nomie: Was die Entscheidung des EU-Parlaments fur den Klimaschutz bedeutet //
Sollten Sie die Frage mit sich herumtragen, in welche nachhaltigen Projekte Sie Ihr Geld stecken konnen, qualen Sie sich nicht langer – das Europaische Parlament kann Ihrer geplagten Investorenseele Linderung verschaffen. Investieren Sie in Gaspipelines ! In Erdgasfelder und -kraftwerke! Oder auch in Kernreaktoren, wenn Ihnen das mehr liegt.
Die Abgeordneten in Strassburg haben an diesem Mittwoch uber einen Vorschlag der EU-Kommission abgestimmt, uber die sogenannte Taxonomie. Dabei geht es um eine Art Gutesiegel fur private Investitionen, mit dem klar gekennzeichnet werden soll, welche Energieprojekte grun und nachhaltig sind, und welche nicht. Die Idee hinter dieser Regelung ist es, Geldstrome in Tatigkeiten zu lenken, die Europa der Klimaneutralitat naher bringen. Es geht darum, Greenwashing zu vermeiden. Und diese Idee ist eigentlich gut.
Aber: In einem Entwurf, den die EU-Kommission an Silvester veroffentlicht hatte, wurden neben den erneuerbaren Energien plotzlich auch Erdgas und Kernkraft unter bestimmten Bedingungen als Teil der Taxonomie beschrieben. So wollte es Frankreich, die Grande Nation der Kernkraft, und so wollte es ursprunglich auch Deutschland, das Grossreich der Gasheizungen.
Aus einer eigentlich guten Idee wurde das Gegenteil und eine hoheitliche Erlaubnis fur nicht weniger, sondern mehr Greenwashing. 328 von 639 anwesenden Abgeordnete stimmten dagegen, das Taxonomie-Vorhaben in seiner aktuellen Form zu blockieren – und votierten mit ihrem Nein entsprechend fur die Regelung, Investitionen in Gas und Kernkraft grun zu etikettieren.
>>Ein fatales Signal<>schwarzen Tag<<
Kurz nach der Abstimmung waren bei der Liveubertragung aus dem EU-Parlament in Strassburg auf den Rangen Aktivisten in roten T-Shirts zu sehen, auf jeder Brust prangte ein grosser Buchstabe. Das Wort, das sie bildeten, war ein Vorwurf an das Parlament: B-E-T-R-A-Y-A-L, Verrat.
Auch das Urteil von Umweltschutzorganisationen fiel einhellig aus. >>Ein fatales Signal<>ein schwarzer Tag fur den Klimaschutz und fur die Demokratie in Europa<>nun offiziell per Gesetz fur gultig erklart<< worden, lautete eine Einschatzung des Thinktanks E3G.
Zur Enttauschung durfte auch die Entwicklung der vergangenen Wochen beigetragen haben. Mitte Juni hatten sich die Mitglieder des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses mehrheitlich gegen die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen. Dass sich das Parlament gegen die machtige Kommission wenden und das Vorhaben kippen wurde, schien plotzlich moglich.
Wie viel Geld will die EU nach Russland uberweisen?
Ein Argument, das am 24. Februar Form annahm und spater viele andere noch uberstrahlte, war folgendes: Wenn man Gas- und Kernkraftprojekte als nachhaltig kennzeichnet, konnen vermeintlich grune Investitionen in die russische Staatskasse fliessen – die Staatskasse, aus der derzeit ein blutiger Krieg finanziert wird.
45 Prozent aller Gasimporte in die Europaische Union kamen 2021 aus Russland. Den Verkaufswert schatzte eine Recherche von Greenpeace auf mehr als 40 Milliarden Euro. Neben dem Gas liefert Russland auch Turbinen. Ausserdem macht Russland auch mit Atomreaktoren Geschafte. Die staatseigene Firma Rosatom hat dem Greenpeace-Bericht zufolge bislang 18 Nuklearreaktoren nach Europa exportiert. Das Land besitze 43 Prozent der weltweiten Kapazitaten zur Urananreicherung.
Den finanziellen Nutzen, den Putin aus der Taxonomieverordnung ziehen konnte, berechnete die Organisation so: jahrlich vier Milliarden Euro – zusatzlich – fur Gas, plus einen Teil von 500 Milliarden Euro, die in neue EU-Kernkraftkapazitaten fliessen konnten.
Entsprechend enttauscht ausserten sich Vertreterinnen und Vertreter der Ukraine nach der Abstimmung in Strassburg. >>Wladimir Putin reibt sich heute die Hande vor Freude. Europa hat ihm gerade ein grosses Geschenk gemacht<>Ich stehe unter Schock. Wie um alles in der Welt kann das mit Europas Haltung zum Schutz unseres Planeten und der Unterstutzung der Ukraine in Einklang stehen?<<, fragte die IPCC-Wissenschaftlerin Svitlana Krakovska.
