Klaus Welle mag einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt sein. Doch in Brüssel gilt der Deutsche, seit 2009 Generalsekretär des Europaparlaments, als einer der einflussreichsten Strippenzieher überhaupt. Als ranghöchster Beamter des Parlaments ist er für dessen innere Abläufe verantwortlich.
Zum Jahresende gibt Welle seinen Job auf – und das Gezerre um seine Nachfolge ist Teil eines Dramas geworden, das die Beziehung zwischen dem Parlament und den Regierungen der Mitgliedsländer schwer zu beschädigen droht.
Die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) will als Welles Nachfolger Alessandro Chiocchetti installieren, derzeit Kabinettschef von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Doch im Parlament gibt es nicht nur Zweifel, ob der Italiener für den Job qualifiziert ist.
Bisher galt auch, dass Bewerber für den Posten des Generalsekretärs der höchsten Besoldungsgruppe AD 16 angehören müssen. Christdemokraten, Liberale und Linke aber haben die Schwelle kurzerhand auf AD 15 gesenkt – auf die Chiocchetti zudem erst im Mai befördert wurde. Grünen und Sozialdemokraten waren dagegen, wurden aber überstimmt.
Die Linke soll im Gegenzug für ihre Zustimmung angeblich die Leitung einer sogenannten Generaldirektion bekommen – die dafür eigens gegründet werden soll. Die bisher zwölf Generaldirektionen organisieren die Arbeit der Ausschüsse des Parlaments und unterstützen diese fachlich. Welche Aufgaben aber die neue »Generaldirektion für parlamentarische Demokratie-Partnerschaften« genau erfüllen soll, ist bisher unklar, zumal das Parlament schon eine Generaldirektion für Auswärtiges besitzt.
»Eine Abteilung, die niemand braucht«
Inhaltliches aber spiele ohnehin keine Rolle, wie Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, kritisiert: »Es wird mit Steuergeldern eine Abteilung geschaffen, die niemand braucht.« Auch der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund hält es für »problematisch, die Verwaltung politisch zu besetzen. Das Kriterium sollte die Qualifikation sein.« Aus der Linksfraktion heißt es dagegen, man habe sich keineswegs an einem fragwürdigen Deal beteiligt. Es sei weder klar, ob die Linke die neue Generaldirektion leiten, noch wer neuer Generalsekretär des Parlaments werde. Auch sei die Einrichtung der neuen Generaldirektion keine neue Idee, sondern bereits seit 2019 in der Diskussion.
Dennoch droht die Angelegenheit nicht nur die Glaubwürdigkeit des Parlaments zu beschädigen, das sonst gern von den Staaten einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern einfordert. Sie ist auch eine Steilvorlage für die Mitgliedsländer in einer ganz anderen Frage, die ebenfalls mit der Ausgabenpolitik des Parlaments zu tun hat.
Nachdem sich das Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr bereits 322 neue Beschäftigte gegönnt und deren Zahl damit auf insgesamt über 8100 gesteigert hat, will es im kommenden Jahr weitere 52 feste und 116 Assistenten-Stellen schaffen. Anders als vor einem Jahr aber steckt die EU nun in einer veritablen Wirtschaftskrise.
Generalsekretär Welle und Parlamentspräsidentin Metsola: Gezerre um Nachfolge
Foto: DAINA LE LARDIC / European Union 2022 – Source : EP
Entsprechend empört reagieren die Mitgliedsländer. Nicht nur von Selbstbedienungs-Mentalität ist die Rede, sondern auch von Wortbruch – weil das Parlament bei der letzten Stellenplan-Ausweitung versprochen habe, in der aktuellen, noch bis zum Jahr 2027 laufenden Haushaltsperiode, keinen weiteren Nachschlag zu fordern.
Hinzu kommt, dass die Beschäftigten der EU-Institutionen einen automatischen Inflationsausgleich erhalten – der laut aktuellen Berechnungen der Kommission zu einer Steigerung der Gehälter von satten 8,6 Prozent führen wird, was den gesamten EU-Haushalt zusätzlich belastet.
Jahrzehntealte Abmachung in Gefahr
Umso größer ist das Unverständnis unter den EU-Staaten, dass das Parlament in dieser Situation auch noch zusätzliches Personal einstellen will. Sogar eine jahrzehntealte Absprache zwischen dem Parlament und dem Rat der Mitgliedsländer steht mittlerweile zur Disposition. Dieses Gentlemen’s Agreement besagt, dass die beiden Institutionen sich nicht gegenseitig in ihre Haushaltsplanung hineinreden. Da sie sich gegenseitig ihre Etats genehmigen müssen, drohten sonst Jahr für Jahr langwierige Blockaden.
Doch die Geduld der Mitgliedsländer scheint auf ihr Ende zuzugehen. In einer Sitzung der Botschafter der EU-Staaten am Mittwoch sollen mehrere Länder gefordert haben, den Etatplan des Parlaments zusammenzustreichen.
Das scheiterte zwar am Widerstand Frankreichs und Deutschlands. Dennoch übten die Botschafter in einer gemeinsamen Erklärung scharfe Kritik an den Ausgabenplänen des Parlaments – und kündigten an, bei den Verhandlungen für den EU-Jahreshaushalt für 2023 darauf zurückzukommen. Das kommt einer Warnung ans Parlament gleich: Entweder es korrigiert seine Pläne, oder es kommt zu einem »massiven Konflikt«, wie ein EU-Diplomat es ausdrückt.
Der könnte allerdings nicht nur dem Parlament schaden. Es wäre eine »Anmaßung« des Rats der Mitgliedsländer, in den Haushalt des Parlaments hineinzuregieren, sagt Grünen-Politiker Freund.
SPD-Mann Geier wird noch deutlicher: »Wenn die Mitgliedsländer eine institutionelle Auseinandersetzung wollen, können sie eine haben.« Es sei für die Staaten »nicht ratsam«, das Gentlemen’s Agreement zu brechen. »Denn dann würden wir uns um Gegenzug auch den Haushaltsansatz des Rats ansehen.«