Im Wirtschaftsministerium in Berlin dürften dieser Tage regelmäßig Briefe wütender und verzweifelter Bürgermeister eingehen. Die steigenden Energiepreise lassen sie zum Briefpapier greifen.
Kommunalpolitiker von der Insel Rügen hatten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits Ende Juni per Brandbrief die Öffnung der Gaspipeline Nord-Stream-2 nahegelegt, aus dem sächsischen Reichenbach folgte Anfang August ein Schreiben, das die Wiederaufnahme von wirtschaftlichen Verhandlungen mit Russland forderte. Jüngst meldeten sich auch Handwerker aus Sachsen-Anhalt per Brief, sie fürchteten ein Ende ihres »schwer erarbeiteten Lebensstandards«.
Brandbrief aus dem Erzgebirge
Der neueste Brandbrief kommt aus Schneeberg – und birgt politischen Sprengstoff. Denn die 15 Unterzeichnenden kommen aus allen Lagern von ganz rechts bis ganz links. Neben dem Bürgermeister hat der gesamte Stadtrat das Schreiben an Habeck unterzeichnet, insgesamt 22 Politikerinnen und Politiker von der CDU, den Freien Wähler und der Linken – und der AfD. Die in der Vergangenheit viel beschworene »Brandmauer gegen Rechts« ist in dem Brief gefallen.
Im Schreiben beklagt Schneebergs Bürgermeister Ingo Seifert die steigenden Energie- und Rohstoffpreise und kritisiert die Energiepolitik der Ampel scharf. Mit der beschlossenen Gasumlage nehme die aktuelle Entwicklung »bedrohliche Ausmaße an«, schreibt Seifert. Unternehmen und Privathaushalte würden die finanziellen Belastungen schon bald nicht mehr tragen können. Seifert sieht vor allem den Mittelstand gefährdet, der sei bislang »Garant für sozialen Frieden« gewesen.
Die von der Regierung angesichts der Preisexplosion angeregten Energiespartipps bezeichnet Seifert als »Alibimaßnahmen«. Um die Bürgerinnen und Bürger im Winter zu entlasten, müssten die Sanktionen gegen Russland infrage gestellt werden und eine Rückkehr zu fossilen Energieträgern wieder in Erwägung gezogen werden. Das Schreiben will Seifert bewusst als »Hilferuf« und »überparteilich« verstanden wissen, es zeichne das »Stimmungsbild aus der Bevölkerung und der heimischen Wirtschaft«. Neben mehreren Stadtratsfraktionen wird das Schreiben auch von lokalen Unternehmen mitgetragen.
Das Schreiben mag in seiner Tonalität seriös verfasst worden sein – vor allem in linken Netzwerken auf Twitter und Facebook sorgt es aufgrund der mitunterzeichnenden AfD-Fraktion nun für Empörung. Unter anderem die linke Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss forderte ihren Nachbarlandesverband zu »Konsquenzen« auf, die Sprecherin der Linksjugend, Sarah Dubiel, attestierte ihren sächsischen Genossinnen und Genossen: »Geht gar nicht!«
Sächsische Linke will die Hintergründe »prüfen«
Der Landesverband der Linken war auf Twitter rasch um Schadensbegrenzung bemüht. »Wir haben diesen Brief nicht unterschrieben und wir hätten es auch nicht«, heißt es in einem Tweet. Dass die beiden Schneeberger Genossen hingegen unterzeichnet haben, argumentiert der Landesverband damit, dass diese nicht gewusst hätten, dass auch die AfD-Fraktion angefragt wurde. Inhaltlich kritisiert der Landesverband den Brief nicht, »prüft« nun aber die Hintergründe.
Die Linke müht sich bereits seit einigen Wochen um Distanz nach rechts. Schon seit Wochen mobilisieren rechtsextreme und verschwörungsideologische Gruppen für Proteste im Herbst, auch die Linkenführung hat einen »heißen Herbst« ausgerufen – will jedoch nicht Seite an Seite mit rechten Gruppen laufen. In Verschwörungsgruppen hoffen dennoch manche auf eine »breite Querfront« der Extremen von links bis rechts.
Jüngst hatte bereits der Leipziger Linke Sören Pellmann die Bürgerinnen und Bürger in den ostdeutschen Ländern am Montag zu Montagsdemonstrationen gegen die geplante Gasumlage aufgefordert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hatte daraufhin seine Linkspartei davor gewarnt, gemeinsame Sache mit Rechtsradikalen zu machen. Bei sozialen Protesten sei »die Abstandsregel zu rechtsradikalen Organisatoren« zu beachten, so Ramelow.