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Annalena Baerbock auf Sommerreise: »Wir wissen nicht, wie das mit der Gasversorgung weitergeht«

Außenministerin Baerbock in Bremen


Foto: Sina Schuldt / dpa

Die Sprechstunde der Außenministerin beginnt mit einem Gongschlag im Universum. So heißt das Gebäude am Stadtrand von Bremen, das aussieht wie der Nachbau der Kopfpartie eines Blauwals. An diesem regnerischen Donnerstagabend versammeln sich hier an die 400 Menschen.

Sie sind gekommen, um Annalena Baerbock Fragen zu stellen. Nicht irgendwelche. Um nichts Geringeres als um die »Nationale Sicherheitsstrategie« soll es gehen, um die Frage nach der »menschlichen Sicherheit« in Deutschland, aber auch weltweit.

Optisch deutet wenig darauf hin im Universum. In der Mitte des runden Saals fünf Stehtische mit Sonnenblumen, Grundausstattung von fast jeder grünen Parteiveranstaltung. Und gefühlt ist die Außenministerin ja immer noch gewissermaßen Parteivorsitzende, auch wenn längst Omid Nouripour und Ricarda Lang übernommen haben.

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Es ist Baerbocks erste Station auf ihrer Deutschlandreise (Motto: »Sicher leben«), ihre erste große Reise nach der gescheiterten Kanzlerkandidatur. Es soll eine »Zuhörtour« sein. Das Auswärtige Amt will »ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Sicherheit ein Thema ist, das uns alle angeht und betrifft«.

Ansage: offene Werkstatt, die breite Öffentlichkeit soll an der »Nationalen Sicherheitsstrategie« mitarbeiten. Die Grünen, aber vor allem Annalena Baerbock haben diese Forderung in den vergangenen Zeitenwende-Monaten immer wieder durchdekliniert.

Sonderbarer Brief aus dem AA

Die Strategie ist auch ein Versprechen des Koalitionsvertrags, wegen des Kriegs in der Ukraine verzögert sich nun alles etwas. Deutschland fehlt eine solche Sicherheitsstrategie seit Langem. Alle Ministerien sind eingebunden, das Auswärtige Amt führt das Ganze zusammen, angereichert vielleicht auch mit den Vorschlägen dieser 50 zufällig ausgewählter Bremerinnen und Bremer.

»Es war schon ein bisschen sonderbar, als mein Mann plötzlich einen Brief vom AA bekam«, flüstert eine Frau im Publikum. Zugesagt hat er, ein Softwareentwickler, dann trotzdem. Jetzt sitzt er mit einem Namensschildchen vorne.

Er wirkt aufgeregt. Gleich wird er die Ergebnisse des Workshops, an dem er am Nachmittag teilnahm, der Ministerin präsentieren. Thema: Atomwaffen, neue Waffensysteme und Killerroboter.

Es sind die ganz großen Themen, die sie hier am Rande Bremens angehen.

Bevor es ans Zuhören geht, will Baerbock aber noch reden. Sie spricht frei, dreht sich beim Sprechen nach allen Seiten. Für ihr Bekenntnis zu einer solidarischen Ukrainepolitik bekommt sie hier viel Beifall. Es scheint, als hätte sie sich von den Strapazen ihrer Coronainfektion, die sie für zwei Wochen »wirklich niedergestreckt« habe, doch einigermaßen erholt.

Nach der Rede betreten die Zufallsbürgerinnen und -bürger die Bühne, um die Ergebnisse der Workshops vorzustellen. Diese Form der Beteiligung ist eines von Baerbocks liebsten Werkzeugen aus ihrer Zeit an der Grünenspitze. Der Zeitplan ist sportlich. Um 21 Uhr, und das, so die Moderatorin, habe »nationale Tragweite«, muss alles durch sein.

Denn dann muss Baerbock schleunigst weiter. Nach Bukarest, zur Moldau-Unterstützungskonferenz. Und später nach Konstanza, es geht um die Weizenexporte aus der Ukraine, den Hafen von Odessa.

