1. In der Nachbarschaft brennt’s
Im Berliner Grunewald, etwa 15 Kilometer vom Regierungsviertel entfernt, wütet seit heute früh ein Großfeuer. Etwa 15.000 Quadratmeter Wald standen am Nachmittag in Flammen. Und das Feuer breitete sich weiter aus. Betroffen ist auch ein abgezäuntes Areal, auf dem die Polizei sichergestellte Munition, Kampfmittel und Feuerwerkskörper lagert, insgesamt wohl 25 Tonnen. Dort kam es immer wieder zu Detonationen. Unklar ist, ob hier auch die Brandursache lag.
Die nahe gelegene Autobahn A115, auch als Avus bekannt, wurde gesperrt, der S-Bahn-Verkehr nach Potsdam eingestellt, die ICE Richtung Hannover umgeleitet. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey brach ihren Urlaub ab und kam zum Brandort, um sich ein Bild zu machen.
Munition, Hitze, Trockenheit: Diese Kombination stellte die Einsatzkräfte vor große Herausforderungen. »Die Lage ist unübersichtlich«, sagte ein Sprecher der Berliner Feuerwehr. Wegen der Explosionsgefahr konnten Glutnester nicht bekämpft werden. Die Feuerwehr zog einen Sperrkreis von 1000 Metern.
Mit Unterstützung durch einen Löschhubschrauber der Bundeswehr können die Einsatzkräfte vorerst nicht rechnen, da diese noch in Sachsen im Einsatz sind. Immerhin halfen Polizeihubschrauber und Drohnen in Berlin dabei, sich einen Überblick aus der Luft zu verschaffen.
Das Haus, in dem ich wohne, ist etwa sieben Kilometer von Brand entfernt, ich sehe die Rauchschwaden am Himmel. Andere wohnen näher dran; ein Freund schrieb heute früh: »Schlaflos in Zehlendorf; seit halb vier Uhr Explosionen wie vorm Fenster«. Was tut man in so einer Situation? Sucht man die Pässe zusammen, die wichtigsten Papiere, Fotos, Bargeld?
Eine Gefahr, dass die Flammen auf Wohngebiete übergreifen, besteht laut Feuerwehr nicht. »Das werden wir verhindern«, sagte ein Sprecher.
Ich hoffe, er hat recht.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Feuer im Grunewald breitet sich unkontrolliert aus
2. China schießt scharf
Am Tag nach dem Taiwanbesuch der US-Politikerin Nancy Pelosi sind laut taiwanischen Quellen »ballistische Raketen« vor der Insel niedergegangen, insgesamt elf Salven. Die nächsten waren nur etwa 20 Kilometer von der Küste entfernt. Taiwans Streitkräfte sind in Kampfbereitschaft.
Peking bestätigte: Es habe »Präzisionsschläge« geübt, und zwar für einen »Angriff mit konventionellen Raketen an mehreren Orten und mit mehreren Waffentypen«. »Alle Raketen haben ihre Ziele genau getroffen«, behauptete das Militärkommando.
Tatsächlich überschnitt sich Chinas Übungsgebiet auch mit einer Wirtschaftszone, die zu Japan gehört. Auch hier gingen Raketen nieder. Japan protestierte.
Die von Peking angeordneten Übungen sind umfangreicher als 1995/96, als China Raketen im Norden und Süden über Taiwans Hoheitsgewässer schoss. Schon damals wollte Peking die Kräfte abschrecken, die Taiwans Unabhängigkeit befürworten; die USA entsandten Flugzeugträger. Heute sind Chinas Ziele weiter gesteckt: Es will eine Blockade der Insel, Angriffe von See, Landungen und die Kontrolle des Luftraums üben.
Wie heikel die Lage ist, zeigen auch die Reaktionen anderer Nachbarstaaten. Die südostasiatische Staatengemeinschaft Asean rief alle Seiten zu äußerster Zurückhaltung auf. Die Asean-Außenminister forderten bei einem Treffen in Kambodscha, von provokativen Aktionen Abstand zu nehmen, weil dies zu »unvorhersehbaren Konsequenzen« führen könne. Der Staatenbund bot sich als Vermittler an.
