Angst vor der Inflation
Wohlstand für alle? Das schöne alte Wirtschaftsmodell, eingeführt von Ludwig Erhardt (der mit der Zigarre), ist in Gefahr. Die Inflation erreicht Rekordhöhen, eine Rezession droht. Mit 7,6 Prozent ist die Inflation nun so hoch wie nie zuvor im wiedervereinigten Deutschland. Einiges spricht dafür, dass die Krise auch die deutsche Mittelschicht erodieren könnte.
Zwar stiegen die Preise im Juni etwas weniger stark als im Mai. Aber das dürfte auf das Konto von Tankrabatt und 9-Euro-Ticket gehen. Wenn diese befristeten Rabattaktionen auslaufen, könnte es wieder einen großen Inflationssprung geben, befürchten Experten.
Finanzminister Christian Lindner (FDP)
Foto: Michelle Tantussi / REUTERS
Was tut die Politik? Die Bundesregierung hat den Haushaltsentwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) für 2023 beschlossen. Er trägt klar die Handschrift des Liberalen. Das Ziel ist, dass in Zukunftsbereiche wie Bildung und Digitalisierung investiert wird. Die staatlichen Ausgaben und Zuschüsse für die Geldbeutel der Bürger sollen dagegen nicht mehr exorbitant steigen. Der Etatplan sieht eine drastische Reduzierung der Nettokredite vor, um die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse einhalten zu können.
Die Frage ist allerdings, ob die Regierung diesen Plan durchhalten kann. Zurzeit ist in diesem Haushalt noch eine ordentliche Portion Optimismus eingebaut. Wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter zuspitzt, die Gas- und Benzinpreise noch mehr steigen, wird die Debatte in der Ampelkoalition über neue Entlastungen für die Bürger wieder Fahrt aufnehmen – und das kostet bekanntlich.
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Explosionen in Mykolajiw – auch im Osten schwerer Beschuss: Die News
Neuer Streit über alte Coronamaßnahmen
Jetzt ist er da, der mit Spannung erwartete Expertenbericht für Bund und Länder zu den Coronaeinschränkungen in den vergangenen Jahren. Das Ergebnis: Einige Maßnahmen waren sinnvoll, bei anderen ist der Effekt unklar. Es fehlen häufig ausreichend Daten.
Schutzmaßnahmen wie das Maskentragen können nach Ansicht des offiziellen Expertengremiums auch weiter gegen das Coronavirus hilfreich sein. Da das Virus drinnen eher übertragen werden könne als draußen, »sollte eine Maskenpflicht zukünftig auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben«, so das Gremium.
Coronatestzentrum in Bayern
Foto: Sven Hoppe / dpa
Zugangsbeschränkungen nur für Getestete sehen die Expertinnen und Experten unter bestimmten Umständen ebenfalls als mögliche sinnvolle Auflage an. Das gilt auch für Lockdowns. Sie sind nach Ansicht der Experten aber nur zu Beginn einer Virusausbreitung wirksam, umso länger sie andauern, desto sinnloser werden sie, weil sich immer weniger Leute an die Regeln halten. Weiterhin offen ist demnach die genaue Wirksamkeit von Schulschließungen auf die Eindämmung der Ausbreitung des Virus. Weil gleichzeitig mehrere Maßnahmen eingeführt wurden, könne demnach deren Effekt allein nicht gemessen werden. Aha.
Natürlich sorgt der Bericht nun prompt für politischen Streit. Die FDP sieht sich in ihrer Ansicht bestätigt, dass viele Einschränkungen während der Pandemie übertrieben waren. Die Grünen stellten dagegen fest, dass der Evaluationsbericht aufgrund fehlender Daten nur begrenzte Aussagekraft habe. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte an, in der Koalition würde man bereits – vertraulich – über die Coronamaßnahmen für den Herbst verhandeln. Seine Warnung: »Ich erwarte eine schwere Herbstwelle.« Also bitte nicht die Maskenvorräte wegschmeißen.
Ein schwieriger Gefangenenaustausch
Wenn es noch einen Zweifel daran gegeben haben sollte, dass die Regierung von Wladimir Putin wie eine Mafia organisiert ist und auch so handelt, dann dürfte dieser nun endgültig ausgeräumt sein. Wie die »New York Times« berichtet , möchte Moskau den Amerikanern offenbar einen bizarren Gefangenenaustausch aufdrängen. Die US-Basketballspielerin Brittney Griner, die in Russland wegen Drogenbesitzes in Haft sitzt, soll gegen den notorischen Waffenhändler Viktor Bout ausgetauscht werden. Der »Händler des Todes« genannte Russe, ist in den USA inhaftiert.
Der Unterschied zwischen den beiden Fällen könnte kaum größer sein: Griner wurde am Moskauer Flughafen festgenommen, weil sie ein Fläschchen Haschisch-Öl dabeigehabt haben soll, ein Rauschmittel, das man in vielen Ländern des Westens legal kaufen kann. Bout hingegen ist ein international geächteter Waffenhändler, der ein Vermögen damit gemacht haben soll, Waffen an die miesesten Typen auf dem Planeten zu verscherbeln, einschließlich Terrorgruppen.
US-Basketballerin Brittney Griner
Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP
US-Präsident Joe Biden, der über den möglichen Tausch entscheiden muss, stellt das Ansinnen der Russen vor ein Dilemma. In den USA gibt es massiven Druck von Griner-Freunden und aus der LGBTQ-Gemeinschaft, die lesbische Basketballspielerin freizubekommen. Auf der anderen Seite kann Biden schwerlich einen Schurken wie Bout einfach laufen lassen. Wie wird sich Biden entscheiden? Von der US-Regierung gibt es derzeit keine Stellungnahme in der Sache.
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Verlierer des Tages…
Börsenhändler in New York
Foto: Seth Wenig / AP
…sind die sogenannten »Märkte«. Die Börsen und Aktienzocker haben das schlechteste Halbjahr seit Jahrzehnten hinter sich. In New York ist der S&P 500, der Aktienindex der 500 stärksten US-Unternehmen, in den vergangenen sechs Monaten um 20 Prozent gefallen. Besitzer von Kryptowährungen wie Bitcoin hat das Börsenbeben ebenfalls hart getroffen, für die Pseudowährung ging es 60 Prozent in den Keller. Der Nasdaq, in dem die Techwerte versammelt sind, verlor 30 Prozent seines Wertes.
Besserung ist nicht in Sicht. Die Angst vor der Inflation und vor steigenden Zinsen vermiesen den Börsenprofis die Stimmung. Das ist natürlich nicht schön. Andererseits ist der Sinn und Zweck der Börse, dass an ihr Geld verdient wird. Als der S&P in den Siebzigerjahren im ersten Halbjahr um mehr als 20 Prozent absackte, stieg er im zweiten Halbjahr um 26 Prozent. Es gibt also noch Hoffnung für die Zocker.
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ihr Roland Nelles