1. Putzige Idee
Bald sind die zehn Gasspargebote komplett. Das erste Gebot »Du sollst nicht warmduschen!« predigt die Politik schon lange. Auch Nummer zwei, drei und vier »Du sollst den Duschkopf auswechseln!«, »Du sollst die Heizung runterdrehen!« und »Du sollst regelmäßig das Eisfach abtauen!« dürften sich inzwischen herumgesprochen haben. Cem Özedmirs »Du sollst weniger Fleisch essen!«, um den Kampf gegen Putin zu unterstützen, wird vermutlich erst nach der Grill-Saison beherzigt werden.
Leichter zu befolgen ist der Vorschlag zum Gassparen, den ein anderer Grüner aus Baden-Württemberg heute gemacht macht. Ministerpräsident Winried Kretschmann findet, man müsse nicht dauernd duschen: »Auch der Waschlappen ist eine brauchbare Erfindung.«
Vor ihm hatte sich die grüne Umweltsenatorin Berlins, Bettina Jarosch, ähnlich geäußert: »Ich mache morgens nur Katzenwäsche.« So lasse sich nicht nur Wasser, sondern auch Zeit und Energie sparen.
Meine Kollegin Isabell Hülsen, Wirtschafts-Ressortleiterin, kommentierte bereits vor zwei Monaten: »Der Duschkopf als Waffe im Gaskrieg gegen Putin? Wie niedlich.« Selbst wenn Deutschland kollektiv die Armaturen auswechseln oder öfter den Waschlappen schwingen würde: »Die Gasspeicher füllt das nicht, wenn aus Russland nichts mehr kommt. Der Anteil der privaten Haushalte am Gasverbrauch beträgt im Sommer gerade mal rund zehn Prozent. Würden davon in kollektiver Kraftanstrengung zehn Prozent gespart, wäre der Gesamteffekt dennoch gering«, so Hülsen.
Neben Appellen zum freiwilligen Energiesparen will die Regierung ab sofort mit einer Reihe von Maßnahmen den Druck verstärken. Ab September soll eine entsprechende Verordnung in Kraft treten, die unter anderem vorsieht, dass Einzelhändler die Türen ihrer Geschäfte geschlossen halten sollen, Werbung nachts nicht leuchten darf und private Schwimmbäder nicht mehr mit Strom oder Gas beheizt werden .
Am Arbeitsplatz darf laut neuer Energiesparverordnung nur noch bis höchstens auf 19 Grad geheizt werden. Wem im Winter kalt wird, der darf sich gerne an eine Idee der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnern, die im Klassenzimmer frierenden Schülerinnen und Schülern zu Beginn der Corona-Pandemie geraten hatte: »Vielleicht macht man auch mal eine kleine Kniebeuge oder klatscht in die Hände.«
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Lesen Sie hier mehr: Regierung setzt Energiesparplan für die kommenden Monate auf
2. Krisenkommunikation
Ein falscher Satz, und die Karriere ist beendet. Oder ein paar unterlassene Sätze, und der Ärger ist groß. Das erlebt gerade der Bundeskanzler, der nicht widersprochen hat, als der Präsident der Palästinenser, Mahmoud Abbas, im Kanzleramt eine antiisraelische Tirade hielt und dabei den Holocaust relativierte.
Heute nun musste sich Olaf Scholz zum zweiten Mal den Fragen im Hamburger Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal stellen. Sie untersuchen, ob er oder andere führende SPD-Politiker Einfluss auf die steuerliche Behandlung der Warburg Bank genommen haben. (Mehr zur Chronologie der Ereignisse um die Warburg-Affäre finden Sie hier.)
»Politische Kommunikation ist das gefährlichste Sprechen und Schweigen, das es gibt«, schreibt mein Kollege Dirk Kurbjuweit aus unserem Hauptstadtbüro. In der SPIEGEL-Titelgeschichte hat Kurbjuweit untersucht, mit welchen rhetorischen Kniffen der Wirtschaftsminister versucht, die Deutschen in der Krise für sich einzunehmen. Auf viele wirkt Habeck wie der bessere Kanzler. Das ZDF-Politbarometer misst regelmäßig die Zufriedenheit der Deutschen mit ihrem politischen Spitzenpersonal. Auf den hinteren Plätzen des Rankings tummeln sich Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) und Christian Lindner (FDP). Ganz oben thront Robert Habeck, gefolgt von seiner grünen Parteikollegin Annalena Baerbock.
Was macht Habeck also anders als die anderen? Vor allem trägt er einen neuen Ton in die Politik, schreibt Titel-Autor Dirk Kurbjuweit. »16 Jahre wurde Deutschland von einer Kanzlerin regiert, die sich einer offenen Kommunikation verweigert hat, die Debatten scheute, die kaum Einblicke in ihr Seelenleben zuließ, die sich öffentlich einer erstarrten Sprache bediente«, analysiert er. Auf Angela Merkel folgte Scholz, der es nicht viel anders mache, der trotz Krieg, Inflation, Corona, Klimakrise wärmende Worte meide. Deutschland sei »unterzuckert, was die Ansprache durch seine Spitzenpolitiker angeht«.