Doch China demonstriert auch hier Härte. Außenminister Wang Yi sagte ein Treffen mit dem japanischen Amtskollegen ab. Er ist verärgert, weil Japan eine Erklärung der G7-Staaten unterstützt, die China zu einer friedlichen Lösung aufruft.
Wie steht die Bundesregierung zum Konflikt? Außenministerin Annalena Baerbock war gerade bei den Vereinten Nationen in New York, dort verglich sie China mit Russland: »Wir akzeptieren nicht, wenn ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt auch für China in diesen Tagen.«
Meine Kollegin Marina Kormbaki hat die grüne Ministerin in den vergangenen Tagen begleitet, sie sagt: »Baerbock wählt oft scharfe Worte. Das ist markant. Fragt sich nur, ob es auch klug ist.«
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Lesen Sie hier mehr: China feuert bei Manöver Raketen vor Taiwans Küste ab
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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US-Senat stimmt Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zu: Die USA unterstützen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato. Der Senat sprach sich nahezu einstimmig für den Beitritt der beiden Staaten aus.
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Selenskyj sucht Chinas Unterstützung, scharfe Kritik an Schröder: Kann Peking Präsident Putin unter Druck setzen? Präsident Selenskyj bezeichnet Gerhard Schröders Einsatz für Russland als »widerlich«.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
3. Bayern wird wieder Meister. Und sonst?
Morgen Abend geht die Fußball-Bundesliga wieder los, mit dem Spiel Eintracht Frankfurt gegen Bayern München. Der glorreiche 1. FC Köln ist am Sonntag gegen Schalke an der Reihe. Laut Umfrage unter den Trainern steht fest, wer Meister wird: Alle, wirklich alle setzen auf die Bayern. Aber muss das wirklich sein, fragte ich mich heute, als ich meinen Zettel für unsere SPIEGEL-Tipprunde ausfüllte.
Mein Kollege Peter Ahrens aus dem Sportressort sagt voraus : Leider ja, so wird es kommen. Der angehende Meister war groß einkaufen: Sadio Mané kam aus Liverpool nach München, Matthijs de Ligt von Juventus Turin, Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui aus Amsterdam, dazu der erst 17 Jahre junge Mathys Tel aus Rennes. »Dieser Kader ist viel zu stark, um nicht Erster zu werden« schreibt Peter in seiner Analyse.
Spannung und einige Überraschungen soll es dafür auf den Folgeplätzen geben. Dortmund habe sich mit den drei Nationalspielern Karim Adeyemi, Niklas Süle und Nico Schlotterbeck ebenfalls verstärkt. Auch Leipzig sei stärker geworden dank David Raum und Xavier Schlager. Womöglich kommt ja sogar Timo Werner vom FC Chelsea zurück nach Leipzig. In Frankfurt schauten alle auf Neuzugang Mario Götze, den Mann, der Deutschland vor acht Jahren zur Weltmeisterschaft schoss.
Wer wird auf den Abstiegsplätzen landen? Peter tippt auf Schalke (»Es sollte dort genug Realismus vorhanden sein«), Stuttgart (»So einen Kraftakt wie in der Vorsaison schafft man nur einmal«) und Bochum (»Trainer Thomas Reis wird alles versuchen, es wird aber nicht reichen«). Leider.
Zur Frage, wer nach dem Abgang von Haland und Lewandowski der Superstar der neuen Saison werden kann, verlasse ich mich auf eine Analyse meines Kollegen Marcus Krämer . Er sagt: Es wird Dani Olmo von RB Leipzig, der endlich einmal fit und ausgeruht sei.
Und was ist nun mit dem 1. FC Köln? Peter sagt einen lausigen Platz 13 voraus (»für Köln eigentlich kein schlechtes Resultat«).
Ich halte natürlich dagegen.
