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News: Entlastungspaket, Rheinmetall, von der Leyen

Pulsschlag aus Stahl

Heute müssen wir mit Schwächen beginnen. Ich habe viele davon, und ich meine damit nicht Schokolade oder Whisky, sondern Dinge, in denen ich schlecht bin. Zum Beispiel Geographie.

Ich muss das erwähnen, weil ich gestern an dieser Stelle über die Emscher schrieb. Weil ich um meine Geographie-Schwäche weiß, schaute ich vorher extra dreimal in der Bildbeschreibung nach, ob das von mir ausgewählte Foto auch wirklich die Emscher bei Castrop-Rauxel zeigte. Und ja, dort stand, dass man auf dem Bild die Emscher in Castrop-Rauxel sähe. Trotzdem machte mich dann gestern ein Leser aus Castrop-Rauxel darauf aufmerksam, dass im Bild vor allem der Rhein-Herne-Kanal zu sehen sei und nur ganz klein die Emscher. Mein Vormittag war damit gelaufen, so was ärgert mich – und trotzdem danke ich dem Leser für seinen Hinweis.

Heute jedenfalls ist der Kanzler, der gestern noch in Castrop-Rauxel war, in der Lausitz unterwegs. Mit den Ministerpräsidenten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg (Wer kennt aus dem Stegreif alle Namen?) will er »über den geplanten Ausstieg aus der Braunkohle und den Strukturwandel« sprechen. Das bringt mich dann doch noch mal zurück zur Emscher, zumindest geografisch.

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So sieht es aus, wenn Braunkohle abgebaut wird. Aber was kommt danach?


Foto: Patrick Pleul / DPA

Es geht mir um das Wort Strukturwandel, das mir aus dem Ruhrgebiet geläufig ist. So lange ich denken konnte, war dort von Strukturwandel die Rede, also davon, wie in einer Region, die von Kohle und Stahl gelebt hat, neue Arbeit entstehen kann – und, fast genauso wichtig, eine neue Identität.

Im Ruhrgebiet, so nehme ich das wahr, gibt es viel Nostalgie, viel Verklärung. Man singt immer noch gern das Steigerlied (»Glück auf, Glück auf«), obwohl niemand mehr einen Steiger in der Familie hat. Man romantisiert Kohle, Stahl und alles, was daran hing (unter anderem eine Menge Dreck). Und auf jeder Party meiner Freunde von dort wird irgendwann »Bochum« von Herbert Grönemeyer gespielt, der über diese Stadt singt: »Du hast nen Pulsschlag aus Stahl« – und: »Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt«. Das grölen dann meine Freunde und ich, die wir Unternehmensberater, Redakteure oder Pyrotechniker sind. Manchmal denke ich (meist erst am nächsten Morgen), dass daran schon einiges seltsam ist. Aber einen Song, der unser Heimatgefühl besser ausdrücken würde, kennen wir eben auch nicht. Nur hat dieses Heimatgefühl letztlich noch immer mit der Vergangenheit zu tun.

Ich weiß, dass sich in der Lausitz viele Menschen Sorgen darum machen, was wird, was nach dem Bergbau kommt. Es geht um Arbeitsplätze, um Geld, um Existenzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch dort zumindest am Rande um Identität geht. Ich glaube, wer über Strukturwandel nachdenkt, darf das nicht vergessen.

  • Bei den Menschen in der Kohleregion Lausitz: Wo Deutschland an der Abbruchkante steht

(Zu) große Worte

In den kommenden Tagen dürfte es auf dieser Seite häufiger um das sogenannte Entlastungspaket gehen. Es wird das dritte sein, diesmal sollen Studierende berücksichtigt werden, Rentnerinnen und Rentner. Außerdem Menschen, die wenig verdienen, aber keine Unterstützung vom Staat bekommen. Seit Wochen wird es angekündigt, nun könnte es bald so weit sein.

Ich frage mich allerdings, ob in dem Paket überhaupt genug drin sein kann – und zwar nicht, weil ich schon im Vorhinein die Beschlüsse klein nörgeln will. Mir geht es eher um die Erwartungshaltung, die mittlerweile entstanden ist. Ich frage mich, ob die Koalition ihr überhaupt noch gerecht werden kann, egal, was sie jetzt beschließt. Das liegt zum einen daran, wie lange jetzt schon über dieses Paket geredet wird. Zum anderen liegt es am Wort selbst: Entlastungspaket.


