Afghanistan – Jahrestag des Scheiterns
In Afghanistan ist an diesem Montag ein offizieller Feiertag. Für die Taliban. Die radikalen Islamisten haben ihn ausgerufen, der 15. August markiere den »ersten Jahrestag des Sieges des vom Islamischen Emirat Afghanistan angeführten afghanischen Dschihad über die amerikanische Besatzung und ihre Verbündeten« – so wird das sogenannte Ministerium für Arbeit und Soziales der Extremisten zitiert.
Taliban-Milizionäre in Kabul: Frauen leben wie im Gefängnis
Foto: STRINGER / EPA
Millionen Bürgerinnen und Bürgern des Landes wird nicht zum Feiern zumute sein. Mit ihrer Rückkehr an die Macht etablieren die Taliban einmal mehr ein System der Unterdrückung, Verfolgung und Rache. Es mag (noch) nicht so brutal zugehen wie während ihrer Herrschaft bis 2001. Besser macht das die Lage der Menschen am Hindukusch nicht. Dazu kommt: Das Regime ist international isoliert, die wirtschaftliche Not enorm, das Land hungert. Afghanistan ist ein Land ohne Perspektive.
Für die westliche Welt, die sich vorgenommen hatte, Afghanistan zu befrieden und zu demokratisieren, ist dieser Montag ein Jahrestag der Niederlage und des Scheiterns, militärisch, politisch und moralisch. Überstürzt und gleichsam über Nacht haben sie das Land im Sommer vergangenen Jahres sich selbst überlassen, nur Stunden brauchten die Terrormilizen, um wieder die Kontrolle über Kabul zu übernehmen. Was für ein Desaster.
Schon in den vergangenen Tagen und Wochen haben SPIEGEL-Kolleginnen und -Kollegen die Lage vor Ort beschrieben und analysiert , haben rekonstruiert, wie die Bundeswehr in den dramatischen Tagen des August 2021 als Teil einer internationalen Evakuierungsmission Tausende aus der afghanischen Hauptstadt rettete , haben Menschen getroffen, die nach Deutschland geflohen sind und nun verzweifelt die Entwicklung in ihrer 5000 Kilometer entfernten Heimat beobachten .
Besonders leiden die Afghaninnen unter der Taliban-Rückkehr. Ihre neu gewonnenen Freiheiten wurden nach und nach wieder eingeschränkt, ihr Leben gleicht einem Gefängnis. In einem Schwerpunkt widmet sich der SPIEGEL an diesem Montag der Lage der Frauen im Land. Die Geschichten können Sie heute auf SPIEGEL.de lesen:
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Meine Kollegin Britta Sandberg hat die Fotografin Roya Heydari getroffen , die vor den Taliban nach Paris fliehen und ihre Familie in Kabul zurücklassen musste.
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Susanne Koelbl berichtet vom Mut und der Standhaftigkeit der Studentin Maryam Ahmadi , die sich nicht einschüchtern lässt von der Brutalität der Islamisten.
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Die afghanische Journalistin und Frauenrechtlerin Majabien Safvan beschreibt den Alltag unter den Taliban, ihre Verzweiflung und die Wut auf den Westen.
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Lina Verschwele hat die Abgeordnete Halima Sadaf Karimi in Kanada getroffen, die dort ein neues Leben beginnen will.
Die Oder-Katastrophe
Die Aufklärung der Umweltkatastrophe in der Oder läuft weiter zäh: Noch immer ist nicht klar, wer oder was schuld am massiven Fischsterben ist. Quecksilber wird als Ursache inzwischen wohl ausgeschlossen. Geprüft wird nun, ob andere hochgiftige Stoffe oder womöglich ein erhöhter Salzgehalt im Wasser verantwortlich dafür sein könnten, dass in den vergangenen Tagen und Wochen tonnenweise Fische in dem Fluss verendet sind.
Lebus in Brandenburg: Freiwillige Helfer bergen tote Fische aus der Oder
Foto: Patrick Pleul / dpa
An diesem Montag werden in Brandenburg neue Laborergebnisse erwartet. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke will sich bei Lebus in Märkisch-Oderland über die Lage informieren, dort, wo Helfer zuletzt im Dauereinsatz Kadaver aus dem Wasser zogen.