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Lesen Sie hier mehr: Die große SPIEGEL-Saisonprognose
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Deutschland muss mehr Gas sparen als jedes andere EU-Land: EU-Staaten sollen nach dem Willen der Kommission in den kommenden Monaten ihren Gasverbrauch um 15 Prozent reduzieren. Nun zeigt eine Auswertung: Deutschland müsste wegen seines hohen Verbrauchs deutlich stärker verringern als andere Länder.
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Söder und Merz drängen auf rasche Entscheidung zu verlängertem AKW-Betrieb: Der Altgrüne Trittin nennt es einen »Propaganda«-Termin: Öffentlichkeitswirksam haben die Unionschefs Merz und Söder gemeinsam das Atomkraftwerk Isar 2 besucht. Ihre Forderung lag auf der Hand.
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Die Chefin mit dem Presserabatt: Einst stand Patricia Schlesinger für investigativen Journalismus. Nun macht sie Schlagzeilen mit Beraterverträgen, Spesen und Luxusdienstwagen .
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Geleakte Textnachrichten bringen Alex Jones in Bedrängnis: Er gilt als Amerikas oberster Verschwörungstheoretiker, nun steht Alex Jones vor Gericht. Dort verrieten seine Anwälte wohl durch einen Fehler, wie einträglich sein Geschäft mit Hetze und Falschinformationen ist.
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Schäuble diskutiert auf Sylt mit Punks: Er ist einer der erfahrensten Politiker des Landes, seit Jahrzehnten im Bundestag. Nun hat sich Wolfgang Schäuble auf Sylt – bei Kaffee und Apfelschorle – mit Punks zum Plausch getroffen.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Stapeln Sie hoch!
Wie habe ich das nur geschafft? Eine Frage, die viele im Job umtreibt (Symbolbild)
Foto:
Guido Mieth / Getty Images
Haben Sie im Job manchmal das Gefühl, Sie seien Ihrer Aufgabe in Wahrheit gar nicht gewachsen und könnten bald auffliegen? Küchenpsychologen haben dafür einen Namen: Hochstaplersyndrom. Die Zahl der Betroffenen soll überraschend groß sein. Wenngleich es auch Unternehmen gibt, vielleicht sogar Redaktionen, in denen man sich kaum vorstellen kann, dass es Leute geben könnte, die von Selbstzweifeln angekränkelt sind.
In unserem Schwesterblatt »Harvard Business manager« habe ich dazu ein interessantes Interview mit der Professorin Basima Tewfik gelesen . Sie forscht an der MIT Sloan School of Management in der Nähe von Boston über die Selbstwahrnehmung von Menschen bei der Arbeit. Sie fand heraus, dass Menschen, die sich als Hochstapler fühlen, trotzdem häufig Karriere machen. Wie schaffen die das? Tewfik sagt: »Meine Feldstudien und Experimente zeigen, dass diese Menschen sich oft geschickter in Beziehungen verhalten. Und das ist eine Voraussetzung für beruflichen Erfolg.«
Zum Beispiel gingen in einer Studie Ärzte in der Ausbildung, die mehr Hochstaplergedanken hatten, deutlich sensibler mit Patienten um als andere. Deshalb schätzten die Patienten ihre zwischenmenschlichen Fähigkeiten höher ein. In ihren Diagnosen lagen diese Ärzte genauso oft richtig wie die anderen.
»Es könnte sein, dass das richtige Maß an Hochstaplergedanken gerade genug Motivation bietet, damit jemand seine beste Arbeit abliefert«, sagt Tewfik: »Es ist in Ordnung, sich manchmal als Hochstapler zu fühlen.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Selbstzweifel im Job? Gut für Sie!
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Warum so undiplomatisch? Ob gegen Russland, die Türkei oder China: Außenministerin Annalena Baerbock wählt oft scharfe Worte. Das ist markant. Fragt sich nur, ob es auch klug ist .
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»Im schlimmsten Fall droht ein Berufsverbot« Tausende Selbstständige sind in Wahrheit abhängig beschäftigt – ohne es zu wissen. Einige müssen horrende Nachzahlungen an die Sozialversicherung leisten, mitunter mehr als 100.000 Euro. Eine Anwältin erklärt, wer betroffen ist .
