Zu kaum einem anderen Staatschef hat Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D., ein so enges Verhältnis aufgebaut wie zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Als Putin 2018 zum vierten Mal vereidigt wird, steht Gerhard Schröder in der ersten Reihe.
Putin und Schröder verbindet eine jahrelange Männerfreundschaft, die ihm aber jetzt zum Verhängnis werden könnte.
Veit Medick, DER SPIEGEL
»Ich glaube schon, dass das eine echte Freundschaft ist. Anders ist das auch nicht so richtig zu erklären. Die beiden haben jetzt ein Verhältnis über die letzten 20 Jahre, muss man sagen.«
AdvertisementEx-Bundeskanzler Schröder ist wohl einer der letzten Politiker im Westen, der sich noch nicht öffentlich von Wladimir Putin nach dessen Überfall auf die Ukraine distanziert hat.
Veit Medick, DER SPIEGEL
»Es sind ja schon zwei, die einen sehr männlichen, sehr maskulinen Blick auf Politik haben. So ein Ansatz pflegen: Keiner kann uns irgendwas. Macht ist von großer Bedeutung für die beiden. Sie haben auch was Populäres, was Populistisches.«
Die Nähe zu Kriegstreiber Putin hat jetzt Konsequenzen für Schröder: Die SPD möchte ihn loswerden und startet ein Parteiauschlussverfahren.
Aufgewachsen ohne Vater in armen Verhältnissen kämpft sich Schröder ganz nach oben. Über den zweiten Bildungsweg macht er Abitur, studiert Jura und wird Anwalt in Hannover und schließlich 1978 Bundesvorsitzender der Jungsozialisten. Die SPD wird seine politische Heimat.
Gerhard Schröder, 2013
»Das hat zu tun mit meinem eigenen Lebensweg, der ja nun nicht gerade glanzvoll am Anfang war. Und insofern war nach längerem Suchen für mich irgendwie selbstverständlich, auch in die SPD einzutreten. Und es ist selbstverständlich geblieben, da immer zu bleiben, egal was passiert.«
Doch die Partei entfernt sich nach seiner aktiven Phase immer weiter von ihrem Altkanzler, der in Russland Millionen machte und an seinen Beziehungen immer noch festhält. So feiert der Niedersachse seinen 70. Geburtstag mit Putin in St. Petersburg – zur Unzeit: Denn damals hatte sich Russland gerade die völkerrechtlich zur Ukraine gehörende Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleibt.
Gerhard Schröder, 2014
»War es richtig, die Krim zu annektieren? Herr Schröder, bitte. War es richtig, die Krim zu annektieren? Ich habe nicht vor, mit Ihnen ein zeitgeschichtliches Seminar abzuhalten.
Ich im Übrigen stehe dazu, dass ich Russland, seine Menschen und seine politische Führung in der Tat verstehen will. Ich schäme mich dafür auch nicht. Im Gegenteil, ich bin stolz darauf, meine Damen und Herren.«
Veit Medick, DER SPIEGEL
»Schröder hat Politik auch immer im Widerstand gemacht gegen den Mainstream, gegen die herrschende Meinung. Ob das jetzt der Irakkrieg war, zum Beispiel, ob das die Agenda-Reformen waren oder überhaupt das gesamte Verhältnis zu den USA. Und daraus hat er auch eine spezielle Kraft gezogen. Und das verbindet ihn ein bisschen mit Putin, der einen ähnlichen Stil hat: Wenn alle in die eine Richtung laufen, dann lauf ich in die andere.«
Schröder wird 1998 zum Bundeskanzler gewählt, nach 16 Jahren Helmut Kohl.
»Der Dicke ist weg, der Dicke ist weg.«
Aufsehen erregt Schröder zunächst mit Auftritten am Rande der politischen Bühne. Er genießt seine neue Rolle als Bundeskanzler und verheimlicht das nicht. Er zeigt sich mit Promis und auf Partys, legt Wert auf teure Kleidung, liebt dicke Zigarren – Partykanzler heißt er nun.
Und immer wieder betont er die Nähe zu Wladimir Putin.
