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Welt

: Russland, Wladimir Putin, Zersetzungsmassnahmen, Gas-Krise, Friedrich Merz, Polen //


Friedrich Merz, der Wogenglatter

Es gab einen Politiker, vor dem hatte ich als Kind der Achtziger richtiggehend Schiss. Ich kannte den Mann selbstverstandlich nur als flimmernde Personlichkeit aus der weissen Furnierholzschrankwand, in der unser grauer Rohrenfernseher stand. Und generell erschien er mir – Sprache, Gestik, Korperbau – wie vom anderen Stern.

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Meine Eltern schien das nicht zu bekummern. Sie furchteten den Mann ganz offensichtlich nicht, obwohl sie seine Politik kannten. Ich kannte seine Politik nicht, furchtete mich aber umso mehr. (Spater wendete sich alles zum Guten: Ich las uber seine Politik und furchtete ihn nicht mehr).

Tja, Franz Josef Strauss. Der Politiker, der immer so schwitzte und (echt oft) bose guckte im TV. Der standig in der Welt herumjettete und Nebenaussenpolitik betrieb, obwohl er doch nur Chef von diesem Bayerndings war. Er war bei Mao Tse-tung in China, beim alten Assad in Syrien, beim togoischen Diktator Eyadema, bei Pinochet in Chile und druben beim Honecker sowieso.

Fallt ihnen was auf? Lupenreine Demokraten waren die alle nicht.

Legendar naturlich Strauss’ weihnachtliche Reise in die Sowjetunion im Winter 1987. Der Ministerprasident flog die Cessna-Maschine selbst und landete sie unter Protest seines Co-Piloten auf dem wegen Schneegestober eigentlich gesperrten Moskauer Flughafen.

Mittlerweile lauft das anders in der Union, da konnen Sie beruhigt sein. Wenn heute CDU-Chef Friedrich Merz zu Gesprachen nach Warschau reist, um unter anderem den polnischen Ministerprasidenten Mateusz Morawiecki zu treffen, dann fliegt er nicht selbst (obwohl er naturlich konnte, klar, spatestens seit seiner Sylt-Expedition neulich ist das doch allen bekannt).

Vor Friedrich Merz furchtet sich heutzutage sicher kein Kind, nichtsdestotrotz wird die Reise fur ein wenig Arger sorgen, mutmasslich im Kanzleramt.

Denn Merz wolle, so heisst es, in Polen die Wogen glatten, nachdem wegen des stockenden Ringtauschs von Panzern fur die Ukraine zuletzt heftige Kritik an Deutschland laut geworden war. Merz glattete ja schonmal die Wogen fur Scholz – hoho – als er im Mai als erster deutscher Spitzenpolitiker zum ukrainischen Prasidenten Selenskyj nach Kiew reiste.


Ein bizarres Gas-Spiel

Wenn sich in den Regalen der Bau- und Supermarkte auffallige Lucken zeigen, dann sind die Krisen aus der grossen Welt in unserem kleinen Wohlstandskosmos angekommen. Zur Hochphase der Pandemie fehlte das Klopapier, kurz nach dem russischen Uberfall auf die Ukraine war erst das Mehl und jetzt sind die Grillgasflaschen und Olradiatoren weg.

Bezeichnend ist, dass es sich in all diesen Fallen um selbst herbeigefuhrte Knappheit handelt.

Weil die Leute Angst hatten, dass sie im Lockdown nicht mehr vom Klo runterkommen, kauften sie lieber ein paar Packungen mehr als notig. Und weil die Menschen jetzt Angst haben, im nachsten Winter zu frieren, investieren sie in E-Heizungen.

Angst und (Vor-)Sorge bestimmen unser Handeln. Und genau da setzt der Kriegstreiber aus dem Kreml an.

Wahrend Putin die Ukraine mit Krieg uberzieht und die Bevolkerung mit seinen Bomben und Raketen terrorisiert, fuhrt er gegen die EU-Staaten einen Gaskrieg. Im ersten Fall soll ein Staat ausgeloscht, im zweiten eine politische Gemeinschaft in Angst versetzt und nachhaltig destabilisiert werden.

