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News des Tages: Ukraine-Krieg und Inflation, Klimakatastrophe in den Dolomiten, Fußball-WM in Katar

1. Kein bisschen Frieden

Zur Stunde tagt in Lugano die Konferenz über den Wiederaufbau der Ukraine. Zur Stunde regnen vermutlich aber auch russische Raketen auf das von Russland überfallene Land, zerstören Häuser, Einkaufszentren, Verteidigungslinien. Und töten Menschen.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), die für Deutschland an dem zweitätigen Treffen teilnimmt, sprach zu Beginn der Konferenz von »einer immensen Aufgabe«, vor der man stehe. Es sei wichtig, dass schon jetzt »die Weichen für einen nachhaltigen, reformorientierten Wiederaufbau der Ukraine« gestellt würden. »Die Menschen in der Ukraine brauchen ein Dach über dem Kopf, eine Schule zum Lernen, intakte Stromnetze, eine sichere Wasserversorgung und vieles mehr«, fügte sie hinzu.

Vor allem aber, möchte man ergänzen, brauchen die Menschen Frieden. Und der ist mit Blick auf die Nachrichtenlage derzeit nirgends in Sicht. Nach der Einnahme der einstigen Großstadt Lyssytschansk im Osten der Ukraine rücken die russischen Truppen nun auf das nächste Ziel vor, den Ballungsraum um Slowjansk. Der Gouverneur der ostukrainischen Region Luhansk, Serhij Hajdaj, rechnet damit, dass sich nach deren Einnahme die russischen Truppen nun auf die Nachbarregion Donezk konzentrieren.

Weil ein Ende des Kriegs nicht in Sicht ist, wächst auch die Furcht vor einer damit zusammenhängenden Wirtschaftskrise in Deutschland. Der Feind, den es hierzulande zurückzudrängen gilt, heißt: Inflation. Egal, ob Heizkosten, Spritkosten oder Lebensmittel – für viele Bürger sind die steigenden Preise zum großen Problem geworden.

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Bundeskanzler Olaf Scholz hatte deshalb heute Gewerkschaften, Arbeitgeber, Bundesbank und Wissenschaftler zum Dialog geladen. Im Rahmen der sogenannten konzertierten Aktion sollen Vorschläge entwickelt werden, um dem Preisdruck etwas entgegenzusetzen. Konkrete Instrumente wurden nicht präsentiert, dafür schwor Scholz die Bürger auf eine lange Phase mit hohen Preisen und Knappheit ein: »Wir stehen vor einer historischen Herausforderung.« Klingt nach viel warmen Worten gegen den »eiskalten Winter«, vor dem CSU-Chef Markus Söder wegen der drohenden Gasknappheit nach einer gemeinsamen Präsidiumssitzung der CSU und des bayerischen Industrie- und Handelskammertags warnte.

Konkrete Ergebnisse soll die konzertierte Aktion gegen die Inflation erst im Herbst bringen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte. Dem Auftakttreffen werde eine ganze Reihe von weiteren Treffen folgen. »Wir reden über eine lange Strecke«, sagte Hebestreit.

»Reden hilft«, sagt mein Kollege David Böcking aus unserem Wirtschaftsressort vorsichtig optimistisch. Es sei nie schlecht, »wenn die Sozialpartner in Krisenzeiten sprechen, wie sich auch schon in früheren Krisen gezeigt hat«. Fraglich sei aber, »ob es dafür wirklich der Moderation von Scholz bedarf«. Die echten Konflikte dürften mit der Verschlechterung der Lage erst noch kommen. Einen kleinen Vorgeschmack hat letzte Woche Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gegeben, als laut über eine mögliche Einschränkung des Streikrechts nachdachte.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Deutsche Exporte nach Russland sind zuletzt wieder gestiegen: Trotz Sanktionen und des Rückzugs von Firmen haben die deutschen Exporte nach Russland zwischen April und Mai zugelegt. Verantwortlich für das Plus ist wohl vor allem eine bestimmte Warengruppe.

  • Deshalb kommt so wenig Weizen aus der Ukraine: Noch immer stecken rund 40 Millionen Tonnen Weizen in der Ukraine fest. Ein Besuch im größten rumänischen Schwarzmeerhafen in Constanța zeigt, warum .

