Rushdie nach Attentat schwer verletzt
Mehr als 30 Jahre ist es her, dass der iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini seine Fatwa gegen Salman Rushdie aussprach – einen Aufruf zur Ermordung des Autors wegen dessen Werkes »Die satanischen Verse«, verbunden mit einem Kopfgeld von mehreren Millionen Dollar. Lange lebte Rushdie im Untergrund, die Todesangst wich erst nach langer Zeit. »Für einige Jahre war es ernst«, erst vor Kurzem dem »Stern«. »Aber seit ich in Amerika lebe, hatte ich keine Probleme mehr.« Inzwischen, so erklärte es sein Verlag im vergangenen Jahr, bewege sich der indisch-britische Schriftsteller wieder weitgehend offen und ohne besonderen Schutz.
Krankenhaus in Erie, Pennsylvania: Hier wird Rushdie behandelt
Foto: QUINN GLABICKI / REUTERS
Besonderen Schutz, besondere Sicherheitsvorkehrungen gab es wohl auch am Freitagabend nicht, in einem Kulturzentrum in Chautauqua im US-Bundesstaat New York, einem Ort, von dem nun überall zu lesen ist, wie friedlich, wie sicher es hier eigentlich ist. Doch ausgerechnet hier passierte es nun: Ein 24-jähriger Amerikaner aus New Jersey, dessen Name mit Hadi M. angegeben wird, griff Rushdie, 75, zu Beginn einer Vorlesung mit einem Messer an, stach mehrfach auf ihn ein. Nach einer Not-OP wird der Autor künstlich beatmet. Rushdie könne nicht sprechen, so sagt es sein Agent, er werde womöglich ein Auge verlieren, die Nervenstränge in seinem Arm seien durchtrennt und seine Leber verletzt.
Der Schock und das Entsetzen weltweit sind groß. Wollte Hadi M. nach Jahrzehnten die Fatwa des Ajatollahs vollstrecken, gibt es einen direkten Zusammenhang zum Hass, den Iran auf Rushdie immer wieder geschürt hat? Noch haben die Ermittler keine Antworten auf diese Fragen. So oder so, eine Mitverantwortung für das feige Attentat wird das Regime in Teheran kaum von sich weisen können.
Bitter: In Chautauqua wollte Rushdie vor Hunderten Menschen im Rahmen einer Veranstaltungsreihe »More than Shelter« sprechen – es sollte um die politische Verfolgung von Künstlern gehen, um die Frage, ob die USA ein sicherer Zufluchtsort für Schriftsteller im Exil sein können.
Auszug aus Kabul
Am kommenden Montag vor genau einem Jahr haben die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul zurückerobert. Wohl kaum jemanden lassen die Erinnerungen an die Tausenden Menschen unberührt, die am North Gate des Flughafens in der glühenden Hitze verzweifelt, wütend, entschlossen versuchten, das Land zu verlassen. An Menschen, die sich sogar an startende Flugzeuge klammerten , um nur irgendwie das Land verlassen zu können. Um vor den Taliban zu flüchten, deren Schreckensherrschaft vor 20 Jahren geendet hatte. Unzertrennlich sind diese Bilder seit dem 15. August 2021 mit dem Versagen des Westens verbunden, das ebenfalls flüchtete.
Menschen warten vor dem Kabuler Flughafen, das Bild entstand am 23. August 2021
Foto: STRINGER / EPA
Die Taliban hatten während ihrer Herrschaft bis 2001 Angehörige von Minderheiten und Gegner getötet, eine islamistische Autokratie errichtet, ihre Interpretation der Heiligen Schrift für die einzig wahre erklärt, Frauen gesteinigt und sie in Häuser und unter Burkas gesperrt.
Sollte nun alles von vorn beginnen? Besonders die so genannten »Ortskräfte« sorgten sich um Leib und Leben, weil sie mit und für den Westen gearbeitet hatten – würden sich die Taliban jetzt rächen? Und Afghaninnen mussten Angst haben, dass ihre Leben fortan wieder zu einem Gefängnis gemacht würden, ohne Bildung, ohne Arbeit oder Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, mit einem Blick auf die Welt durch ein taubenblaues Stoffgitter. Auch wenn sicher nicht alles gut war unter den gewählten Regierungen und der Mission des Westens – einiges hatte sich gebessert. Dafür hatten Millionen von Afghaninnen und Afghanen zusammen mit tausenden von Soldaten, Diplomatinnen, Hilfsorganisationen jahrelang gearbeitet.
Umso schlimmer, dass der Westen das Land praktisch »über Nacht sich selbst überließ«, wie es der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani bezeichnete . »Die Menschen haben an das Projekt Demokratie geglaubt«, sagte er zwei Wochen nach der Einnahme Kabuls.
