Über vieles haben Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gestritten, als sie die Coronaregeln für den Herbst vereinbarten. Nur bei der Maskenpflicht waren sie sich dem Vernehmen nach erstaunlich einig . Sie galt beiden Ministern als sicheres Mittel des Infektionsschutzes, das Bürgerinnen und Bürgern nicht zu viel Einschränkungen auferlegt.
Ein paar Aufnahmen drohen diesen kleinsten gemeinsamen Nenner nun ins Wanken zu bringen. Die Bilder entstanden auf dem Flug von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) nach Kanada. Auch Journalistinnen und Journalisten im Regierungsflieger sind darauf zu sehen. Niemand trägt Maske, dabei ist die in deutschen Flugzeugen doch eigentlich vorgeschrieben.
Die Aufnahmen sind nicht nur deshalb besonders ungünstig für die Bundesregierung, weil gerade in vielen Teilen Deutschlands die Sommerferien enden und Urlauber den Vorschriften entsprechend mit Maske den Rückflug Richtung Heimat antreten.
Wie kann man etwas einfordern, an das man sich selbst nicht hält?
Die Bilder fallen auch in eine Woche, in der das Kabinett den Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschließen will, das ebenjene Maskenpflicht im Flugzeug vorschreibt. Nicht nur auf Twitter wird nun die Frage laut: Wie kann man etwas einfordern, an das man sich selbst nicht hält?
Auch für den Kompromiss der Ampelkoalition ist der Vorfall problematisch. Er kommt passend für all jene Abgeordneten in der FDP, die auch die Maskenpflicht als eine Form der Freiheitseinschränkung sehen.
Mehrere FDP-Parlamentarier meldeten sich umgehend auf Twitter zu Wort, ebenso wie AfD-Abgeordnete. Es sei »schwierig«, nach den Bildern aus dem Regierungsflieger eine Maskenpflicht noch zu rechtfertigen, schrieb der FDP-Abgeordnete Olaf in der Beek. Eine »Zweiklassengesellschaft« dürfe es nicht geben. Nach den Bildern aus dem Regierungsflieger könne es keine allgemeine Maskenpflicht in Flugzeugen mehr geben, schrieb Gerald Ullrich .
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Etwas vorsichtiger äußert sich Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. »Die Bilder aus dem Regierungsflugzeug werfen ein sehr unglückliches Licht auf die Regierungsvertreter und werfen Fragen zum Infektionsschutzgesetz auf«, sagte er dem SPIEGEL. Es sei wichtig, dass die Maßnahmen nachvollziehbar, praxistauglich und transparent seien. »Gerade was die verschärfte Maskenpflicht im Fern- und Flugverkehr anbelangt, sehe ich Nachbesserungsbedarf.«
»Elitäre Doppelmoral«
Deutlicher wurde FDP-Vize Wolfgang Kubicki: »Die Bilder aus dem Regierungsflugzeug hinterlassen für viele Menschen im Land den Eindruck der elitären Doppelmoral«, sagte er dem SPIEGEL. Kubicki spielt in der Coronalage eine Sonderrolle in seiner Partei, wenngleich auch eine, die auf manche Zustimmung bauen kann: Er kämpfte gegen den Versuch, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, und setzt auch beim Maskentragen seit Längerem auf Freiwilligkeit.
Seine Kritik richtet sich auch auf die im Regierungsflieger mitgereisten Medienvertreter. Es sei »besonders irritierend«, so der FDP-Politiker, dass ein »großer Teil« der mitgereisten Journalisten noch in der vergangenen Woche mit FFP2-Maske in der Bundespressekonferenz mit Scholz gesessen hätte, die live im Fernsehen übertragen wurde. »Dort wussten aber alle, dass die Bilder öffentlich gezeigt werden«, sagt Kubicki mit ironischem Unterton.
Angesichts der nunmehr aufgetauchten Fotos fordert Kubicki Konsequenzen: »Ich halte es für dringend angezeigt, die Maskenpflicht im Flugzeug und in der Bahn zu beenden, wir sind in Europa auf diesem Weg mittlerweile alleine unterwegs.«
FDP-Fraktionschef Dürr will Nachbesserung prüfen
FDP-Fraktionschef Christian Dürr verwies am Dienstag gegenüber dem SPIEGEL auch auf den Kabinettsentwurf zum Infektionsschutzgesetz. Sobald das Kabinett die endgültige Fassung des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet habe, »werden wir uns mit unseren Koalitionspartnern absprechen und prüfen, wo Nachbesserungsbedarf besteht«. Nach Informationen des SPIEGEL will sich das Kabinett den Entwurf am 24. August verabschieden.