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Dass die Taxonomie nun fur Russland eine Moglichkeit eroffnet, sich mit klimafreundlichen Investitionsgeldern weiter zu finanzieren, ist das eine.
Dass das EU-Parlament mit dieser Entscheidung die Forderung neuer fossiler Energieprojekte nicht verhindert, ist das andere.
Neue Gasprojekte sind mit den Klimazielen nicht vereinbar
Um die Klimaziele irgendwie zu erreichen, darf es keine Investitionen in neue Ol- und Gasprojekte geben. So deutlich formulierte es etwa die Internationale Energieagentur in ihrem Stufenplan fur den globalen Energiesektor 2021.
Diesen Klimazielen sieht sich auch die EU verpflichtet. In einer Pressemitteilung der Kommission von Februar hiess es zum Beispiel, man wolle den Ubergang beschleunigen, >>indem auf alle moglichen Losungen zur Verwirklichung unserer Klimaziele zuruckgegriffen wird<>dass privaten Investitionen in Gas- und Kernenergietatigkeiten eine Rolle beim Ubergang zukommt<>Die in dem Rechtsakt erfassten Gas- und Kernenergietatigkeiten stehen im Einklang mit den Klima- und Umweltzielen der EU. Mit ihrer Hilfe konnen wir den Ubergang von umweltschadlicheren Tatigkeiten wie der Kohleverstromung zu einer klimaneutralen Zukunft mit uberwiegend erneuerbaren Energietragern beschleunigen.<<
Das klingt so super, dass es nur falsch sein kann. Was es leider auch ist.
Erdgas ist keine Ubergangslosung
Wissenschaftlich ist es einfach nicht korrekt, Erdgas als entschieden viel weniger klimaschadlich zu werten als andere fossile Energietrager. Dazu erschien erst am Montag ein neuer Fachartikel in der Zeitschrift >>Nature Energy<>Der Ausbau der Erdgasinfrastruktur gefahrdet die Energiewende<<.
Die Klimawirksamkeit der Erdgasnutzung werde erheblich unterschatzt, heisst es darin. Gas stelle keinesfalls per se eine bessere Alternative zur Kohle- und Olnutzung dar. >>Das Problem ist nicht nur das CO2, sondern das stark wirksame Treibhausgas Methan, das entlang der kompletten Wertschopfungskette durch fluchtige Emissionen unverbrannt in die Atmosphare entweicht. Diese Emissionen wurden bislang nicht ausreichend berucksichtigt und unterschatzt<<, erklarte der Wissenschaftler Fabian Prager von der TU Berlin, der an der Veroffentlicht beteiligt war.
Das Narrativ von Erdgas als Ubergangslosung, als >>Bruckentechnologie<<, bis sich irgendwann genugend Windkraftrotoren drehen, sei irrefuhrend. Im Gegenteil zementiere der Ausbau von Erdgasinfrastrukturen die Abhangigkeit von fossilen Energietragern und bilde das Fundament weiterer schadlicher Emissionen in der Zukunft. Auf dem Pfad, den man heute einschlagt, bleibt man erst einmal eine Weile.
Das Fazit der Forscherinnen und Forscher: Investitionen in eine Erdgasinfrastruktur konnten die Energiewende aufhalten und brachten enorme okonomische Risiken mit sich.
Okonomische Risiken – diese zwei Worte lesen Sie als kluge Investorin, als gescheiter Geldgeber sicher nicht gern. Und vielleicht sind es genau diese okonomischen Risiken, die die Bedeutung der Taxonomie in der Realitat schmalern, den Fehler der EU weniger schwerwiegend machen.
Nur weil man etwas darf, muss man es nicht tun
Dass Erdgas keine Technologie der Zukunft ist, sagt mittlerweile sogar der Bundeskanzler . Und die wirtschaftlichen Unwagbarkeiten sind bei Investitionen in die Kernkraft noch einmal grosser.
__S.93__ __S.94__ Mit dem Siegel als nachhaltige Energieform sollte die Kernkraftbranche als Investitionsobjekt attraktiver werden, Endlagerprobleme hin oder her.
Doch womoglich wollen gar nicht alle privaten Investoren von dieser tollen, neuen, grunen Chance Gebrauch machen. Es war auch schon vorher erlaubt, sein Geld in wirklich nachhaltige Energieprojekte zu stecken. Das ist es seit heute nicht weniger.