EU-Internetgesetze: Raus aus den Regulierungsferien! – Kommentar //
Das interne Motto von Facebook lautete anfangs: >>Move fast and break things<>Beweg Dich schnell und zerstore Dinge<< – sprich: Die Branche zogert nicht, sondern zerstort lieber alte Strukturen, anstatt auf eine potenzielle Chance zu verzichten.
Die EU ist gewissermassen das Gegenteil. Sie benotigt mitunter mehr als ein Jahrzehnt, um solche Nichtigkeiten wie eine Regulierung fur Ladekabel durchzusetzen. Dass sie nun weniger als zwei Jahre nach der Vorstellung des ersten Kommissionsentwurfs den >>Digital Services Act<>Digital Markets Act<>Verfassung fur das Internet<<, die einst angekundigt worden war, ist Europa nach der heutigen Abstimmung weit entfernt.
Das Gravitationsfeld der Milliardenkonzerne
Man muss zugestehen: Im Vergleich zu anderen EU-Gesetzen sind die Neuregelungen ein grosser Wurf, ein Paradigmenwechsel. So haben die EU-Gremien erkannt, dass die Digitalkonzerne allein schon aufgrund ihrer Grosse ein eigenes Gravitationsfeld entwickeln. Es gilt nicht nur der Netzwerkeffekt, der Burger zu jenen Plattformen lockt, die bereits die meisten Mitglieder haben, sodass eine solche Plattform schon enorme Fehler machen muss, um ihre Kundschaft wieder zu verlieren. Auch die erzielten Milliardeneinnahmen verandern den Markt nachhaltig.
Die Legende vom zutiefst innovativen Silicon Valley halt einer kritischen Betrachtung kaum stand, da Google, Facebook, Amazon und Co. schlicht jeden Konkurrenten aufkaufen, der ihnen gefahrlich werden konnte. Was nicht gekauft werden kann, wird kopiert. Kaum hat eine App Erfolg zum Beispiel mit Audio-Konferenzen, ziehen die grossen Plattformen nach. Ob vertikale Videos oder selbstzerstorende Nachrichten: Jeder frische Trend wird schamlos kopiert. Bisher konnten sich die Konzerne darauf verlassen, dass die Regulatoren erst tatig werden, wenn bereits unbestreitbarer Schaden angerichtet wurde.
Rucksichtsloses Wachstum ausgebremst
Die Europaische Union hat nun einiges dafur getan, das Wachstum als Selbstlaufer auszubremsen. Konzerne durfen unter anderem ihre Neuerwerbungen nicht mehr hemmungslos bei ihren Mitgliedern bewerben, um etwaige Konkurrenten aus dem Markt zu kegeln, bevor diese sich ein eigenes Publikum aufbauen konnten. Auch mussen sie von vornherein fur die angemessene Moderation der Inhalte auf ihren Plattformen sorgen.
Burgerrechtler haben aber recht, wenn sie sich beklagen, dass Parlament und Kommission in vielen Bereichen zu kurz gesprungen sind. Bei der digitalen Werbung, die bis heute die Haupteinnahmequelle der grossten Internetkonzerne ist, gibt es allenfalls kosmetische Anderungen. Auch bei den irrefuhrenden Designs, die Kunden zu immer mehr Kaufen verleiten sollen, gibt es nur zaghafte Einschrankungen. Zu gross ist die Angst der Gesetzgeber, dass sie damit der eigenen Wirtschaft schaden konnten. Denn europaische Internetfirmen sind per se nicht ethischer oder kundenfreundlicher als die US-Konkurrenz. Wo es moglich ist, schliessen sie sich den gleichen Praktiken und dem globalen Datenhandel an, der im Silicon Valley seinen Ursprung genommen hat, an den Grenzen zu Europa aber keinesfalls Halt macht.
Dynamiken durchbrechen
Wenn die EU die selbstverstarkenden, oftmals toxischen Mechanismen der Onlinebranche durchbrechen will, fangt die Arbeit jetzt erst an. Die Datenschutz-Grundverordnung hat gezeigt, was alles schiefgehen kann. Auf der einen Seite haben Kleinunternehmer wie Friseure Angst, ihre Kundenlisten zu fuhren. Auf der anderen Seite hat der globale Datenhandel nicht etwa abgenommen, sondern uberschuttet die Screens der Burger kurzerhand mit immer neuen Cookie-Bannern.
Grund dafur ist auch ein undurchsichtiges Geflecht von Regulatoren, die selbst nach Jahren noch kein gemeinsames Schritttempo gefunden haben. So wird den Iren vorgeworfen, die Regulierung zu blockieren, um die Europazentralen der IT-Konzerne im Land zu halten.
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Sogar die Landesmedienanstalten haben bereits ihren Hut in den Ring geworfen. Haben Sie Erfolg, wird die Ausgestaltung des Internets von morgen nicht nur in Brussel, Berlin und Bonn, sondern zusatzlich an Schreibtischen in Stuttgart, Dusseldorf und Erfurt entschieden. You can move fast and make things happen. Nicht bei uns, wir sind Europaer.