Habecks Stärke sei, so Kurbjuweit, »dass er vieles in sich vereinbaren kann, die wattigen Grübeleien, das Markige des Kombattanten, die Geduld des Erklärers, die Entschiedenheit des Machers«. Ein Problem aber liege in der Häufigkeit, mit der Habeck den zerknirschten Zweifler und aufrichtigen Politik-Erklärer gibt. Julian Müller, Soziologe, und Astrid Séville, Politologin, mit denen Kurbjuweit Habecks Auftritte und Reden gemeinsam analysiert hat, glauben, »dass sich öffentlicher Zweifel verbraucht, dass er eines Tages nur noch nervt und als Masche gilt«.
Die Anfrage des SPIEGELs, mit Habeck über seine Art der Kommunikation zu reden, lehnte seine Sprecherin übrigens mit dem Argument ab, der Minister habe in diesen Zeiten Wichtigeres zu tun. Das mag ehrlich gewesen sein, vielleicht war es aber auch ein bisschen geflunkert. In jedem Fall ist es ein geschicktes, kommunikatives Ausweichmanöver.
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Lesen Sie hier mehr: Die fünf Gesichter des Robert Habeck
3. Keine Experimente
Im Süden Deutschlands wird es in den nächsten Stunden sehr ungemütlich werden. Bäche könnten ansteigen, Keller volllaufen. Der Wetterexperte Jörg Kachelmann, der für uns regelmäßig über das Wetter schreibt, warnt: »Bitte keine Experimente!« Es werde zwar »nicht die Ahrflut, aber man muss halt aufpassen, dass man nicht im Keller rumsteht und guckt, ob es schon suppt oder das Auto in die Tiefgarage fahren, damit es nicht nass wird. Solche deutschen Tugenden können tödlich sein«.
Gestern hatten heftige Unwetter bereits in Österreich gewütet. An einem Badesee in Kärnten kamen zwei Mädchen ums Leben. Weiter nördlich wurden im niederösterreichischen Gaming drei weitere Personen von einem Baum erschlagen. Stürme und Gewitter legten vielerorts den Verkehr lahm. Es kam zu Stromausfällen.
Erst die Waldbrände im Osten Deutschlands, dann das Niedrigwasser am Rhein und das immer noch mysteriöse Fischsterben an der Oder. Jetzt drohende Unwetter im Süden. Der Klimawandel macht mir langsam Angst vor dem Wort »Sommerferien«. Die sechs Wochen zwischen Juli und August gehörten früher zu den schönsten des Jahres. Nun stellt sich mit jeder Wettervorhersage das beklemmende Gefühl ein, der Welt beim Untergehen zuzusehen. Noch verwenden Meteorologen den Begriff »heiter«, wenn sie ausdrücken wollen, dass das Wetter vor allem durch Sonnenschein bestimmt wird. Bald werden sie sich nach einem neuen Adjektiv umschauen müssen.
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Lesen Sie hier mehr: Bitte keine Experimente!
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Bundesregierung unterstützt Palästinenser mit 340 Millionen Euro: Nach der Holocaustäußerung von Palästinenserpräsident Abbas wurden Forderungen nach finanziellen Konsequenzen laut. Doch die Bundesregierung gewährt den Palästinensern weiter humanitäre Hilfe.
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FDP empört über Kubicki: Es gebe »keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen«, sagte FDP-Vize Kubicki in einem Interview. In seiner Partei sehen das viele anders – unter anderem Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
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Erstmals zwei Frauen in Mossad-Spitzenpositionen: Beim israelischen Geheimdienst übernehmen zwei Frauen Leitungsfunktionen. »A« soll sich als Direktorin auch um das iranische Nuklearproblem kümmern.
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Spanien hat ein neues »Stonehenge«: Eigentlich sollte auf dem Gelände in Andalusien eine Avocadoplantage entstehen. Doch daraus wird wohl nichts, nachdem Archäologen das Gebiet untersucht haben.
Meine Lieblingsgeschichte heute: »Wofür tun wir das, wer braucht das?«
Schon lange ist mir kein Interview zum Leid des Krieges in der Ukraine so nahe gegangen wie das Gespräch, das meine Kollegin Alexandra Rojkov mit einem 34-jährigen russischen Fallschirmjäger geführt hat.
Pawel Filatjew glaubte, sein Land zu verteidigen – und fand sich in einem brutalen Angriffskrieg wieder. Für den seine Armee auch noch schlecht ausgerüstet war.
»Ich sitze hier und bin am Leben, aber in meiner Kompanie gab es Menschen, die jung gestorben sind. Und wofür? Damit es der Ukraine schlechter geht? Was für ein bescheuerter Grund ist das?«, findet Filatjew. Er entschloss sich zu einem außergewöhnlichen Schritt: Er schrieb ein Buch über seine Erlebnisse in der Ukraine. Auf 141 Seiten erzählt er darin ungeschönt von den Problemen der russischen Armee und seiner eigenen Abscheu vor der »Spezialoperation«. Filatjews zentrale Erkenntnis: »Wir hatten kein moralisches Recht, ein anderes Land zu überfallen.« Vor einigen Wochen stellte er das Buch kostenlos ins Netz . Eigentlich wollte der Soldat ursprünglich in Russland bleiben und auf seine Anklage warten. Diese Woche hat er seine Meinung geändert und seine Heimat verlassen. Während des Gesprächs mit Alexandra Rojkov befand sich Filatjew an einem unbekannten Ort.
