Die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour rufen ihre Partei dazu auf, die Pläne von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen Reservebetrieb von Atomkraftwerken mitzutragen.
»Die Einsatzreserve ist eine verantwortungsvolle, angemessene, zeitlich begrenzte und zielgenaue Lösung, um auf ein Extremszenario vorbereitet zu sein und einer möglichen Netzinstabilität im kommenden Winter vorzubeugen«, heißt es in einem Antrag der Grünenspitze für den Bundesparteitag Mitte Oktober. Das Papier liegt dem SPIEGEL vor.
Grünenchefs Nouripour (l.) und Lang: Vorsorgen »für den äußersten Notfall«
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Habeck hatte zu Wochenbeginn bei der Vorstellung der Ergebnisse eines zweiten Stresstests zur Stromnetzstabilität vorgeschlagen, zwei der drei letzten Atomkraftwerke bis zum 31. März 2023 im Reservebetrieb zu halten – trotz des beschlossenen Atomausstiegs zum 31. Dezember. Konkret geht es um das bayerische Kraftwerk Isar 2 und den baden-württembergischen Meiler Neckarwestheim 2. Die Entscheidung sorgt bei den Grünen für Unruhe.
Der Bundesvorstand der Partei wirbt nun gegenüber der Parteibasis dafür, »für den äußersten Notfall« vorzusorgen – »so unwahrscheinlich er auch sein mag«. Die Parteispitze schreibt: »Deswegen stimmen wir zu, eine konditionierte, zeitlich begrenzte und von der Atomaufsicht strikt überwachte AKW-Einsatzreserve zu schaffen.«
Die Grünenführung stellt allerdings auch Bedingungen für die AKW-Reserve: »Sie kann im Winter 2022/23 und nur dann eingesetzt werden, wenn klar zu befürchten ist, dass die Voraussetzungen eines Krisenszenarios vorliegen und auch unter Ausnutzung anderer Maßnahmen eine kritische Situation weiterhin droht«, heißt es im Dringlichkeitsantrag, über den die Delegierten gleich zu Beginn des dreitägigen Parteitags am 14. Oktober in Bonn abstimmen sollen.
Das Ja zur Einsatzreserve begründet die Grünenspitze mit der Politik Moskaus: »Längst hat die russische Regierung mithilfe willkürlicher Drosselungen oder Abschaltungen der Gaslieferungen einen Wirtschaftskrieg mit Europa begonnen.« Auch der Ausfall zahlreicher französischer Atomkraftwerke gefährde die Stabilität des europäischen Stromnetzes im kommenden Winter.
»Hinzu kommt, dass durch den insbesondere auch von der CSU verzögerten Netzausbau Strom, vor allem aus erneuerbaren Energien, nicht ausreichend von Nord nach Süd transportiert werden kann«, schreibt die Grünenführung. Damit habe die CSU nicht nur Bayern in eine schwierige Situation gebracht, sondern die Bundesrepublik insgesamt.
Am beschlossenen Ausstieg aus der Kernkraft dürfe jedoch nicht gerüttelt werden. »Entscheidend ist für uns, dass keine neuen Brennelemente beschafft werden«, schreibt die Parteispitze. Und: »Der Atomausstieg bleibt.«
In der Grünen-Bundesgeschäftsstelle stellt man sich auf zahlreiche Änderungsanträge aus der Parteibasis ein. Der Gesprächsbedarf ist offenbar groß. Die Atomfrage ist zurück im Zentrum der Debatte bei den Grünen.