Dürr erklärte weiter, die Debatte um die Maskenpflicht in Flugzeugen sei ein Beispiel, wo die FDP noch Prüfungsbedarf sehe. »Sollte es nicht beispielsweise auch auf kommerziellen Flügen Testausnahmen geben? Und wie sieht es eigentlich mit der europäischen Einheitlichkeit aus? Zu diesen und anderen Fragen werden wir uns auch mit Sachverständigen beraten«, so der FDP-Fraktionschef im Bundestag.
Rein formal wurden bei dem Kanzlerflug die geltenden Coronaregeln eingehalten. Anders als zivile Airlines wie die Lufthansa hatte die Luftwaffe, die die Regierungsmaschinen betreibt, im Laufe des Sommers die Schutzvorschriften für die sogenannte Weiße Flotte der Regierungsjets Schritt für Schritt gelockert und an die aktuelle Infektionslage angepasst.
Für die Bundeswehr-Besatzung und die Flugbegleiter gilt laut der jüngsten Version des einschlägigen Geschwaderbefehls zwar während des ganzen Flugs die Pflicht, eine medizinische Maske zu tragen. Für die Reisenden, in diesem Fall Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck, deren Mitarbeitende sowie mitfliegende Journalistinnen und Journalisten, allerdings bestimmt der sogenannte Bedarfsträger die Regeln für jeden einzelnen Flug – in diesem Fall also das Bundeskanzleramt.
Vor dem Flug nach Kanada teilte das Kanzleramt der Luftwaffe mit, dass man von einer Maskenpflicht für die Passagiere absehen könne, da alle Passagiere einen aktuellen Negativ-PCR-Test vorlegen müssten und das Risiko für eine Ansteckung minimal sei. Folglich wurden die Passagiere vor Abflug auch nicht von der Crew darauf hingewiesen, dass eine Maske zu tragen sei.
Dass Regierungsmitgliedern eine bestimmte Verantwortung und Vorbildfunktion zukommt, ist eine andere Sache – und wenn Regeln, die man von anderen einfordert, selbst missachtet werden, ist Kritik berechtigt. Auch der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bekam das seinerzeit zu spüren, als er sich zu Beginn der Pandemie trotz Abstandsregeln mit mehreren Menschen im Fahrstuhl einer Gießener Klinik drängte.
Als »nicht glücklich« bezeichnet Spahn im SPIEGEL-Spitzengespräch nun den Vorgang im Regierungsflieger. »Da gibt’s ja nichts drum herumzureden. Ich habe es ja selbst auch erlebt, die recht hohe Vorbildfunktion, die erwartet wird, besonders in den Coronaregeln und -fragen.«
»Selten war die Widersprüchlichkeit der Coronapolitik so greifbar«
Die Opposition nutzt die aktuelle Diskussion, um einen weiteren Aspekt der Coronamaßnahmen anzugreifen: das verwirrende Dickicht an Regeln. Die Debatte zeige, »wie absurd und undurchschaubar die Vorschläge der Bundesregierung mittlerweile sind«, sagt Tino Sorge, in der Unionsfraktion für Gesundheitspolitik zuständig. »Während die Ampel über die Maskenpflicht verhandelt, hat sie für Regierungsflüge eine Testpflicht etabliert. Selten war die Widersprüchlichkeit der Coronapolitik so greifbar.«
In der Ampelkoalition hält man sich mit öffentlichen Kommentaren so kurz vor der Kabinettssitzung am Mittwoch dagegen zurück – auch wenn kaum jemand die Bilder aus dem Regierungsflieger besonders glücklich findet. Nicht nur Gesundheitspolitikerinnen und Politiker der Grünen wollen ihre Meinung für sich behalten, auch viele höherrangige Mitglieder von FDP und SPD sagen nichts zum Thema.
Entscheidend für die Debatte wird nun sein, was das Kabinett beschließt – und welche Regeln sonst im Herbst gelten sollen. Das immerhin ist in groben Zügen schon bekannt: Einige andere Lockerungen im Infektionsschutzgesetz sind offenbar vorgesehen.