  • Wie Russland jetzt sowjetische Automarken wiederbeleben will: Geschlossene Fabriken, fehlende Teile – die russische Fahrzeugindustrie liegt am Boden. Jetzt versucht Moskau den Neustart mit sowjetischen Modellnamen. Ein bizarres Projekt, das Gefahren birgt .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Klimakatastrophe

Eine Lawine aus Eis, Schnee und Felsen stürzte am Sonntag von einem Dolomiten-Gletscher in Norditalien ins Tal.

Die Geröllmassen pflügten sich auch über einen der Hauptzugangswege auf den 3343 Meter hohen Berg Marmolata, auf dem sich mehrere Seilschaften befanden. Sechs Menschen sind tot, acht liegen schwer verletzt im Krankenhaus, immer noch suchen Helfer am Hang nach Überlebenden. Offenbar sind auch zwei Deutsche unter den Opfern.

Zur Ursache des Unglücks gab es zunächst keine offiziellen Angaben – allerdings deutet vieles darauf hin, dass die hohen Temperaturen der vergangenen Tage, Wochen und Monate eine Rolle spielen dürften. Erst am Samstag wurde nach Medienberichten auf dem Gipfel des Berges ein Rekordwert von zehn Grad gemessen. »So etwas habe ich auf der Marmolata noch nie gesehen. Das war keine normale Lawine wie im Winter«, sagte ein Bergretter.

Italien registrierte im vorigen Winter viel weniger Niederschlag als gewöhnlich, der Schnee fehlt vielen Gletschern nun als Schutz gegen die Sonne und die hohen Temperaturen.

Extrembergsteiger und Umweltschützer Reinhold Messner warnte angesichts der Erderwärmung vor mehr Unglücken dieser Art. Wegen der gestiegenen Temperaturen seien Gletscher instabiler: »Heute gibt es viel mehr Fels- und Eisabbrüche als früher.«

3. Dortmund statt Doha

Eines der größten Rätsel der Gegenwart – man könnte auch von einem Skandal sprechen – wurde heute im Sportausschuss des Deutschen Bundestags thematisiert: die Vergabe der Fußball-WM ins Emirat Katar. Vielleicht ist es aus infektiologischer Sicht ganz gut, dass wir uns dieser Tage nicht zum Public Viewing in Bars und Biergärten versammeln. Die gemeldete Zahl der Covid-19-Kranken, die auf Intensivstationen behandelt werden, ist seit Sonntag wieder vierstellig.

Noch bis zum 21. November müssen wir warten, bis die diesjährige Fußballweltmeisterschaft losgeht. Wegen der derzeit sehr hohen Temperaturen im Wüstenstaat wurde das Sportevent in den Winter verlegt. Schon jetzt kann man sich aber fragen, ob die Fußball-WM aus ethischer Sicht überhaupt nach Katar hätte vergeben werden dürfen? Schließlich werden dort Stadien auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten errichtet – und vermutlich nach der Veranstaltung ohne Rücksicht auf die ökologische Ressourcenverschwendung wieder abgerissen.

Thomas Beschorner, Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, findet, die Fifa und auch der Deutsche Fußballbund sollten sich von einer Rhetorik verabschieden, »die Demokratisierungsprozesse durch sportliche Großveranstaltungen vermutet«. In seinem heutigen Gastbeitrag für den SPIEGEL schreibt er: »Demokratisierungen und Liberalisierungen durch sportliche Großveranstaltungen, sei es im Fußball (Beispiele: Chile 1962, Argentinien 1978, Russland 2018) oder bei Olympischen Spielen (Berlin 1936, Peking 2008 und 2022) fänden de facto nicht statt. Es gibt dafür keine wissenschaftliche Evidenz«.

Warum ist eigentlich kaum je ernsthaft über einen Boykott der WM im Katar aus humanitären Gründen diskutiert worden, wie es unter anderem auch aus dem Fanlager angeregt wurde, fragt Beschorner? Und: »Wieso haben führende Fußballnationen (andere wären gefolgt) nie ein alternatives Fußball-Turnier in Betracht gezogen?«. Dortmund statt Doha!

