1. In guten wie in schlechten Zeiten
Die Liebe gehört zu den größten Naturgewalten der Welt – trotzdem berichten wir als Nachrichtenorganisation nur selten über sie. Wenn, dann meistens erst in dem Moment, da sie sich im Leben zweier Menschen in Luft aufgelöst hat. So wie im Fall von Natalia und Vitali Klitschko, die sich, wie heute bekannt wurde, scheiden lassen wollen. Gestern gehörte die Nachricht vom Ehe-Aus zwischen “Tatort”-Kommissarin Maria Furtwängler und Hubert Burda zu den meistgelesenen Texten des Tages.
Vermutlich verlieben sich am Tag mehr Menschen als sich scheiden lassen, weil heimliches Herzklopfen in der Regel schneller real wird als klare Trennungsstriche. Die Scheidung der Klitschkos und der Furtwängler-Burdas sorgt auch weniger wegen des damit verbundenen Dramas für Aufmerksamkeit – beide Paare erwecken glaubhaft den Anschein, im Guten auseinanderzugehen. Was beide Fälle vergleichbar und auf traurige Art besonders macht, ist die Trennung nach so langer Zeit. Natalia und Vitali Klitschko sind seit über 25 Jahren verheiratet, Maria Furtwängler und Hubert Burda haben zusammen sogar über 30 Ehejahre durchlebt. Das ist in Zeiten, in denen fast jede zweite Trauung in Deutschland eines Tages wieder annulliert wird, ziemlich viel.
In nur 16 Prozent aller Scheidungen hierzulande waren die Paare mehr als 25 Jahre verheiratet. Im Durchschnitt scheitern Ehen hierzulande nach 14 Jahren und sechs Monaten.
Für Aufmerksamkeit sorgt im Falle der Klitschko-Trennung natürlich der Zeitpunkt, mitten im Ukrainekrieg. Es ist noch nicht lange her, da sang Natalia Klitschko auf einem Friedenskonzert vor dem Brandenburger Tor die Ballade »Better Day«. Sie wohnt schon länger in Hamburg und engagiert sich medienwirksam für Geflüchtete aus der Ukraine. Vitali Klitschko ist als Bürgermeister von Kiew nicht nur eine Symbolfigur, sondern ein wichtiger Akteur im Kampf gegen Putins Angriff. Wer sich vorgenommen hat, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein, wird sicher gute Gründe haben, die Ehe mitten im Krieg zu beenden. Allein, ich kenne sie nicht.
Was ich aber weiß: Man kann sich nach über 30 Jahren Beziehung nicht nur trennen – sondern auch heiraten. Haben meine Nachbarn vor einem Monat getan. Der Grund für die Hochzeit der rund 50-Jährigen nach so langer Zeit: Themen wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung oder das Notvertretungsrecht im medizinischen Ernstfall sei unter Eheleuten leichter zu regeln. An fehlender Romantik wird diese Ehe sicherlich niemals scheitern.
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Lesen Sie hier mehr: »Die Kinder sind bereits erwachsen und das Leben geht weiter«
Und hier Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Moskau macht »Saboteure« für Explosion auf der Krim verantwortlich: Erneut eine Explosion, wieder auf der annektierten Krim: Ein Munitionsdepot brennt, der Zugverkehr kam zum Erliegen. Das russische Verteidigungsministerium sieht angeblich Saboteure am Werk.
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Russische Flotte kann Schwarzes Meer offenbar nicht mehr kontrollieren: Die russischen Seestreitkräfte sind laut London nur noch eingeschränkt in der Lage, die Invasion der Ukraine zu unterstützen. Das liege auch am Verlust des Flaggschiffs »Moskwa«. Odessa drohe von See keine Gefahr mehr.
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Militärexperte aus Russland gibt erhebliche Schwächen der Kremlarmee zu: Veraltete Sowjetpanzer gegen moderne Nato-Systeme, kaum genügend Soldaten: Der kremltreue Analyst Ruslan Puchow hat in ungewohnter Schärfe die eigene Armee kritisiert. Und skizziert, wann sie gänzlich scheitern könnte.
