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Welt

News des Tages: Ukraine, Gepard-Panzer, Großbritannien, Tories

1. Gepard im Anflug

Der Adler ist gelandet! »The Eagle has landed«, sagte Neil Armstrong, nachdem die erste bemannte Raumfähre 1969 sicher die Mondoberfläche erreicht hatte. Ich musste an seinen Ausruf denken, als ich heute folgende Eilmeldung aus der Ukraine las: »Ukraine erhält erste drei Gepard-Luftabwehrpanzer aus Deutschland«.

»Heute sind offiziell die ersten drei Geparde eingetroffen«, sagte Verteidigungsminister Olexij Resnikow am Montag im ukrainischen Fernsehen. Dazu seien auch mehrere Zehntausend Schuss übergeben worden. Es ist eine Nachricht, die man nach langen Wochen des Zögerns und Zauderns kaum noch für möglich hielt. Erst vor Kurzem konnte Deutschland ein Problem mit der für die Gepard-Panzer notwendigen Munition beheben .

Neben den Geparden, von denen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine insgesamt 15 versprochen hat, wartet das Land vor allem auf die modernen Luftabwehrsysteme vom Typ Iris-T aus Deutschland. Diese sollen das Land besser vor den russischen Raketenangriffen schützen. Die Ankunft der Iris-T ist allerdings Berichten zufolge erst für den Herbst geplant.

Und auch beim sogenannten Ringtausch gibt es Probleme. Theoretisch sollen östliche Nato-Partner Waffen sowjetischer Bauart, mit denen die ukrainischen Soldaten ohne Zusatzausbildung umgehen können, zur Verfügung stellen. Als Ersatz sollten sie von Bündnispartnern wie Deutschland westliche Fabrikate erhalten. »Die Osteuropäer warten aber weiter auf die Lieferungen aus Berlin – und Verteidigungsministerin Lambrecht gerät von allen Seiten unter Druck«, berichtet Kollege Florian Gathmann aus dem Hauptstadtbüro des SPIEGEL.

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Vertreter von Grünen und FDP monierten den stockenden Ringtausch, zugleich gab es Forderungen aus beiden Parteien, künftig lieber direkt Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. »Der Ringtausch ist wegen der Zögerlichkeit von Bundeskanzler Scholz zur Sackgasse geworden«, sagte Friedrich Merz heute dem SPIEGEL. »Mehr und mehr drängt sich der fatale Eindruck auf, dass die Bundesregierung nur möglichst viel Zeit schinden will, während die Ukraine buchstäblich ums Überleben kämpft«, sagte Merz.

Auch ich habe den Verdacht, dass die Bundesregierung schneller eine Rakete auf den Mond schießen kann, als Waffen nach Kiew zu liefern.

2. Meinungspazifisten gegen Wohnzimmer-Bellizisten

Winter is coming, und russisches Gas könnte knapp werden. Baden-Württembergs grüner Landeschef Winfried Kretschmann hat heute auf einem Gasgipfel eine Kampagne zum Energiesparen angekündigt. Der Chef von Deutschlands zweitgrößtem Wohnungskonzern LEG stimmte die Mieterinnen und Mieter auf einen »Wärmeverzicht« ein. Er will die Temperaturen stärker absenken als bislang möglich.

Einer der meistgelesenen Texte auf der SPIEGEL-Homepage vom Wochenende war derweil der Debattenbeitrag des Soziologen Hartmut Rosa (»Die Bellizisten sitzen im sicheren Wohnzimmer« ), der den Krieg gegen Putin nicht alternativlos findet und fordert, über einen Waffenstillstand nachzudenken. »Verlangt es also nicht die Realpolitik, die Moral, der letzte Funke gesunden Menschenverstandes, über Alternativen nachzudenken?«, fragt Rosa.

