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Das Neun-Euro-Ticket hat keine Zukunft. Sein guter Geist schon – Kolumne

S-Bahn-Züge in München: Was, wenn der Zauber des 9-Euro-Tickets nicht der niedrige Preis, sondern der geringe Organisationsaufwand beim Kauf ist?


Foto: CHRISTOF STACHE / AFP

Die Züge sind voller als sonst. Sie sind außerdem so unpünktlich wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Das 9-Euro-Ticket mag die Geldbeutel vieler Pendler schonen, ihre Nerven allerdings nicht. Um dem Gedränge und der Warterei im Münchner S-Bahn-Netz zu entgehen, fahre ich seit Juni häufiger als sonst mit dem Fahrrad ins SPIEGEL-Büro. Die Bahn-Flatrate nutze ich für Familienausflüge am Wochenende.

Weil aber selbst in Bayern noch niemand auf die Idee gekommen ist, die Inflation mit Freibier zu dämpfen, versickert das Geld, das sich mit dem neun Euro teuren Freifahrschein sparen lässt, im Biergarten am See recht schnell in durstiger Kehle.

Auch die Klimaschutzwirkung der Ampelaktion ist bislang dürftig. Bislang steigen Pendler jedenfalls nicht in Scharen vom Auto in Busse und Bahnen um. Trotzdem pochen die Grünen auf ein Nachfolgemodell, wenn der Nahverkehrsrabatt Ende des Monats ausläuft. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen hegt denselben Wunsch.

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Eine »Gratismentalität«, die unökologisch, unfair, ineffizient und kaum finanzierbar sei, sieht FDP-Finanzminister Christian Lindner am Werk. Seine Ablehnung für eine Verlängerung der Entlastungsmaßnahme ist folgerichtig. Und dennoch nicht weit genug gedacht. Was, wenn der Zauber des 9-Euro-Tickets nicht der niedrige Preis, sondern der geringe Organisationsaufwand beim Kauf ist? Die Bürger wollen womöglich nicht gratis reisen, sondern einfach losfahren. Um ein Land zu entdecken, das sich mit seiner Bürokratenmentalität so häufig selbst im Weg steht.

»Deutschland denkt und handelt zu kompliziert«, schimpfte der Normenkontrollrat schon vor einem Jahr über die wachsende Menge an Vorschriften und Verwaltungsregeln. Das vor zwei Jahren in Kraft getretene »Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz«, das die Genehmigungsverfahren großer Bahn- und Infrastrukturprojekte beschleunigen soll, hat seine Entfesselungskraft noch nicht bewiesen. Anders das 9-Euro-Ticket.

Ein Gefühl von Schwerelosigkeit stellt sich beispielsweise ein, wenn man neuerdings – frei nach Edmund Stoiber – in den Münchner Hauptbahnhof Richtung Flughafen einsteigt, ohne beim Ticketkauf vor lauter Zonen, Zahlen, Buchstaben und Ringen den Verstand zu verlieren. Vor Einführung des 9-Euro-Tickets erinnerte der bundesdeutsche Tarifdschungel mit Spartickets von Verkehrsverbünden, Deutscher Bahn und Privatanbietern an ein Deutschland zur Zeit der Zollschranken.

Nun herrscht kollektive Aufbruchstimmung. Die Öffi-Flatrate verheißt eine unkomplizierte Bundesrepublik, in der man sich für die Beantragung und Abholung eines Kinderreisepasses künftig nicht mehr zwei Tage Urlaub nehmen muss. Wann kommt der Neun-Minuten-Takt im Nahverkehr? Wie wäre es mit neunfach schnellerem WLAN in Deutschland? So unfinanzierbar oder unökologisch das 9-Euro-Ticket auf Dauer sein mag – sein guter Geist ist unbedingt erhaltenswert.


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