Die Justizministerien der Länder beschweren sich in einem Brief an FDP-Minister Marco Buschmann darüber, dass dieser im Koalitionsvertrag versprochene Gelder zurückhalte. Konkret geht es um den sogenannten Pakt für den Rechtsstaat, der den Ländern beim Ausbau und bei der Modernisierung der Justiz helfen soll. Bisher habe man den Eindruck, der Bund wolle »seiner Mitverantwortung bei der Finanzierung eines funktionierenden Rechtsstaats« nicht nachkommen, heißt es in dem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt. Unterzeichnet wurde es von der niedersächsischen Justizministerin Barbara Havliza (CDU), dem bayerischen Justizminister Georg Eisenreich (CSU) und der Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne).
Die Justiz in Deutschland gilt schon lange als chronisch überlastet. Immer komplexere Gesetze erfordern immer mehr Kapazitäten in Staatsanwaltschaften und Gerichten. Schon jetzt ist das Personal knapp. Vor allem die Ost-Bundesländer erwarten in den kommenden Jahren zudem eine Pensionierungswelle, bundesweit werden in den nächsten zehn Jahren Schätzungen zufolge rund 8000 Richterinnen und Staatsanwälte in den Ruhestand gehen. Das Personalproblem könnte sich damit weiter verschärfen. Immer längere Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sind eine der Folgen.
In der vergangenen Legislaturperiode hatte die Große Koalition deshalb den Pakt für den Rechtsstaat beschlossen, der beim Aufbau der Justiz helfen sollte. Der Bund stellte 220 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen die Länder zusätzliche Stellen an Gerichten und Staatsanwaltschaften schaffen konnten. Die Ampel nahm sich in ihrem Koalitionsvertrag vor, diesen Pakt zu »verstetigen«, also die Länder in Sachen Justiz weiter finanziell zu unterstützen. Zudem sollte das Vorhaben um einen Pakt zur Digitalisierung ergänzt werden. Ein komplexes Unterfangen, denn für digitale Infrastruktur in Justiz und Strafverfolgung gelten besondere Sicherheitsanforderungen. In den Ländern geht man daher für die kommenden zehn Jahre von einem Bedarf von einer Milliarde Euro pro Jahr aus – allein für die Digitalisierung der Justizbehörden.
»Mit medienwirksamer Förderung von Einzelprojekten ist es nicht getan«
Doch auf Geld aus dem Bund warten die Länder bisher offenbar vergeblich. Anfang Juni habe das Bundesjustizministerium erstmals zu einem Austausch zum Rechtsstaatspakt eingeladen. Dort habe der Bund allerdings »verfassungsrechtliche Bedenken« gegenüber einer weiteren finanziellen Beteiligung betont. »Dies irritiert insofern, als hierfür bereits in der Vergangenheit ein verfassungskonformes Verfahren gefunden wurde, das sich nach unserer Auffassung auch für eine Verstetigung eignet«, schreiben die drei Justizminister in dem Brief.
Zudem habe man den Eindruck gewonnen, Buschmann wolle Digitalisierung in der Justiz nur im Rahmen von einzelnen Projekten fördern. Dies stehe »in deutlichem Widerspruch zu Ihrem persönlichen Bekenntnis zur gemeinsamen Bewältigung der anstehenden Herausforderungen durch die Digitalisierung der Justiz, das Sie bei der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder am 1. Juni 2022 abgegeben haben«, heißt es in dem Schreiben.
»Viele der ständig wachsenden Anforderungen an die Justiz werden durch Gesetze des Bundes verursacht. Deshalb ist es angemessen, dass sich der Bund entsprechend stärker an den Kosten beteiligt«, erklärt der bayerische Justizminister Georg Eisenreich gegenüber dem SPIEGEL. »Mit der medienwirksamen Förderung von Einzelprojekten ist es dabei nicht getan. Ich erwarte, dass der Bundesjustizminister den Pakt für den Rechtsstaat und den Digitalpakt zeitnah und entschlossen angeht.« Bei der Digitalisierung der Justiz gehe es nicht nur um Sicherheit und Effizienz, ergänzt die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza. »Es geht um viel mehr: um den Zugang zum Recht.«
Seit Mai hatten die Justizministerinnen und -minister wiederholt ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaatspakt von Buschmann gefordert, bisher allerdings offenbar vergeblich. Der Brief soll ein neuer Versuch sein, den Pakt voranzubringen. »Wir wollen, dass der Bundesjustizminister das Thema zeitnah und entschlossen angeht und konkret mit den Ländern verhandelt. Wegducken ist keine Option«, sagte die Hamburger Justizsenatorin Gallina dem SPIEGEL.