Heute hat der ukrainische Historiker Kyrylo Tkachenko eine Erwiderung geschrieben, die es in sich hat: »Warum glaubt ihr Deutschen, dass wir Ukrainer den Krieg nicht gewinnen können?«, fragt er. Der »Meinungspazifismus« vieler Intellektueller blende das Schicksal der Menschen in der Ukraine aus. »Trotz der Versicherungen, man wolle das Blutvergießen beenden, spielen die Leben der Ukrainer in diesen Briefen und Aufsätzen keine Rolle. Und schon gar nicht deren Wünsche, Hoffnungen, Zukunftspläne«. Ob sich Soziologen wie Rosa überhaupt die Frage stellten, »wie ein Menschenleben in den an Russland abzutretenden Gebieten aussehen soll«, wagt Tkachenko anzuzweifeln. »Hauptsache, man hat seinen ›Frieden mit Russland‹ in einem gut beheizten Wohnzimmer« .

Das größte Problem an diesem vermeintlichen deutschen Pazifismus sei aber seine Einstellung zum Völkerrecht. »Die friedliche Ordnung im Nachkriegseuropa basiert darauf, dass alle europäischen Staaten sich dazu verpflichten, die gegenseitigen Grenzen zu respektieren«, schreibt Tkachenko. Eine gewaltsame Verschiebung von Grenzen in Europa sei kein Kavaliersdelikt. Deshalb könne man auch nicht mit Russland verhandeln und freiwillig ukrainische Gebiete an Putin abgeben.

»Russland soll aus diesem Krieg mit Gebietsgewinnen auskommen? Wunderbar!«, schreibt Tkachenko, »dann sollen die deutschen Meinungspazifisten sich dafür einsetzen, Dresden und Umgebung an Russland abzutreten. Warum auch nicht? Historisch gesehen ist Ostdeutschland dem sowjetischen Einflussbereich fast zeitgleich entfallen, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangte.« Außerdem gebe es »im Freistaat Sachsen genügend Rechtsextreme – das Bundesland wäre somit ein gutes Ziel für die russischen Entnazifizierungs-Bemühungen«, schreibt er sarkastisch.

Ein schönes Gedankenspiel. Jedenfalls für Leserinnen und Leser, die nicht aus Sachsen kommen.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • FDP offen für direkte Panzerlieferungen an Ukraine: Bei Waffenlieferungen an die Ukraine über östliche Nato-Partner kommt es zu Komplikationen. Bei den Grünen und nun auch bei der FDP werden Stimmen laut, einen direkten Weg einzuschlagen.

  • Trümmer-Raver: In der befreiten ukrainischen Region Tschernihiw ruft eine Freiwilligenorganisation zu Aufräumarbeiten auf – Festivalgefühl inklusive. DJs liefern den Soundtrack zum Wiederaufbau.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

3. Auf offener Bühne

Wenn sich in einer Regierungspartei zwei streiten, freut sich in der Regel die Opposition. So läuft das jedenfalls in Deutschland häufig. Aus Angst davor, mit einem öffentlichen Duell um die Kanzlerkandidatur Wählerinnen und Wähler zu verschrecken, verzichtete beispielsweise die Union vor der Bundestagswahl darauf, Armin Laschets und Markus Söders Popularität per Mitgliederentscheid zu ermitteln. Wie gern hätte ich ein unionsinternes TV-Duell erlebt. Der Mann mit der Bergmannsmarke des Vaters in der Hosentasche gegen den Mann der tausend Mottotassen!

Wie produktiv und präsentabel innerparteiliche Konkurrenz sein kann, lässt sich heute Abend in Großbritannien bestaunen. Um 22 Uhr deutscher Ortszeit treten Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak in der BBC in einem ersten TV-Duell gegeneinander an. Beide wollen sie Boris Johnson als Premierminister beerben. Über dessen Nachfolge entscheidet keine Parlamentswahl. Die etwa 160.000 Mitglieder der britischen Tories allein wählen nicht nur den neuen Parteichef, sondern damit auch den neuen britischen Regierungschef.

Der Londonkorrespondent des SPIEGEL, Jörg Schindler, glaubt, das Duell könne »ganz munter werden, weil die zwei sich ja schon seit Tagen auf offener Bühne bekriegen«. Sunak werde, »wenn überhaupt, nur eine Chance haben, wenn er die rhetorisch und politisch nicht gerade inspirierende Truss zerpflückt«.