Was ist wohl drin? Pakete und Päckchen

Was ist wohl drin? Pakete und Päckchen


Foto:

Julian Stratenschulte/ DPA


Unter einem Paket stelle ich mir immer etwas Großes, Massives vor, alles andere wäre ja ein Päckchen. Ich glaube, dass es vielen Menschen genauso geht. Und dass es, wenn das Paket jetzt bald vorgestellt, also quasi ausgepackt wird, ganz unabhängig vom Inhalt etwas Enttäuschung geben wird: Wie, das soll es gewesen sein? Ich glaube, das wäre anders, wenn man die letzten Wochen von einem »Entlastungsprogramm« gesprochen hätte. Klingt zwar schlimm technokratisch, aber man denkt halt auch nicht gleich an Weihnachten.

Ich glaube, in der Politik macht man es sich manchmal schwerer, als man müsste, indem man mit Worten Erwartungen weckt. »Gipfel« ist auch so ein Wort – da kann jeder Beschluss nur noch enttäuschen, weil man von einem Gipfel natürlich Allerhöchstes erwartet. Oder »Grundsatzrede« – ich glaube, ich habe noch nie eine Grundsatzrede gehört, von der ich nicht hinterher gedacht (und geschrieben) habe, dass sie schon etwas grundsätzlicher hätte ausfallen dürfen. Und ich bin mir sicher, wenn Olaf Scholz seine Rede zur »Zeitenwende« vorher mit genau diesem Begriff angekündigt hätte, dann hätte es nach der Rede geheißen: Och ja, 100 Milliarden für die Bundeswehr – vielleicht doch ein bisschen wenig?

Vorschlag an die Politik: Künftig fällt alles verbal eine Nummer kleiner aus. Ich muss zugeben, das ist bei genauerem Nachdenken gar nicht so einfach, »Hügel« statt »Gipfel« klingt zum Beispiel ziemlich bescheuert. Vielleicht haben Sie ja ein paar Vorschläge.

Raus aus der Schmuddelecke

In Kassel soll heute eine Kundgebung stattfinden, aufgerufen hat das Bündnis »Rheinmetall entwaffnen«. Ich bin gespannt, wie viele Menschen da sein werden. Nur so viel: Ich glaube, vor einem Jahr wären zu so einer Veranstaltung noch mehr Leute gekommen. Es hat sich in unserer Gesellschaft etwas verschoben, am Rüstungsunternehmen Rheinmetall kann man einiges davon festmachen.

Ich habe früher öfter über Rheinmetall berichtet, häufig im Zusammenhang mit Rüstungsexporten in Länder, deren Regierungen man eigentlich auf keinen Fall Waffen in die Hand geben wollte. Ich habe darüber auch regelmäßig mit Vertretern des Unternehmens gesprochen. Zum Beispiel kann ich mich an einen längeren Abend in Abu Dhabi erinnern, wo eine große Rüstungsmesse stattfand (eine wirklich skurrile Veranstaltung, aber davon erzähle ich ein anderes Mal). Die Argumentation der Rheinmetall-Leute ging immer in etwa so: Wenn die Bundeswehr schrumpfen soll, also weniger Panzer braucht, müssen wir unser Zeug ja irgendwohin verkaufen, wenn wir überleben wollen. Und dafür stellt Ihr uns dann an den Pranger.


Kanzler auf Gepard.

Kanzler auf Gepard.


Foto: Axel Heimken / AFP

Zusammenfassend kann man sagen, dass die deutsche Rüstungsindustrie sich lange sehr ungerecht behandelt fühlte, weil sie zwar gebraucht wurde, man aber möglichst wenig mit ihr zu tun haben wollte. Die Rüstungsleute fühlten sich als Schmuddelkinder.

Der russische Überfall auf die Ukraine hat das geändert, er hat die Deutschen daran erinnert, dass Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe schreckliche Dinge anrichten können, zur Verteidigung aber ganz nützlich sind. Und dass die Bundeswehr vielleicht ein bisschen mehr können sollte, als Sandsäcke zu stapeln oder Impfzentren am Laufen zu halten. Neulich hat sich der Kanzler mit einem Gepard fotografieren lassen, einem Flugabwehrpanzer. Das sagt eigentlich alles.

Im Frühsommer habe ich Armin Papperger, den Rheinmetall-Chef, auf einem Fest hier in Berlin gesehen. Er wirkte von Weitem ziemlich zufrieden. Er wird jetzt gebraucht. So sind die Zeiten.