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»Er wurde nur verhaftet, um einen Gefangenenaustausch zu erzielen«: Seit 2018 sitzt der Amerikaner Paul Whelan in russischer Haft. Hier erzählt sein Bruder David, wie es ihm geht – und welche Chancen er hat, nun gemeinsam mit der Basketballerin Brittney Griner freizukommen .
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Finnland beschneidet Visavergabe an Russen drastisch: Russische Touristen sind in Finnland nur noch in reduziertem Umfang willkommen: Das Land schränkt die Visavergabe auf ein Zehntel der bisherigen Menge ein. Auch die Kosten sollen offenbar steigen.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
2. Über Gewinn in Zeiten der Not
Nicht alles wird immer teurer: Letzte Woche konnte man jedenfalls kurz Hoffnung schöpfen als bekannt wurde, dass trotz Inflation der Preis für Eis am Stiel stabil bleibe. Heute aber musste ich lesen, dass zum Schulstart Füller, Heft, Schulranzen oder Hefte bis zu 14 Prozent teurer werden. Und dass die Belastung durch steigende Preise bei einkommensschwachen Familien besonders hoch sei. Die soziale Schieflage könnte sich mit Auslaufen von 9-Euro-Ticket und Tankrabatt noch verstärken, warnt die Hans-Böckler-Stiftung.
Und was macht die Regierung? Sie erhöht die Gasumlage – zwar nur um einen Centbetrag, der sich allerdings auf den Energiekostenabrechnungen vieler Mieterinnen und Mieter mit mehreren hundert Euro bemerkbar machen wird. Man kann es gerecht finden, dass die Belastungen des Krieges in der Ukraine auf den Schultern aller Bürgerinnen und Bürger verteilt werden. Man kann es aber auch ungerecht finden, dass die Regierung keine Übergewinnsteuer einführen will, um die Krisengewinner stärker in die Verantwortung zu nehmen.
Während im Winter »auf Millionen Deutsche massiv steigende Energiekosten zukommen, machen Konzerne durch die im Zuge des Ukrainekriegs gestiegenen Preise Milliardengewinne«, schreibt mein Kollege David Böcking aus unserem Wirtschaftsressort . Der Energieversorger RWE kündigte bereits an, die sogenannte Gasumlage vorerst nicht an seine Kunden weiterzugeben. »Solche Zugeständnisse dürften auch eine Reaktion auf Rufe nach einer sogenannten Übergewinnsteuer sein, mit der zusätzliche Einnahmen infolge des Krieges abgeschöpft werden könnten«, schreibt David.
Rein rechtlich wäre eine Übergewinnsteuer auch in Deutschland möglich, zu diesem Schluss kamen die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Laut einer neuen Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit könnte sie »Einnahmen von rund 30 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr generieren«.
Klar ist: Dass die Regierung Belastungen schneller verkündet als den Inhalt eines schon seit Wochen angekündigten neuen Entlastungspakets, wird sie nicht beliebter machen.
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Lesen Sie hier mehr: Übergewinnsteuer könnte bis zu hundert Milliarden Euro einbringen
3. Was bleibt, wenn alles stirbt
Durch den Rhein fließt so wenig Wasser wie noch nie. Deutschland erlebt diesen Sommer eine Dürrekatastrophe. Ob die niedrigen Wasserpegel auch für das Fischsterben in der Oder mit verantwortlich sind, bleibt auch am heutigen Tag unklar.