Viele Kolleginnen und Kollegen beim SPIEGEL haben jahrelang immer wieder über und aus Afghanistan berichtet. Hingeschaut und geschrieben auch dann, als die Aufmerksamkeit schon lange nicht mehr auf Afghanistan lag. So natürlich auch über den Abzug vergangenes Jahr – und die Situation jetzt, ein Jahr nach der Rückeroberung. Matthias Gebauer und Konstantin von Hammerstein haben in einer dreiteiligen Serie die Flucht der Deutschen aus Afghanistan beschrieben. Die Kolleginnen Susanne Koelbl, Britta Sandberg und Lina Verschwele haben Afghaninnen getroffen oder wieder getroffen und gesprochen, die von ihrem Leben heute unter den Taliban erzählen – oder von ihrem Leben fernab ihrer Heimat. Ihre Geschichten können Sie am Montag auf Spiegel.de lesen.
Und Christoph Reuter, der das Land wie kaum ein anderer deutscher Journalist kennt, beschreibt in der aktuellen Ausgabe, wie sich Afghanistan seit einem Jahr verändert hat – nicht zum Guten, aber anders schlecht als gedacht. Er zeichnet ein kompliziert-interessantes Bild des Landes. Da ist etwa eine Lehrerin, die sagt: »Sie ersticken uns.« Und eine andere, die einen Taliban-Kommandeur nötigt, er möge ihr doch eine Todesdrohung mit Briefkopf und Unterschrift erstellen, damit sie ausreisen könne. Es gebe Rache, aber das scheint nicht das größte Problem des Landes unter den Taliban zu sein – sondern dass es isoliert und bankrott ist. Christoph schreibt: »Die Taliban haben keinen Plan, aber Deutschland und der Rest des Westens haben auch keinen. Vorläufig bleibt das Land ein internationaler Sozialfall mit Radikalenflagge, friedlich und perspektivlos.«
Ein unbeschwertes Verhältnis jetzt noch unbeschwerter
Als Lagearbeiterin versucht man stets, politische Entwicklungen und Veränderungen früh genug zu sehen, zu verstehen und zu erklären. Heute etwa versuche ich mir einen Reim auf ein Video zu machen, das Giorgia Meloni, Parteichefin der als »postfaschistisch« bezeichneten italienischen Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) auf ihrer Facebook-Seite der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat.
Giorgia Meloni: »An Deutsch werde ich mich nicht heranwagen.«
Foto: FABIO CIMAGLIA / EPA
Oder besser gesagt: Der europäischen Öffentlichkeit, denn sie spricht dort auf Französisch, Englisch und Spanisch, es gibt italienische Untertitel. Und sie sagt – Kurzfassung: Italiens Rechte hat nichts mit Faschismus zu tun, das sei der Geschichte »übergeben« worden. Das klassische rechte Narrativ bedienend weist sie auf die mächtigen linken Medien hin, die ihre Partei in Artikeln als Gefahr für die Demokratie und europäische Stabilität beschrieben.
Von Meloni ist auch der Satz überliefert: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus«, er soll vor einigen Jahren gefallen sein. Das kann natürlich alles Mögliche bedeuten, zum Beispiel: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus« – oder auch: »Ich habe damit nichts im Sinn und bin daher entspannt.«
Aber nun will die Frau nächste Regierungschefin Italiens werden – im Dreierbündnis mit Silvio Berlusconi mit seiner Forza Italia und Matteo Salvini und der rechten Lega. Und wenn die Umfragen bis zur Wahl am 25. September so bleiben wie jetzt, hätte sie auch die besten Chancen. Offensichtlich hatte Meloni das Bedürfnis, sich seriös und staatstragend zu zeigen und die europäischen Nachbarn zu beruhigen. Deshalb die Sprachenvielfalt.
Bleibt die Frage, warum sie nicht auch auf Deutsch vom Faschismus distanziert hat. Im Begleittext zum Video schreibt sie: »An Deutsch werde ich mich nicht heranwagen.« Daneben das Emoji, bei dem man immer nicht weiß, ob es lachen oder weinen soll.
Übrigens hat unser Kollege Frank Hornig vor ziemlich genau einem Jahr bereits ein Porträt über Giorgia Meloni geschrieben und vorweggenommen, dass sie Ministerpräsidentin werden könnte
Ein Mensch gewordener offener Brief
Mitten in Hamburg-Altona gestern, ich war gerade dabei, mein Fahrrad anzuschließen, um einkaufen zu gehen, da kam eine ältere Frau auf mich zu. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sie Din-A-4-Zettel in der Hand hatte, ich nahm ein großes Friedenszeichen darauf wahr und sehr viel eng bedruckten Text darunter. »Darf ich auch Ihnen unseren Aufruf mal so in den Rucksack stecken?«, fragte sie. Man wolle eine Initiative starten, dass an den Verhandlungstisch »zurückgekehrt« werden müsse. Mein Rucksack stand neben meinem Fahrrad, offen.