Besuch aus Brüssel

In Murnau tagt heute, das wurde hier gestern schon erwähnt, der geschäftsführende Vorstand der Unions-Bundestagsfraktion. So eine Klausur bedeutet viel Organisation, manchmal auch Improvisation. Am Montag zum Beispiel stand der Stargast des heutigen Freitags offenbar noch gar nicht fest.

So zumindest liest sich der interne Ablaufplan zur Klausur, Stand 29. August. Unter dem Tagesordnungspunkt »Klarheit für eine stabile globale Ordnung« war dort noch eine Person namens »N.N.« angekündigt: Irgendwann nach 10 Uhr »Ankunft von N.N.«, danach »Bilder Begrüßung N.N.«, später ein Pressestatement (»Uhrzeit je nach Aufenthaltsdauer N.N.«).


N.N.

N.N.


Foto: Francisco Seco / AFP

Nun ist klar, wer N.N. ist: Ursula von der Leyen kommt nach Murnau. Man darf davon ausgehen, dass die Begeisterung der Abgeordneten, vor allem bei denen der CSU, sich in eher engen Grenzen hält. Man kennt sich, man mag sich nicht. Aber vielleicht war einfach kein anderer internationaler Stargast mehr zu bekommen? Man hat es nicht immer leicht in der Opposition.

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Ukrainischer Frachter blockiert Bosporus, Kiew fordert Kampfpanzer: Nach einem Ruderschaden ist ein ukrainisches Schiff an heikler Stelle auf Grund gelaufen. Selenskyj beschuldigt Russen, Journalisten auszusperren. Und: Atomexperten wollen in Kraftwerk bleiben. Das geschah in der Nacht.

  • IAEA-Delegation inspiziert AKW Saporischschja: Wegen neuer Gefechte hatte sich die Ankunft der Inspektoren verzögert, nun kann die Internationale Atomenergiebehörde ihre Arbeit aufnehmen. Offenbar läuft in dem Kraftwerk nur noch ein Reaktor.

  • Fünf Nachbarländer Russlands planen Visabann: Die EU will das Abkommen über Visaerleichterungen mit Russland aussetzen. Polen, Finnland sowie den baltischen Ländern geht das nicht weit genug. Sie wollen die Vergabe so weit wie möglich reduzieren – zur »Abschreckung«.

  • Kommentar – Lasst die Russen rein! Der Wunsch, die russische Bevölkerung wegen Putins Krieg mit Reiseverboten zu bestrafen, ist verständlich, aber falsch. 

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Welches der folgenden Länder teilt keine Grenze mit Russland?

Gewinnerin des Tages…


Magnum-Mitgründer Robert Capa (1947 mit dem damaligen General und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower)

Magnum-Mitgründer Robert Capa (1947 mit dem damaligen General und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower)


Foto: Byron Rollins / AP

…ist die Fotoagentur Magnum, die einst von Fotografenlegenden um Robert Capa und Henri Cartier-Bresson gegründet wurde – und nun 75 Jahre alt wird. Ich gebe zu, das wäre an mir vorbeigegangen, hätte mich nicht meine Kollegin Eva Thöne aus dem Kulturressort darauf aufmerksam gemacht. Weshalb ich hier zum Schluss an Eva übergeben möchte:

»Eine Frauenquote könnte Magnum vermutlich auch heute noch guttun (nur zwölf Frauen sind unter den 99, die es seit der Gründung zu festen Mitgliedern brachten), aber gleichzeitig entstanden bei der Agentur seit 1947 zig Arbeiten, die sich ins visuelle Gedächtnis der Welt eingeschrieben haben – viele von Capas Fotos aus dem Zweiten Weltkrieg etwa, auch Stuart Franklins Bild von dem Mann auf dem Tiananmen-Platz, der sich 1989 den Panzern entgegenstellte und so Widerstand leistete gegen die chinesische Staatsmacht.

Die Arbeit von Fotografen ist heute anders. Instagram kills the Photo Star? Klar ist für mich: Angesichts der Weltlage und Fake Pics, die es ja genauso gibt wie Fake News, ist seriöser Bildjournalismus so wichtig wie nie zuvor.

Der SPIEGEL ist in diesem Jahr Kooperationspartner von Magnum – über die Arbeit in Krisengebieten, aber auch über die Herausforderungen in einer digitalen Welt sprechen vier SPIEGEL-KollegInnen mit Magnum-Fotografen am Samstag auf der Berlin Photo Week . Ein Besuch lohnt sich sicher.«


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht



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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Christoph Hickmann

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