Sunak ist zwar in der konservativen Fraktion im Unterhaus beliebt, weil viele dort Truss für eine opportunistische Karrieristin halten, der man besser keine zu heiklen Aufgaben übertragen sollte. Einer ihrer Spitznamen sei nicht umsonst »human hand grenade«, berichtet Jörg Schindler. Sunak ist aber auch als ehemaliger Hedgefonds-Manager der mit Abstand reichste Abgeordnete, nicht nur des jetzigen Parlaments, sondern mutmaßlich aller Parlamente, die es in Großbritannien je gegeben hat. »Das ist natürlich seine Achillesferse, weil er von der Gegenseite attackiert werden wird als abgehobener Schnösel, der nicht weiß, wie es dem normalen Menschen geht«, sagt Schindler. Er glaubt, dass Sunak »prinzipienfester« ist als Truss und dass er auch »intellektuell eher dazu in der Lage ist, das Land zu führen«.

Ob das die Tory-Mitglieder auch so sehen? In den nächsten fünf Wochen werden beide Bewerber in Town Hall Meetings den Parteimitgliedern Rede und Antwort stehen. Die geheime Briefwahl beginnt im August. Ein Gewinner soll Anfang September verkündet werden.

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • So wenig junge Menschen wie noch nie: Ende 2021 war jeder zehnte Mensch in der Bundesrepublik im Alter von 15 bis 24 Jahren – vor 40 Jahren war es noch jeder Sechste. Die Gesamtbevölkerung hat dagegen einen neuen Höchststand erreicht.

  • Ver.di ruft Lufthansa-Bodenpersonal zu Warnstreik auf: Die Probleme an deutschen Flughäfen dürften sich am Mittwoch deutlich verschärfen. Ver.di hat rund 20.000 Beschäftige des Lufthansa-Bodenpersonals zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen.

  • Forscher gehen von hoher Immunität gegen Sars-CoV-2 in Deutschland aus: Impfung, Infektion oder beides: Die meisten Deutschen dürften Modellrechnungen zufolge inzwischen eine gewisse Immunität gegen das Coronavirus aufgebaut haben. Vor einer Herbstwelle schützt das vermutlich trotzdem kaum.

  • Deutsche Wirtschaft befürchtet Rezession: Die drohende Versorgungskrise mit Erdgas belastet die Stimmung der Deutschen Wirtschaft. Der Stimmungsindex des Münchner ifo-Instituts geht überraschend deutlich zurück.

  • Staatsanwaltschaft will Messerstecher dauerhaft in Psychiatrie unterbringen lassen: Er tötete drei Menschen und verletzte sechs weitere: Der Messerstecher von Würzburg war laut Staatsanwaltschaft zur Tatzeit im Juni 2021 schuldunfähig.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Kein Platz für Oskar Schindler

»Oskar Schindler? Nein, der Name sage ihr nichts. Die Mitarbeiterin einer Wechselstube mit der Adresse Am Hauptbahnhof 4 in Frankfurt schüttelt lächelnd den Kopf. Dass sie in einem Haus mit besonderer Geschichte arbeitet, wusste sie nicht.« So beginnt der Text von Leon Scherfig über das schwierige Gedenken der Stadt Frankfurt an einen ihrer langjährigen Bewohner.

Oskar Schindler rettete zur Zeit des Nationalsozialismus über 1200 Juden vor dem Tod in Auschwitz und anderen Lagern. Steven Spielbergs »Schindlers Liste« ging um die Welt. Allerdings bekam der echte Schindler von der Bekanntheit, die er seitdem genießt, zu Lebzeiten wenig mit. Bis zu seinem Tod 1974 lebte er zurückgezogen und verfolgt von unternehmerischem Pech im Frankfurter Bahnhofsviertel, dem Viertel der Gestrandeten.