Heute soll – mal wieder – der Gashahn an einer Stelle ein Stuck weit zugedreht werden: Noch 20 Prozent der Maximalkapazitat (statt bisher 40 Prozent) werden durch die Pipeline Nord Stream 1 fliessen, hat Gazprom mitgeteilt. Uber eine andere Leitung jedoch – der Transgas-Pipeline, die durch die Ukraine und die Slowakei unter anderem auch nach Deutschland fuhrt – hat Gazprom offenbar fur Mittwoch grossere Kapazitaten als ublich reserviert. Das wurde am Dienstagabend bekannt.

Gashahn auf, Gashahn zu, hier kurzen und dort dann wieder uberraschend fur Entspannung sorgen: Was Putin da treibt, ist naturlich psychologische Kriegsfuhrung. Fur den 69-Jahrigen ist das allerdings eine schwindende Kriegsressource, denn Europa wird in absehbarer Zeit unabhangig sein von russischem Gas, von russischen Rohstoffen uberhaupt. Einige Monate kann Putin noch den Erpresser spielen, vielleicht diesen und den kommenden Winter noch.

Mehr Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Russen melden Eroberung von grosstem Kohlekraftwerk der Ukraine: Bilder sollen Wagner-Soldner zeigen: Russische Krafte haben offenbar ein riesiges Kohlekraftwerk in der Ostukraine eingenommen. Bei einem Angriff auf die internationale Legion wurden angeblich Dutzende Auslander getotet.

  • Darum wollen Immobilienkonzerne wirklich an der Heizung drehen: Grossvermieter wie die LEG fordern ein Gesetz, um im Winter weniger heizen zu mussen. Bewohnern raten sie zu Pullover und Decke. Der Mieterbund ist emport – und vermutet andere Motive als das Energiesparen .

  • Erster Guterzug in russischer Exklave eingetroffen: Wochenlang war der Zugverkehr nach Kaliningrad wegen EU-Sanktionen eingeschrankt, jetzt meldet der Gouverneur einen >>ziemlich grossen Erfolg<<. Der Transit von Militarausrustung bleibt indes verboten.

Putin, der Zersetzer

Schafft es Putin in dieser ihm verbleibenden Zeit, Europas Gesellschaften zu spalten, Zwietracht zu saen, Gemeinschaften zu zerstoren, Gruppen gegeneinander auszuspielen? In der Welt der Stasi-Agenten, die Putin nicht fremd ist, hiess das fruher: Zersetzung.

Nur: Der Mann hat schon beim Uberfall auf die Ukraine nicht mit der Entschlossenheit des Westens gerechnet, vielleicht wird er nun im Gaskrieg von der Geschlossenheit Europas uberrascht.

Was tun?

Erstens nicht darauf setzen, dass Putin uns schon verschonen wird, sondern uns als Europaer gemeinsam aktiv aus der Falle herausarbeiten. Mein Kollege Gerald Traufetter hat im SPIEGEL-Leitartikel in Grundzugen dargelegt, wie das gehen kann: Wir sollten so handeln, als strome gar kein Gas mehr aus Russland; wir sollten das Gas-Sparen mit Pramien belohnen; die EU sollte ein Einkaufskartell bilden; per Notverordnung konnte der Bau von Windradern vorangetrieben werden. Lesen Sie hier , welche Ideen es noch gibt.

Zweitens: Wir mussen unser Gemeinwesen absichern, unseren Zusammenhalt. Und dafur jene schutzen, die am schwachsten sind, die hohen Energiepreisen ohne Puffer ausgeliefert sind. Wie das gehen kann? Uber Umverteilung.

Mein Kollege Michael Sauga – des Sozialismus ganzlich unverdachtig, das konnen Sie mir glauben – argumentiert hier fur eine Ubergewinnsteuer. Er schreibt: >>Wahrend die explodierenden Ol- und Gaspreise Millionen Niedrigverdiener in Armut zu sturzen drohen, fahren manche Unternehmen des Sektors horrende Zusatzgewinne ein.<>ein wirksames Mittel, Putins Attacke auf die Einkommen der europaischen Mittel- und Unterschichten zu kontern<<.


