Vor dem Ukrainekrieg bezog Deutschland rund 55 Prozent seines Gases aus Russland, inzwischen sind es noch etwa 35 Prozent. Der drohenden Gasknappheit im Herbst begegnet die Bundesregierung mit Appellen an die Bürgerinnen und Bürger und dem Bruch eigener Glaubenssätze. Die Kritik an der Ampelkoalition wird lauter.
Söder: »Wer Pakete schnürt, der muss alle entlasten«
CSU-Chef Markus Söder hat der Bundesregierung Versagen im Kampf gegen die aktuelle Energiekrise vorgeworfen. »Deutschland geht die Energie aus, es drohen kalte Winter. Das Land steht vor einem ökonomischen Infarkt, wenn das Gas nicht mehr fließt«, sagte der bayerische Ministerpräsident auf einem Parteitag der Oberbayern-CSU in Ingolstadt.
Viele Menschen könnten sich vieles nicht mehr leisten, Normalverdiener müssten den Abstieg fürchten, warnte Söder. Dabei sei es zentrale Aufgabe der Bundesregierung, für warme Wohnungen, Energie, Arbeitsplätze und bezahlbares Essen zu sorgen. »Und eine Regierung, die das nicht schafft, die hat ihren Auftrag grundlegend verfehlt.«
Söder bekräftigte dabei seinen Vorwurf, die Bundesregierung unternehme zu wenig, um für einen Ersatz für russisches Gas zu sorgen. Andere Länder hätten längst Lieferverträge etwa mit Katar geschlossen – da hinke Deutschland leider weit hinterher. Erneut forderte der CSU-Chef längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke, damit nicht auch noch eine Stromlücke zum Gasmangel hinzukomme.
Um die Menschen angesichts der hohen Inflation finanziell zu entlasten, forderte Söder erneut niedrigere Energiesteuern, eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und eine höhere Pendlerpauschale. Zudem müssten Rentner und Studenten, die im bisherigen Entlastungspaket der Bundesregierung fehlten, ebenfalls finanziell entlastet werden: »Wer Pakete schnürt, der muss alle entlasten. Es gibt keine zwei Klassen beim Heizen oder Essen.«
Schirdewan: »Nicht auf Verzichtspropaganda reinfallen«
Linken-Chef Martin Schirdewan hat sich gegen Appelle der Bundesregierung gewandt, angesichts der Gaskrise den privaten Energieverbrauch einzuschränken. »Ich rate den Leuten, nicht auf die Verzichtspropaganda hereinzufallen«, sagte er den Funke-Zeitungen vom Samstag. »Es kann nicht darum gehen, weniger zu heizen oder kälter zu duschen.«
Anders als der CSU-Chef forderte Schirdewan eine gezielte Unterstützung einkommensschwacher Haushalte. Diese sollten einen »sozialen Klimabonus« bekommen, der bei einem Grundbetrag von 125 Euro im Monat liege und für jedes weitere Haushaltsmitglied um 50 Euro aufgestockt werde. Außerdem sprach er sich für eine Deckelung der Energiepreise aus, »damit die Leute im nächsten Winter noch heizen und Fernsehen gucken können«.
Zur Finanzierung regte der neue Parteichef eine Übergewinnsteuer an. »Wir müssen bei den Ölmultis und Gaskonzernen die Krisenprofite abschöpfen«, sagte er. »Das machen selbst neoliberale Länder wie Großbritannien.«
Habeck erwartet Kritik an seiner Person
Die Vorbereitungen auf einen möglicherweise von Gasmangel geprägten Winter ist für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf die aus Russland in diesem Jahr noch zu erwartende Liefermenge: »Alles ist möglich. Alles kann passieren. Es kann sein, dass das Gas wieder fließt, auch mehr als davor. Es kann sein, dass gar nichts mehr kommt. Und wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein bisschen für das Beste arbeiten.«
Das Einsparen, Einspeichern und Auktionieren von Gas diene dazu, das politische »Albtraum-Szenario« einer Unterversorgung abzuwenden. Sollte dieses Szenario dennoch Realität werden, rechne er mit heftigen Debatten, »auch über mein Ministerium, über meine Person«, sagte Habeck, der laut Umfragen derzeit zu den beliebtesten Politikern zählt. »Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten«, fügte er hinzu. »Das wird die gesellschaftliche Solidarität bis an die Grenze und wahrscheinlich darüber hinaus strapazieren.«
Scholz: »Tempo, wie es bisher noch nicht in Deutschland gesehen worden ist«
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wies darauf hin, dass Deutschland sich auf eine Mangellage im Herbst und Winter vorbereite. Auf lange Sicht müsse Deutschland sich unabhängig machen vom Import fossiler Energien. Scholz verwies auf die jüngst verabschiedeten Gesetze zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Dies geschehe in einem »Tempo, wie es bisher noch nicht in Deutschland gesehen worden ist«, sagte er. »Wir werden es mit diesem Tempo auch schaffen, ein klimaneutrales, wirtschaftlich starkes Industrieland zu sein.«