Dass er seine Fabrik in Krakau (Polen) als Rüstungsbetrieb der Nazis anerkennen ließ und so Hunderten jüdischen Mitarbeitern Schutz bot, rührte nach dem Zweiten Weltkrieg an unangenehme Fragen für die Zeitgenossen: »Ich denke, viele wollten die Geschichte nicht hören. Das war ein unterdrücktes Schuldbewusstsein, dass man in diesen dunklen Jahren doch hätte helfen können«, sagt Ursula Trautwein, eine der letzten Zeitzeuginnen aus Frankfurt, die Schindler noch persönlich kannte. »Und dann kommt so ein Hallodri und zeigt, wie man es machen konnte«.

In Frankfurt am Main, berichtet Leon Scherfig, ist die Erinnerung an Schindler auf eine Bronzeplatte geschrumpft, die kaum jemandem auffällt. Zeitzeugin Trautwein fände es gut, wenn der Bahnhofsplatz nach Schindler umbenannt würde. Aber das geht wegen der Satzung der Stadt nicht, weil es hoch oben am Stadtrand bereits eine Oskar-Schindler-Straße gibt und eine Doppelbenennung bei Polizei- oder Rettungseinsätzen für Probleme sorgen könnte. Immerhin jetzt kommt aber Bewegung in die Sache: Aktuell gibt es wohl die Überlegung, den Platz nach Emilie und Oskar Schindler zu benennen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Kirche zwischen den Fronten: In der Ukraine tobt ein Streit über die moskautreuen Orthodoxen. Viele Gemeinden treten zur ukrainischen Kirche über. Mancherorts werden sie dazu gezwungen .

  • Das sind Europas Wackelkandidaten: Die Zinsen steigen, während viele Länder in der EU noch immer hoch verschuldet sind. Was das nun für Staaten wie Italien oder Griechenland bedeutet – und wie es um Deutschland steht .

  • Debakel mit Ansage: Die deutschen Leichtathleten beenden die Wettbewerbe in Eugene mit dem schlechtesten Ergebnis der WM-Geschichte – viele waren mit dem Kopf wohl schon bei der Heim-EM in München. Der Verband hat nun einiges aufzuarbeiten .

  • Boulevardhetze gegen Frau Dracula: Eine Doku porträtiert die Jeffrey-Epstein-Gefährtin Ghislaine Maxwell, die wegen Missbrauchsverbrechen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Leider enttäuscht das Psychogramm vor allem mit voyeuristischem Klatsch .


Was heute weniger wichtig ist

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Zwei Teenager haben sich an der Zugstrecke zwischen Hamburg und Berlin in Lebensgefahr begeben: Während der eine ins Gleisbett sprang, filmte der andere, wie sich ein Güterzug nährte.«

Cartoon des Tages: Energiekrise

Illustration: Klaus Stuttmann


Und heute Abend?

Die Oper ist »ein Produkt des Augenblicks«. Sie existiere nur an dem Abend, an dem sie auf der Bühne stattfindet. Das sagt der erst 33-jährige Regisseur Valentin Schwarz, der bei den diesjährigen Richard-Wagner-Festspielen den »Ring des Nibelungen« inszeniert. (Lesen Sie hier das Porträt über Schwarz meines Kollegen Wolfgang Höbel. )

Heute beginnen die Festspiele mit der Oper »Tristan und Isolde«, ein Werk über die Unmöglichkeit der Liebe. Zur Premiere wurden viele Ehrengäste erwartet, unter anderem die Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Karten für heute Abend gibt es keine mehr. Aber wer will, kann die Oper, dieses »Produkt des Augenblicks«, im heimischen Wohnzimmer statt im sicher sehr stickigen Konzertsaal (in Bayreuth wurden heute Temperaturen von 36 Grad gemessen) verfolgen. BR Klassik überträgt die Premiere. Der zweite Akt beginnt um 18.20 Uhr. Der Dritte um 20.40 Uhr. Den Ersten haben Sie, wenn Sie diese Lage lesen, leider schon verpasst.

Einen schönen Abend wünscht
Ihre Anna Clauß

Hier können Sie die »Lage am Abend« per Mail bestellen.

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