Immer klarer wird das Kommunikationsversagen zwischen der polnischen und der deutschen Regierung. Seit Ende Juli wussten Behörden in Polen offenbar, dass in der Oder massenweise Fische sterben, Regierungschef Mateusz Morawiecki will davon vor ein paar Tagen erfahren haben. Die deutsche Seite hatte bis dahin nur Berichte besorgter Angler erhalten.
Wohl gemerkt: Es geht hier um zwei benachbarte Staaten der Europäischen Union, da sind solche Verzögerungen bei der Meldung schwerwiegender Vorfälle, gelinde gesagt, erstaunlich. Wer an welcher Stelle lieber geschwiegen hat und wie das künftig verhindert werden kann, sollten sich Deutschland, Polen und auch die EU genau ansehen. Am Sonntag hat Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke die Probleme in der Informationskette bei einem Treffen in Stettin mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa und dem polnischen Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk besprochen. Man gelobt Besserung, konkrete Ergebnisse aber brachte das Krisentreffen vorerst nicht.
Inzwischen sind auch die Menschen an der Ostsee in Sorge. Bislang gibt es offenbar keine auffälligen Wasserproben im deutschen Teil des Stettiner Haffs, wo die Oder in die Ostsee mündet. Auch tote Fische wurden hier bisher nicht entdeckt. Lemke schloss aber nicht aus, dass die Behörden notfalls eine Badewarnung etwa im Bereich der Ferieninsel Usedom aussprechen könnten.
Schlesinger vor der sofortigen Abberufung?
Am Montagnachmittag um 16 Uhr kommt in Berlin der Rundfunkrat des RBB zusammen. Es geht, natürlich, um die Causa Patricia Schlesinger. Auf der Tagesordnung steht die sofortige Auflösung des Vertrages mit der 61-Jährigen. »Der Rundfunkrat des RBB beruft Patricia Schlesinger mit sofortiger Wirkung von ihrem Amt als Intendantin des RBB ab«, heißt es im Beschlussvorschlag, der dem SPIEGEL vorliegt. »Die Abberufung ist durch Gründe in der Person der Frau Schlesinger bedingt, die eine außerordentliche Kündigung des Dienstvertrags durch den RBB rechtfertigen würden.«
Patricia Schlesinger
Foto:
Britta Pedersen / dpa
Hintergrund: Schlesinger ist zwar als RBB-Intendantin zurückgetreten, die Bedingungen der Vertragsauflösungen wie Gehaltsfortzahlungen oder eine Abfindung sind aber noch nicht ausgehandelt. In ihrem Rücktrittsschreiben pochte sie auf Vertragsparagrafen, das Dienstverhältnis würde demnach Ende Februar 2023 enden. Schlesinger zeigte sich bereit, dieses zu verkürzen – wenn sichergestellt sei, dass es sich um einen »vertragsgemäßen Verzicht« handele.
Nun will der RBB-Rundfunkrat Schlesinger offenbar sofort feuern, wie es zuvor schon Politiker und der Deutsche Journalistenverband gefordert haben, und so die leidige Abfindungsdiskussion möglichst beenden. Denn monatelange Gehaltsfortzahlungen oder ein goldener Handschlag für Schlesinger wären der Öffentlichkeit angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe kaum vermittelbar.
Es geht um Vetternwirtschaft und Filz, dubiose Beraterverträge, millionenschwere Umbauarbeiten der Chefetage, Gehaltserhöhungen in Krisenzeiten, eine Luxus-Dienstlimousine mit Massagesitzen und teure Essen mit »Multiplikatoren« in ihrer Privatwohnung, die sie über den Sender abrechnete. Inzwischen ermittelt die Berliner Generalstaatsanwaltschaft gegen Schlesinger, ihren Ehemann und Ex-SPIEGEL-Journalisten Gerhard Spörl und Ex-RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf – wegen des Verdachts auf Untreue und Vorteilsannahme. Alle weisen die vorgebrachten Anschuldigungen zurück.
Die Summe der Vorwürfe, so analysieren es meine Kollegen Elisa von Hof, Isabell Hülsen, Martin U. Müller, Anton Rainer und Sven Röbel im aktuellen SPIEGEL, hat die ARD »in eine der tiefsten Krisen in ihrer Geschichte gestürzt. Und mit ihr das ganze öffentlich-rechtliche System«. Diese Krise wird der Rundfunkrat am Montag auch mit einer sofortigen Trennung von Schlesinger nicht heilen können.