Auffällige Metallwerte konnten im Wasser nicht nachgewiesen werden, geht aus den ersten Laborergebnissen des Brandenburger Landesumweltamts hervor. »Die noch nicht vollständigen und noch nicht umfassenden und abgeschlossenen Untersuchungen zu Nährstoffen lassen bisher keine Hinweise auf eine singuläre Ursache für das Fischsterben in der Oder zu«, sagt Sebastian Arnold, Sprecher des Umweltministeriums. »Weiterhin werden hohe Salzfrachten und ein hoher Sauerstoffgehalt festgestellt.«
Mein Kollege Hannes Schrader aus unserem Deutschlandressort war mit dem Naturschützer Christian Sahm an der Oder nordöstlich von Lebus unterwegs. »Vor einer Woche ging es los, am 9. August. Bei Naturschützern aus der Region Frankfurt an der Oder klingelten plötzlich die Telefone«, erinnert sich Sahm: Zuerst, erzählte er Hannes, habe er sich dabei nichts gedacht – dass bei Niedrigwasser und Hitze Fische im Fluss sterben, könne schon mal vorkommen. Aber dann seien immer mehr Anrufe gekommen. »Also setzte er sich in seinen dunkelblauen Dacia Logan, fuhr selbst an die Oder, und da sah er es: Der ganze Fluss war voll mit toten Fischen. Hier angelt erst mal keiner mehr. In Deutschland nicht – und in Polen auch nicht«, schreibt Hannes.
Vieles, was in der Oder lebte, starb. Politikerinnen fordern Aufklärung, Forscher suchen weiter nach Antworten, es gibt viel Wut auf die polnischen Behörden, die wohl schon seit Ende Juli Bescheid wussten, dass mit dem Fluss etwas nicht stimmte. Naturschützer Christian Sahm glaubt, es könnte bis zu 15 Jahre dauern, bis sich der Fluss erholt hat.
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Lesen Sie hier mehr: Fischsterben in der Oder – Messwerte haben sich schon Anfang August stark geändert
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Was heute sonst noch wichtig ist
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»Das deutsche Antidiskriminierungsrecht ist sehr schwach aufgestellt«: Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erfasste 2021 weniger Fälle, doch das hängt offenbar mit weniger Beschwerden wegen der Corona-Maskenpflicht zusammen. Die neue Bundesbeauftragte Ferda Ataman drängt auf Reformen.
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Lebenslange Haft und Psychiatrie für Trierer Amokfahrer: Er fuhr mit seinem Auto durch die Fußgängerzone und tötete sechs Menschen: Das Landgericht Trier hat gegen den 52-jährigen Amokfahrer die Höchststrafe verhängt.
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Medienmanager Hans R. Beierlein ist tot: Er war einer der Strippenzieher im deutschen Unterhaltungsgeschäft: Hans Beierlein machte Udo Jürgens zum Star, brachte Volksmusik ins Fernsehen und handelte mit Fußballrechten. Nun ist er mit 93 Jahren gestorben.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Kalter Entzug
Über ein spektakuläres Politikvorhaben in Neuseeland berichtet heute mein Kollege Marco Evers aus dem Wissenschaftsressort: Die sozialdemokratische Regierung von Premierministerin Jacinda Ardern hat sich vorgenommen, das Land bis 2025 weitgehend rauchfrei zu machen . Ardern, weltweit respektiert für ihre Coronapolitik, hält es für möglich, dass sie innerhalb von kaum drei Jahren die Zahl der verbliebenen Tabakkonsumenten mindestens halbieren kann . »Neuseeland hat sich eine wahrhaft radikale Strategie zur Tabakkontrolle zurechtgelegt, kein Staat hat so etwas je zuvor versucht«, schreibt Marco.
Ein junges Paar liegt sich bei einem Pferderennen in Christchurch in den Armen – auf die Zigarette muss die Frau möglicherweise bald verzichten
Foto: Kai Schwoerer / Getty Images
Konkret hat die Regierung Folgendes vor: Alle Menschen, die nach einem bestimmten Stichtag geboren wurden (geplant ist möglicherweise der 1. Januar 2009), sollen niemals in ihrem Leben legal Tabak kaufen können. Außerdem soll die Zahl der Verkaufsstellen für Tabak erheblich sinken. Zigaretten darf es ab 2024 nicht mehr in Kiosken, Tankstellen oder Supermärkten geben. Als Drittes soll der Nikotingehalt legaler Zigaretten drastisch reduziert werden, im Gespräch ist eine Absenkung um bis zu 95 Prozent.