Vielfarbige Klötze, Dreiecke, Kreise, Textfelder

Es sind komplexe Fragen in komplexen Zeiten, mit denen sich die Workshopteilnehmenden auseinandergesetzt haben – und zu denen jetzt ebenfalls komplexe Diagramme auf die Leinwand projiziert werden. Es geht um Ziele, Synergien, Herausforderungen.

Das Publikum im kreisrunden Saal sieht wohl eher vielfarbige Klötze, Dreiecke, Kreise, Textfelder. Rot sind die Fragen an die Ministerin, die die Workshopteilnehmer dann etwas zaghaft und nach Ansicht der mitgereisten Terminhüter aus ihrem Stab wohl auch deutlich zu langsam vortragen:

  • Wie kann eine Regierung angemessen Informationen weitergeben?

  • Wie soll die Verteilung zwischen Arm und Reich gelingen?

  • Wie kann die Versorgung gesichert werden?

  • Wie kann eine gerechte Globalisierung gelingen?

Baerbock antwortet ausführlich, fasst zusammen, erzählt davon, wie sehr sie auch die Zielkonflikte beschäftigen. Etwa durch die Verlängerung der Laufzeit der Kohlekraftwerke.

Auf ihrer Asienreise hätte sie den Eindruck gewonnen, dass dort vor allem die Botschaft angekommen sei, Deutschland steige jetzt wieder in die Kohlekraft ein. »Dort wird sehr genau beobachtet, was wir hier tun.«

Eine Frage nach der gesellschaftlichen Solidarität scheint ihr besonders wichtig zu sein. Es sei eine »Teilstrategie des russischen Kriegs, dass das Auseinanderdriften einer Gesellschaft zum Überschwappen führt«, sagt sie. Diese Gefahr sehe sie aber in Deutschland nicht. Eine so große Solidarität habe sie »so lange nicht erlebt«. Die Gesellschaft dürfe nicht gespalten werden. Gleichzeitig sei es »wichtig, ehrlich zu sein«.

»Wir wissen nicht, wie das mit der Gasversorgung weitergeht«, sagt Baerbock und fügt an: »Ziehen wir deswegen die Sanktionen zurück? – Nein.«

Am Vormittag startete die Ministerin in Rostock, wo sie das »Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung« besuchte. Dort wird daran geforscht, wie Munition aus der Ostsee geborgen werden kann. Eine Generationenaufgabe für alle Ostseestaaten, unabhängig von ihrer Rolle im Krieg.


Ministerin Baerbock auf Tauchgang in Rostock: Virtuelle Suche nach Munition

Ministerin Baerbock auf Tauchgang in Rostock: Virtuelle Suche nach Munition


Foto: Jens Büttner / dpa

Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) begrüßte die Außenministerin, hielt Lobeshymnen auf sie und sein Bundesland, überreichte ein Foto von Schloss Schwerin. Der dienstälteste Landesminister Deutschlands brachte allerdings noch Anfang des Jahres einen EU-Beitritt Russlands ins Spiel, gilt zudem als Vertrauter von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die mit Baerbock wegen ihres langen Kampfes für Nord Stream 2 im Clinch liegt.

Also schwieriges Terrain für Baerbock. Sie lässt Backhaus dann bei seiner Lobesrede leicht abblitzen. »Darf ich einmal unterbrechen, weil wir haben hier nur begrenzt Zeit«, sagt sie, als sie seinen Stapel mit eng von Hand beschriebenen Sprechzetteln sieht. »Das hier ist eine Zuhörtour.«


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Baerbock zeigte großes Interesse an den Geräten zur Bergung des gefährlichen Materials. Das dauerte viel zu lange, der Terminplan geriet durcheinander.

Am Abend in Bremen muss sie pünktlich los, die Flugbereitschaft wartet. Sie wird wieder auf Tour gehen, weitere vier »Townhall-Meetings« soll es geben, in Karlsruhe, München und Hof. Nur eines davon ist presseöffentlich. Und gar keines findet in den neuen Bundesländern statt.

Aus Termingründen, wie es heißt.


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