Putin beim »Panzer-Biathlon«
Dass Wladimir Putin Krieg als blutiges Spiel betrachtet, auf diese Idee konnte man schon lange kommen. Dass ihn Fragen von Moral, Anstand oder ethischer Angemessenheit nicht interessieren, ist auch nicht neu. So muss es uns nicht wundern, dass in Russland in diesen Tagen die internationalen Armeespiele abgehalten werden, als wäre nichts gewesen. Und es muss uns auch nicht wundern, dass der Präsident diesen Armeespielen am Montag einen Besuch abstattet.
Venezolanische Teilnehmer des »Panzer-Biathlons« im Jahr 2015: Putin will Stärke demonstrieren
Foto: Maksim Blinov/ dpa
Beim sogenannten Panzer-Biathlon messen sich bereits zum zehnten Mal Soldaten aus verschiedenen Ländern beim Wettkampf etwa im Panzerfahren, an Schießständen und in Hindernisparcours, während Putins Truppen die Ukraine weiter mit ihrem Angriffskrieg überziehen. Mit dabei sind Vertreter aus gerade einmal 22 Ländern, darunter andere Demokratie-liebende Staaten wie China, Venezuela und die Ex-Sowjetrepubliken Belarus, Kasachstan und Usbekistan. Berichten zufolge sollen zudem ein Waffenmuseum, ferngesteuerte Mini-Panzer und Kinderattraktionen die Besucher erfreuen. Ebenfalls auf dem Programm steht für Putin heute im Patriot-Park nahe Moskau die Waffenschau »Armija 2022«, wo Russland mit seinen neuesten Rüstungsgütern prahlen will.
Es ist wie immer: Putin will Stärke demonstrieren. Das Traurige daran: Bei vielen Russen ziehen seine Inszenierungen noch immer. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief am Sonntag die Bevölkerung Russlands dazu auf, endlich ihre Stimme gegen den Krieg zu erheben. »Das Böse findet in einem solchen Maßstab statt, dass Schweigen einer Mitschuld gleichkommt«, sagte er in seiner allabendlichen Videoansprache. Wenn die Russen Selenskyj doch erhören würden.
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Das geschah in der Nacht: Die Lage rund um das Atomkraftwerk Saporischschja wird offenbar immer dramatischer. Kim Jong Un berichtet von seinem Briefwechsel mit Wladimir Putin. Und: Die Höhe der staatlichen Gasumlage wird bekannt gegeben. Der Überblick.
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42 Staaten fordern Abzug Russlands aus Europas größtem Atomkraftwerk: Erneut sind in der Nähe des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja Raketen eingeschlagen. Die EU und Dutzende weitere Länder fordern Russland auf, das Gelände sofort zu verlassen.
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Der Schock nach dem Erschrecken: Erst schien es, als betreffe uns der Krieg in der Ukraine nur indirekt. Inzwischen wird immer klarer: Wir sind mit einem Epochenbruch konfrontiert. Und an den müssen wir uns anpassen.
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Die Startfrage heute: Welcher europäische Regierungschef musste wegen Verstößen gegen Coronaregeln ein Bußgeld bezahlen?
In eigener Sache
Bisher, liebe Leserinnen und Leser, habe ich Sie als einer der Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros an dieser Stelle in regelmäßigen Abständen über die wichtigsten Themen des Tages informiert. Künftig werde ich die Lage am Morgen aus dem Süden Kaliforniens für Sie schreiben – für den SPIEGEL arbeite ich nun im Großraum Los Angeles. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich die deutsche Innenpolitik oder andere Ereignisse aus der Heimat aus dem Blick verliere oder mich nur noch über die US-Perspektive auslassen werde (kommt in dieser Lage gar nicht vor).
Aber vielleicht haben Sie ja sogar Wünsche, Ideen, Anregungen für meinen neuen Einsatzort? Gibt es Themen, die in Kalifornien spielen, die Sie interessieren, sei es in Politik, Gesellschaft, Kultur? Lassen Sie es mich wissen (philipp.wittrock@spiegel.de), vielleicht gib es Gelegenheit, das eine oder andere aufzugreifen, hier in der Lage oder in eigenen Geschichten. Vielen Dank für Ihre Treue. Bleiben Sie mir und natürlich allen anderen Lage-Autorinnen und -Autoren gewogen.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.
Herzlich,
Ihr Philipp Wittrock