Frieden schaffen ohne Waffen, Symbolbild
Foto: Bernd Wüstneck/ dpa
Es ging um den Krieg gegen die Ukraine. Ich zog den Reißverschluss meines Rucksacks zu. Ich sagte, dass ich ihre Intention von Herzen verstehen könne, aber dass ich die Vorstellung, man könne den russischen Präsidenten zum jetzigen Zeitpunkt zum Verhandeln bringen, eher naiv finde. Zumindest nach allem, was ich weiß und davon verstehe. Unser kleiner Dialog ging dann in etwa so weiter:
Sie: »Aber Waffen machen doch alles noch viel schlimmer!«
Ich: »Naja, Russland hat die Ukraine überfallen und die Ukrainer müssen sich ja mit irgendwas verteidigen.«
Sie: »Wir wollen eine Initiative dafür starten, dass die Diplomatie wieder stärker eingesetzt wird.«
Ich: »Das verstehe ich, aber solange Putin militärischen Erfolg hat, ist es eher unwahrscheinlich, dass er Interesse dafür entwickelt.«
Sie: »Woher wissen Sie das denn?«
Ich fiel ihr ins Wort und wünschte ihr »trotzdem« alles Gute und viel Erfolg für die Initiative.
Ich glaube, es fällt vielen Menschen nachvollziehbar schwer, sich von der Illusion zu trennen, dass die Diplomatie ohne das Militärische ginge. Oder, dass beide im Widerspruch zueinander stünden. Besonders Anhängerinnen der reinen Lehre von »Frieden schaffen ohne Waffen« dürften damit ein Problem haben. Oder »deutsche Intellektuelle« halt, die die Bundesregierung dazu auffordern, »weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine« zu liefern .
Nach bald sechs Monaten russischen Angriffskrieges lässt sich wohl sagen: Erst muss sich offensichtlich ein Zustand der Schwächung abzeichnen oder Kriegsmüdigkeit eintreten, bevor Verhandlungen beginnen können. Aber Präsident Putin zeigt kaum Anzeichen von Kriegsmüdigkeit.
Als ich mich auf mein Rad schwang, stand sie da, mit ihren Zetteln. Es tat mir im Nachhinein leid, dass ich sie nicht habe ausreden lassen und ihr nicht einmal aus Höflichkeit einen Zettel abgenommen habe.
Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz
Die Startfrage heute: Welche Politikerin telefonierte mit einem falschen Vitali Klitschko?
Verlierer des Tages…
…ist Larry, der legendäre Kater im Londoner Regierungssitz Downing Street 10. Sehen Sie es mir nach, dass ich an dieser Stelle für eine Katze spreche – aber die Katze kann es ja schließlich nicht.
Miau.
Foto: HOLLIE ADAMS / AFP
Wenn sonst nichts geht, Tiere gehen immer, scheint das Motto von Liz Truss (ok, ok, auch dieser Lage) zu sein, britische Außenministerin und Kandidatin für den Vorsitz der konservativen Tories. Truss behauptete nun recht dreist, sie sei womöglich eines der bevorzugten Kabinettsmitglieder Larrys. Und dass er sich immer an sie heranschleiche. Eines der Ziele ihrer Bewerbung sei, diese Freundschaft weiter zu vertiefen. Tiere können sich nicht wehren.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
-
»Herzlich, Dein Friedrich«: Die CDU liegt ihrem Chef Friedrich Merz weitgehend zu Füßen. Doch beim Versuch, seinen Ruf als kalter Konservativer loszuwerden, steht sich der 66-jährige Millionär manchmal selbst im Weg .
-
Trumps teuflischer Plan in Wyoming: Donald Trump steht seit Monaten unter Druck, durch die FBI-Razzia in Mar-a-Lago noch mehr. Nun will er Rache – und Liz Cheney politisch erledigen. Denn: Die Frau aus dem Republikaner-Hochadel hat dem Trump-Kult abgeschworen .
-
Die fatale Angst vor dem Volk: Olaf Scholz hat den Deutschen versprochen: »You never walk alone«. Seine Regierung muss nun so handeln, dass das glaubwürdig klingt. Sonst drohen im Winter tatsächlich gesellschaftliche Verwerfungen .
-
Wie Reisen mit Großeltern und Kindern gelingt: Ferien auf dem Bauernhof mit drei Generationen? Ein Städtetrip mit alten Eltern? Klingt nach einem schönen Plan – der gewaltig schiefgehen kann. Fünf Tipps, um Konflikte realistisch einschätzen und bewältigen zu können .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Özlem Topçu