Ich werde ab sofort immer an Neuseeland denken, wenn in Deutschland wieder ein Konservativer jammert, die Grünen seien eine Verbotspartei. Während die Ampel auf Bundesebene gerade an einer Cannabislegalisierung arbeitet, haben die Grünen in der Hauptstadt kürzlich vorgeschlagen, Partydrogen wie Ecstasy und Kokain zu entkriminalisieren.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Neuseeland setzt auf kalten Entzug
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Wie eine Studentin all ihr Erspartes an Europol-Abzocker verlor: Bei Millionen Menschen melden sich derzeit angebliche Strafverfolger, die ihre Opfer massiv unter Druck setzen. Mit welchen Tricks die Betrüger Menschen ihr Vermögen abjagen, zeigt ein aktueller Fall aus Leipzig .
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How to sell drugs online, ohne erwischt zu werden: Sam Bent verkaufte einst Drogen im Darknet und musste dafür ins Gefängnis. Auf einer Hackerkonferenz hat er erzählt, wie Kriminelle dabei vorgehen. Einige Maßnahmen sind gefährlich – für andere .
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Der Musterknabe: In der Pandemie wurde Rishi Sunak, der »Maharadscha der Yorkshire Dales«, zum Darling des ganzen Landes. Jetzt aber kämpft er einen fast aussichtslosen Kampf. Einer der Hauptgründe heißt Boris Johnson .
Was heute weniger wichtig ist
Schmidtnahmeeffekte: Harald Schmidt, bald 65, kennt seine Rentendaten. Weil er meist freiberuflich arbeitete, habe er nur 15 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt. Aber was dabei rauskommt, will er »knallhart« kassieren, sagte der Entertainer und Schauspieler der Nachrichtenagentur dpa. Es handelt sich um 272 Euro. »Das ist ja kein Almosen, das ist ein Deal, den ich mit dem Staat gemacht habe. Her damit!« Er sei zwar die meiste Zeit Freiberufler gewesen, aber er habe »15 Jahre voll eingezahlt«, was ihn immerhin zu dieser »Mini-Rente« berechtige.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Rauch breitete sich nach der Explosion über dem Einkaufszentrum in Eriwan auf.«
Cartoon des Tages: Energie-Umlage
Illustration: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Als wir vor ein paar Wochen die späte Hochzeit unserer Nachbarn auf ihrer Dachterrasse feierten, flog um kurz vor Mitternacht die ISS direkt über uns durch den klaren Nachthimmel. Leuchtend hell und schnell wie eine Sternschnuppe schwebte sie über uns. Es war ein zauberhafter, fast romantischer Moment – jedenfalls finde ich die Vorstellung, dass dort oben Astronauten verschiedener Nationen gemeinsam leben und forschen, in düsteren Zeiten wie diesen sehr tröstlich.
Umso betroffener machte mich heute die Nachricht, dass seit Beginn des Krieges in der Ukraine die Zukunft der Internationalen Raumstation ISS ungewiss sei. Russland hat nun den Entwurf einer eigenen Raumstation im Erdorbit gezeigt – und nährt damit Spekulationen über einen Ausstieg.
Für ISS-Fans sehr zu empfehlen ist die Apple-TV-Serie »For All Mankind«, die sich mit der Frage beschäftigt, was passiert wäre, wären die Russen vor den Amerikanern auf dem Mond gelandet . Ohne zu viel verraten zu wollen: John Lennon wäre noch am Leben – und die ISS wäre ein Hotel für Weltraumtouristen und Paare mit sehr ausgefallenen Hochzeits-Vorstellungen.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Anna Clauß
Hier können Sie die »Lage am Abend« per Mail bestellen.