Verlierer des Tages…
Hand einer »Letzte Generation«-Aktivistin, festgeklebt am Boden
Foto: Christian Mang / REUTERS
…sind die Festklebe-Aktivistinnen und Festklebe-Aktivisten. Heute beginnt in München ein Strafprozess wegen Nötigung gegen zwei junge Vertreterinnen und einen jungen Vertreter der »Letzten Generation«. Diese sollen sich auf einer Straße in München festgeklebt haben, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Das Phänomen ist inzwischen weitverbreitet. Zumindest in Bayern findet ein solcher Prozess zum ersten Mal statt.
Man könnte jetzt glauben, die junge Generation sei zu Recht die letzte Generation, wenn sie ernsthaft glaubt, den Klimawandel aufhalten zu können, indem sie sich an den Boden klebt und dadurch ellenlange Staus produziert, durch die noch mehr CO₂ freigesetzt wird. Aber das wäre vermutlich zu wenig idealistisch gedacht.
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Ich wünsch Ihnen was!
Ihr Markus Feldenkirchen