»Um seine Geschichte zu stützen, hat Filatjew Fotos und Dokumente geschickt, die seinen Einsatz belegen sollen«, schreibt Alexandra. »Es wäre das erste Mal, dass ein russischer Soldat derart offen über den Angriff auf die Ukraine berichtet. Filatjew hat sein Buch veröffentlicht, obwohl er wusste, dass er womöglich einen hohen Preis zahlen muss.« Auf Kritik an den russischen Streitkräften stehen bis zu 15 Jahre Haft.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Wofür tun wir das, wer braucht das?«
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Guterres warnt vor Trennung von AKW vom ukrainischen Stromnetz: Auf seiner Ukrainereise besucht Uno-Generalsekretär António Guterres den Hafen von Odessa und macht sich ein Bild der Getreideexporte. Zudem reagiert er auf Gerüchte, Russland plane das AKW Saporischschja abzuschalten.
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Putin-Fan und Rapper Timati eröffnet erste Caféfiliale in Moskau: Er bezeichnet Wladimir Putin als »Superhelden« und lobt Moskau dafür, dass es dort keine »Schwulenparaden« gebe. Jetzt hat der Rapper Timati das neue Logo von 130 ehemaligen Starbucks-Cafés in Russland präsentiert.
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»Töte im Namen Russlands, und du bekommst die Freiheit«: Putins Truppen erleiden in der Ukraine hohe Verluste. Um die Reihen aufzufüllen, sucht die berüchtigte Wagner-Truppe in Strafkolonien nach neuen Kämpfern. Auf die Rekruten warten Geld, Amnestie und Orden – oder der Tod.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Wie Lutz D. mutmaßlich zu einem der größten illegalen Medikamentenhändler der Welt wurde: Wer verschreibungspflichtige Präparate ohne Rezept sucht, bekommt sie günstig bei fragwürdigen Anbietern im Internet. Ein Fall aus Deutschland gibt tiefe Einblicke in ein Milliardengeschäft .
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»Anfangs standen Sicherheitsleute der russischen Botschaft vor unserer Tür«: Seit vier Monaten leitet Egbert Laege für den Bund die frühere Gazprom Germania. Seine Aufgabe: die Firma retten. Und die Republik warm durch den nächsten Winter bringen .
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Die dubiosen Geschäfte des HSV-Vorstands: Der HSV will endlich zurück in die erste Liga, das nötige Geld soll Finanzchef Thomas Wüstefeld beschaffen. Doch der Medizinunternehmer hat ganz andere Probleme. Geschäftspartner werfen ihm Betrug und Untreue vor .
Was heute weniger wichtig ist
Wer schön sein will: Nach einer verunglückten Schönheitsbehandlung feiert das ehemalige Supermodel Linda Evangelista, 57, in der »Vogue« ihr Comeback. Beim Fotoshooting fürs Cover halfen offebar einige Tricks. Ihr Kiefer und ihr Hals wurden leicht mit Klebeband und Gummibändern zurückgezogen. Die Folgen des Eingriffs beschäftigen sie noch immer: »Wenn ich gewusst hätte, dass zu den Nebenwirkungen gehört, dass man seine Existenz verliert und so depressiv wird, dass man sich selbst hasst, hätte ich das Risiko nie in Kauf genommen.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Ich danke, dass da noch einiges auf uns zukommen wird.«
Cartoon des Tages: Geheimwaffe
Illustration: Chappatte
Und am Wochenende?
Foto: Twitter/Visegard24
Wie wäre es statt mit einem Feierabend-Bier mit einer Feierabend-Party bei Ihnen zu Hause im Wohnzimmer? Ist schließlich bald Wochenende. Die finnische Premierministerin Sanna Marin macht in diesem Video vor, wie es geht.
Seitdem ihr Party-Video geleaked wurde, muss sich Marin zwar öffentlich rechtfertigen, dass sie keine Drogen genommen, sondern nur Alkohol getrunken habe. Es bleibt aber ein Skandal, um den sie der deutsche Kanzler Olaf Scholz beneiden dürfte. Er könne sich nicht an den Inhalt seiner Gespräche als Hamburger Bürgermeister mit jenem Bankchef erinnern, von dem die Stadt später eine mehrere Millionen hohe Steuernachzahlung nicht einforderte, sagte er heute bei seinem erneuten Auftritt vor dem Cum-Ex-Untersuchungsausschuss, berichtet mein Kollege Christian Teevs.
Wenn Scholz mit den Bankern Party nach finnischem Vorbild gemacht hätte, wären seine Erinnerungslücken glaubhaft. So aber bleiben sie ein schlechter Witz.
Ein schönes Wochenende wünscht,
Ihre Anna Clauß
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