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Ü50-Truppe mischt Energiebranche auf: Die Firma HH2E steht für einen neuen Gründergeist: weg vom Jugendkult der Lieferdienste, hin zu sturmerprobten Ingenieuren. Die Grauhaarigen könnten Deutschlands Energieversorgung revolutionieren .
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»Das Känguru hat horrende Gagenvorstellungen« Mit dem kommunistischen Känguru gegen Klimaleugner: Bestsellerautor Marc-Uwe Kling hat erstmals Regie geführt. Warum er jetzt Filme macht, wann er genug Brettspiele verkauft hat und welche politische Frage ihn überfordert.
Was heute weniger wichtig ist
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Gerichtsthriller: Bestsellerautor Stephen King, 75, hat vor einem US-Bundesgericht in Washington gegen die von Bertelsmann angestrebte Übernahme des US-Buchverlags Simon & Schuster ausgesagt. »Mein Name ist Stephen King. Ich bin freiberuflicher Autor«, stellte er sich vor. »Ich denke, Konsolidierung ist schlecht für den Wettbewerb. Je mehr Unternehmen es gibt, desto besser.« 1974 habe er seinen ersten Scheck in Höhe von 2500 Dollar für das Buch »Carrie« erhalten, erzählte King. Nach seinem Erfolg mit »Shining« sei er von einem Verleger ausgelacht worden, als er für die nächsten drei Bücher zwei Millionen Dollar verlangte. Er habe daraufhin den Verlag gewechselt.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Dies geht aus einer Berechnung der Deutschen Presse-Agentur hevor.
Cartoon des Tages: Atomkraft
Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Mein Kollege Xaver von Cranach aus dem Kulturressort hat ein Buch gelesen , das ihn »von der ersten bis zur letzten Seite umgehauen« hat: den Roman »So forsch, so furchtlos« der 27-jährigen Andrea Abreu aus Teneriffa. »Es gibt gute Debüts, und es gibt sehr gute Debüts, aber so ein Debüt, das gibt’s eigentlich nicht«, schreibt Xaver und sagt voraus, dass es eines Tages auf einer Stufe stehen könnte mit »Bonjour tristesse«, dem französischen Sommerklassiker von Françoise Sagan aus den Fünfzigerjahren. Tatsächlich ist das Buch schon jetzt sehr erfolgreich. In Spanien erreichte es eine Auflage von 70.000; die Rechte wurden in 23 Länder verkauft. Die »New York Times« empfahl es als Sommerlektüre.
Xaver ist nach Teneriffa geflogen und hat die Autorin besucht . Er lernte eine Frau kennen, die als Jungstar des Literaturbetriebs längst in Madrid leben könnte, aber lieber auf der schroffen Vulkaninsel bleibt, wo ihre Mutter in Hotels putzt und ihr Vater auf Baustellen arbeitet.
Ihr Roman erzählt von drei Sommermonaten auf Teneriffa, in denen zwei Mädchen ihre Kindheit verlieren. »Wobei: Die eine hat sie schon verloren, die andere ist sich noch nicht sicher«, schreibt Xaver, darin liege die Grundspannung: »Die eine Freundin hinkt der anderen hinterher. Ist eifersüchtig auf die ältere. Neidisch. Ängstlich.«
Was den Roman besonders mache, sei die Sprache der Autorin: »Abreu erzählt extrem direkt, physisch, klar. Gleichzeitig scheint unter allem etwas Märchenhaftes zu lauern. Kein schönes Märchen, sondern eher ein Am-Ende-werden-die-Kinder-verbrannt-Märchen.«
Mich hat Xavers Buchkritik neugierig gemacht; Sie ja vielleicht auch.
Schreiben Sie mir gern, wenn Ihnen an dieser Abendlage etwas aufgefallen ist, per E-Mail (alexander.neubacher@spiegel.d e) oder über Twitter (@Alex_Neubacher ). Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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