Umverteilung und Unabhangigkeit sind die Mittel gegen Putins Zersetzungsmassnahmen.

Ubrigens: Wenn die Rede auf Erpressungsversuche gegenuber einer Gesellschaft oder einem Staat kommt, dann muss ich immer an Helmut Schmidt denken. Dessen legendare TV-Ansprache aus dem Deutschen Herbst 1977 kenne ich als Nachgeborener naturlich nur von YouTube, aber der damalige Kanzler hat ein paar sehr wahre Sachen gesagt, die leicht abgewandelt auch zur heutigen Lage passen.

Den Terroristen warf Schmidt vor, sie wollten >>den demokratischen Staat und das Vertrauen der Burger in unseren Staat aushohlen<<. Der Staat musse darauf mit der >>notwendigen Harte<>einen kuhlen Kopf<>Sie mogen in diesem Augenblick ein triumphierendes Machtgefuhl empfinden. Aber sie sollen sich nicht tauschen<>der Wille des ganzen Volkes<<.

Hoffen wir, dass das mit dem ganzen Volk auch im Winter noch zutrifft.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Wer holte als Spitzenkandidat 2022 das schlechteste SPD-Ergebnis bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen?


Gewinner des Tages …

… ist Robert Habeck. Der Vizekanzler darf heute mal Chef spielen, weil der Kanzler (wieder) im Urlaub im Allgau weilt. Habeck wird das Kabinett im Kanzleramt leiten und sein Team Ampel wird sich unter anderem mit dem Hinweisgeberschutzgesetz beschaftigen. Das konnen Sie jetzt aber gern mal googlen, hier ist leider kein Platz mehr.


Die jungsten Meldungen aus der Nacht

  • Schwacher PC-Markt setzt Microsoft zu, Google meldet weniger Gewinn: Die Analysten hatten mehr erwartet: Der Ukrainekrieg, ein starker US-Dollar und schleppender Computer-Absatz erschweren Microsoft das Geschaft. Auch Google blieb hinter den Erwartungen zuruck.

  • Mehrheit der Demokraten-Wahler wunscht sich anderen Kandidaten als Joe Biden: Die Zustimmung fur den US-Prasidenten schwindet laut einer aktuellen Umfrage – bei seinen eigenen Anhangern. Auch Donald Trump, der mit einer erneuten Kandidatur kokettiert, ist im eigenen Lager umstritten.

  • Erst gewackelt, dann gezaubert: Am Ende war es ein deutlicher Sieg fur Englands Fussballerinnen. Doch Halbfinalgegner Schweden war 30 Minuten das deutlich bessere Team – dank eines Trainerkniffs. Dann kamen die Gastgeberinnen und trafen traumhaft.



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Die SPIEGEL+-Empfehlungen fur heute

  • Der Erbkrieg der 4711-Dynastie: In Koln tobt ein Immobilienstreit in feinsten Kreisen: Eine Erbin der Duftdynastie Mulhens fordert Zugang zum Familiensitz Schloss Rottgen. Ein Stiftungsverwalter habe das Anwesen >>gekapert<<, sagt ihr Anwalt .

  • Warum dieser Mann sich im Lockdown sein eigenes U-Boot gebaut hat: Aus einem alten Propangastank hat Theateringenieur Elias Macke ein funktionierendes Unterseeboot geschweisst. Hier erzahlt er vom Hintergrund seines Projekts, vom Tod eines Mentors und der Jungfernfahrt bei Leipzig .

  • Immerhin ein schneller Tod – wie ein Mann vor der Glutlawine zu fluchten versuchte: Erdbeben, Steinhagel, gluhende Asche: Kurz bevor ein Vulkanausbruch vor fast 2000 Jahren Pompeji vernichtete, wollte ein verzweifelter Mann entkommen. Ein Grabungsteam hat seine letzten Stunden rekonstruiert .

  • Wenn nur noch die Trennung hilft: Verliebt, verletzt, verabscheut: Zwei Psychologinnen erklaren, wann eine Partnerschaft ungesund ist – und wie sich Betroffene daraus losen konnen .

Ich wunsche Ihnen einen guten Start in den Tag.


Ihr Sebastian Fischer

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