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Bundesregierung schafft Schutzschirm für Energiekonzerne: Uniper ist der größte deutsche Gasversorger – und steht kurz vor der Insolvenz. Nun schafft der Bund nach SPIEGEL-Informationen die gesetzliche Grundlage, um den Energiekonzern noch diese Woche übernehmen zu können.

  • Verfassungsschutz warnt alle Abgeordneten vor gekaperten Messenger-Konten: Offenbar ist es zur »Übernahme von Benutzerkonten von hochrangigen politischen Personen« gekommen. So zumindest ist eine Warnung an alle Bundestagsabgeordneten überschrieben, die dem SPIEGEL vorliegt.

  • Tatverdächtiger verbringt U-Haft in Psychiatrie: Er soll drei Menschen getötet und etliche verletzt haben: Jetzt ist der mutmaßliche Schütze von Kopenhagen vor dem Haftrichter erschienen. Die Untersuchungshaft soll er unter psychiatrischer Beobachtung verbringen.

  • Türkei stoppt russischen Getreidefrachter: Das russische Frachtschiff »Zhibek Zholy« ist von türkischen Behörden im Schwarzen Meer festgesetzt worden. Die Ukraine hatte zuvor darauf gedrängt, das Schiff zu konfiszieren. Das Getreide an Bord sei gestohlen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Wie eine Übergewinnsteuer doch funktionieren könnte: Zu viel Gewinn gibt es nicht: Mit diesem Argument lehnen Gegner eine Steuer auf besonders hohe Krisenprofite ab. Doch eine Grundlage dafür existiert – und zwar weltweit .

  • Ein Titanring, der dem Gewicht von zwei Elefanten standhält: Die Einführung wurde aufgeschoben, seine Optik bemängelt. Doch am Wochenende in Silverstone hat der Cockpitschutz wohl gleich zwei Piloten das Leben gerettet. Es ist nicht das erste Mal in seiner noch jungen Geschichte .


Was heute weniger wichtig ist

  • Seit geraumer Zeit kursieren in der katholischen Kirche Gerüchte über eine angeblich schwere Erkrankung des Papstes und die Möglichkeit, dass er wie sein Vorgänger Papst Benedikt XVI. vorzeitig aus dem Amt scheiden könnte. Jetzt hat der Pontifex solchen Spekulationen eine Absage erteilt. »Das ist mir nie in den Sinn gekommen«, sagte das 85-jährige Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in einem heute veröffentlichten Interview. In dem Interview in seiner Residenz im Vatikan dementierte Franziskus auch Gerüchte, wonach er an Krebs erkrankt sein soll. Er scherzte, dass seine Ärzte »mir nichts davon gesagt haben«. Die Spekulationen bezeichnete der Papst als vatikanisches »Hofgeschwätz«.

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Während eines Zoom-Gesprächs trinkt sie aus einer Kaffeetasse, auf der in Englisch und Franösisch steht: ›Ich ♥ Steuerrecht‹« 

Cartoon des Tages: Eis

plassmann


Und heute Abend?

Ausnahmsweise bin heute ich auf der Suche nach Tipps. Vermutlich werde ich am Feierabend keinen Film ansehen und kein Buch lesen, sondern versuchen, einen freien Campingplatz oder gar eine Ferienwohnung irgendwo am Meer für irgendwann Anfang September zu finden. Wobei ich mir nach der Lektüre von Nikolaus Blomes heutiger Kolumne über das europäische Reisechaos ernsthaft überlege, den Sommerurlaub Zuhause in München zu verbringen.

So schlimm scheint die Lage an deutschen Flughäfen und auf der Schiene, dass Nikolaus die Wiedereinführung der Wehr- und Dienstpflicht vorschlägt. Statt Gastarbeiter aus der Türkei könnte doch die Bundeswehr an der Gepäckabfertigung aushelfen. »Notstand und Personalmangel hat diese Gesellschaft in vielen Bereichen, von den Altenheimen bis zum Flughafenterminal. Und ausgepumpten Familien einen menschenwürdigen Start in die ersten großen Ferien seit zwei Jahren zu ermöglichen, ist meines Erachtens ein guter Dienst an der Gesellschaft, man könnte auch sagen: ein wertvoller Zivildienst.«

Einen schönen Abend
Ihre Anna Clauß

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