Während Kanzler Olaf Scholz im Allgäu urlaubt, springt Robert Habeck für ihn ein: Der Vizekanzler hat an diesem Mittwoch die Kabinettssitzung geleitet, wie es Tradition ist. Für den Grünen Habeck war es das erste Mal, dass er im Chefsessel saß. Eine gute Gelegenheit für einen kleinen Vergleich: Auch Olaf Scholz vertrat im Jahr 2018 als Vizekanzler aus der SPD die damalige CDU-Kanzlerin Angela Merkel.
Vorab sei gesagt: Die Vertretung im Kabinett ist schon ein eigenartiges politisches Schauspiel. Zum einen ist sie Usus, und inhaltlich ist so ein Kabinettstreffen nicht anders als jedes andere (an diesem Mittwoch wurde über den Schutz von Hinweisgebern beraten). Zum anderen ist so eine Sitzung eine der seltenen Möglichkeiten für einen Vizekanzler oder eine Vizekanzlerin, sich in dieser Rolle führend zu zeigen. Normalerweise ist der Chef oder die Chefin ja da und hat meist auch kein gesteigertes Interesse daran, dass sich die Nummer zwei übermäßig profiliert.
»Business as usual« oder großer Auftritt?
Der oder die Vize laviert bei der ersten Leitung der Sitzung also zwischen business as usual und der Möglichkeit, sich zu präsentieren. Wer Olaf Scholz kennt, wird nicht überrascht sein, dass sein Schwerpunkt auf Ersterem lag. Scholz hatte am 1. August 2018 seine Premiere als Kanzlerinnenvertreter im Kabinett. Merkel war damals im Urlaub.
Es sei ein Kabinettstermin wie jeder andere, zitierte das Handelsblatt damals Stimmen aus Scholz’ Bundesfinanzministerium. Regierungskreisen zufolge soll er die Sitzung demnach »unaufgeregt« geleitet haben.
Auch Habeck machte um seine Leitungsrolle nicht viel Aufhebens – aber eben doch ein bisschen mehr als Scholz. Wie schon beim heutigen Kanzler waren auch bei Habecks Sitzung einige Ministerinnen und Minister abwesend, das mag an der Ferienzeit liegen. Und wie Scholz ließ sich auch Habeck ausgiebig von den Fotografinnen und Fotografen ablichten: ein lachender Scholz damals, ein staatsmännisch ernst guckender Habeck heute.
Aber: Im Gegensatz zum Kanzler radelte Habeck am Morgen in Begleitung eines Personenschützers zum Kanzleramt. Das Auto ließ er stehen (lesen Sie hier mehr über die unterschiedlichen Politikstile von Scholz und Habeck). Übrigens kam ausgerechnet seine Parteikollegin und Außenministerin Annalena Baerbock zu spät, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete.
Westerwelle gab eine Pressekonferenz
Auf den ganz großen Auftritt verzichtete also auch Habeck – vielleicht aus der Erfahrung, dass so etwas schnell schiefgehen kann: Der damalige FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle leitete im Jahr 2010 seine erste Kabinettssitzung – und gab im Anschluss höchstpersönlich eine Pressekonferenz zu den Ergebnissen. Kritiker hielten das für überzogen und Westerwelle für einen Wichtigtuer.
Seitdem treten die Vizes dezenter auf. Im Fall von Scholz war es, wie man heute weiß, tatsächlich ein Probelauf – wird auch Habeck noch Kanzler?
Bei einer Direktwahl des Bundeskanzlers würde Habeck laut einer Forsa-Umfrage derzeit besser abschneiden als Amtsinhaber Scholz. So lange bleibt die Frage, die bei jedem kabinettssitzungsleitenden Vizekanzler gestellt wird: Übt er schon?