Reporter
»Herr Bundeskanzler, was bedeutet die deutsch-russische Freundschaft?«
Gerhard Schröder
»Das wissen Sie doch, das ist erstens notwendig und zweitens kommt es von Herzen.«
Veit Medick, DER SPIEGEL
»Er freut sich ja regelrecht darüber, mit jemandem verbunden zu sein, der auf eine Weise eine Persona non grata ist. Das ist ja etwas Besonderes. Und ich glaube, auch das wird einer der Gründe sein, warum er sich jetzt nicht von diesem Kriegstreiber lossagt.«
Schröders beste Fähigkeit während seiner Amtszeit: Im richtigen Moment, Volksnähe zu zeigen wie hier 2002 bei der Hochwasserkatastrophe in Grimma. Für seine intuitive Empathie haben ihn viele SPD-Mitglieder lange Zeit bewundert: Für Schröders Erfolg, auch seine Art, Politik zu machen, die Sprache, die neue Milieus erreichte. Und jetzt?
Thomas Kutschaty, SPD
»Ach wissen Sie, das mit Gerhard Schröder, das bringt mich jetzt nicht aus der Ruhe, er ist ein älterer Herr, der sich entschieden hat, Geschäftsmann zu sein und nicht mehr in allererster Linie Sozialdemokrat sein zu wollen.«
Saskia Esken, SPD-Vorsitzende
»Ich habe mit Interesse wahrgenommen, dass Gerhard Schröder auf die Androhung der Aberkennung seiner Ehrenbürgerwürde in Hannover reagiert hat, indem er diese Ehrenbürgerwürde zurückgegeben hat. Ähnlich hat er agiert mit seiner Awo-Mitgliedschaft. Auch die Awo hat wohl darüber diskutiert, ihn auszuschließen, auch dem ist er zuvorgekommen. Ich kann ihm das nur ans Herz legen.«
Wegen seiner langjährigen Führungsjobs bei den Pipeline-Projekten von Nord Stream sowie im Ölkonzern Rosneft gilt er in der SPD als Belastung. Vielleicht ist Schröder schlicht zu stolz, um einen Schritt auf seine Partei zuzugehen.
Veit Schröder, DER SPIEGEL
»Es gibt einen klaren Drang, den klaren Wunsch, mit diesem Mann nichts mehr zu tun zu haben. Und das ist natürlich ein ganz besonderer Moment, ein krasser Moment in dieser Parteiengeschichte. Man muss sich das nun mal vorstellen. Was da eigentlich passiert, ist ja eigentlich ungeheuerlich. Gerhard Schröder, einer der wenigen Kanzler, die diese Partei hatte. Er hat zwei Bundestagswahlen gewonnen. Eine schillernde, polarisierende Figur soll jetzt aus dieser alten, stolzen Partei ausgeschlossen werden. Es ist kein völlig trivialer und kein völlig normaler Vorgang. Da kann man gar nicht genau genug hingucken, was da eigentlich passiert.«
Eine seiner letzten Verbündeten scheint Schröders Ehefrau zu sein. Drei Wochen nach Beginn von Putins Angriffskriegs auf die Ukraine reist Schröder auf eigene Faust nach Moskau. Kurz keimt die Hoffnung auf, er könne vielleicht doch noch etwas bewegen, um Russland vom Kriegskurs abzubringen. Gebracht hat die Reise jedoch nichts.
Veit Medick, DER SPIEGEL
»Mein Eindruck ist, dass dieses Ausschlussverfahren eher nicht so große Chancen hat. Aber das führt dann natürlich dazu, dass diese Causa Schröder in der SPD weitergeht und möglicherweise auch den niedersächsischen Wahlkampf belastet oder noch weitergeht. Das kann dann eine monatelange, jahrelange Hängepartie werden. Und jedes Mal, wenn Schröder sich äußert, gibt es wieder Erregung. Und das quält die SPD natürlich ein Stück weit auch.«
Gerhard Schröder wird wohl nicht persönlich zu der Parteiausschluss-Verhandlung erscheinen, so hat es sein Anwalt angekündigt. Doch egal, wie es ausgeht: In den Geschichtsbüchern wird er immer ein Kanzler der SPD bleiben, daraus wird man ihn kaum tilgen können.
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