Joe Bidens große Stunde
So entspannt hat man US-Präsident Joe Biden lange nicht gesehen. Beim Nato-Gipfel in Brüssel witzelt er mit dem türkischen Präsidenten und mit dem britischen Premierminister. Der Amerikaner gibt sich locker und selbstbewusst.
Kein Wunder, denn die USA und ihr Präsident stehen beim derzeitigen Gipfel-Marathon zu Recht im Mittelpunkt. In der Konfrontation mit Russland um die Ukraine hat Washington unter der Präsidentschaft von Joe Biden die Führung im westlichen Bündnis übernommen. Ohne den beherzten Einsatz der Amerikaner – zum Beispiel bei den Waffenlieferungen – stünden Russlands Truppen in der Ukraine womöglich jetzt schon an der Ostgrenze der EU. Europa kann sich (noch nicht) allein gegen die Bedrohung aus Moskau behaupten.
US-Präsident Joe Biden beim Nato-Gipfel
Foto: Manu Fernandez / AP
Biden half zudem mit, die nun beschlossene Aufnahme von Finnland und Schweden in die Nato durchzusetzen. In Madrid erneuerte er den Treueschwur für die Nato-Partner: Amerika werde »jeden Zentimeter« des Nato-Gebiets verteidigen, versprach er. Wie zum Beweis kündigte er an, weitere US-Soldaten nach Europa zu verlegen. In Spanien soll zudem die Zahl der im Hafen von Rota stationierten amerikanischen Zerstörer von vier auf sechs erhöht werden. In Berlin, Paris und Brüssel werden sie auch nach diesem Nato-Gipfel alle zugeben: Zum Glück gibt es Amerika.
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Nato versus China
Beim Nato-Gipfel in Madrid geht es natürlich in erster Linie um Russland und die Ukraine. Doch fast genauso bedeutsam ist, dass das Bündnis das Signal aussendet, in Zukunft auch mehr und mehr China in den Blick nehmen zu wollen.
Erstmals wurden zu einem Nato-Gipfel vier Staaten aus dem Indo-Pazifik-Raum eingeladen, die man bei der Nato als Verbündete gegen China betrachtet: Mit Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea wird über eine vertiefte Zusammenarbeit gesprochen, etwa im Bereich der Cyber-Abwehr.
»China ist nicht unser Gegner, aber wir müssen uns über die großen Herausforderungen im Klaren sein«, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Das Land bedrohe den Nachbarn Taiwan und rüste substanziell auf, auch im Bereich der Atomwaffen. Chinas Politik habe Auswirkungen auf die Sicherheit der Allianz und der Partner.
Chinesische Soldaten in Peking
Foto: PAVEL GOLOVKIN / POOL / EPA-EFE
Der verstärkte Blick der Nato in Richtung Asien ist eine bemerkenswerte Entwicklung: Seit Jahren dehnt China seinen Einfluss nicht nur in Asien, sondern auch in anderen Weltregionen wie Afrika systematisch aus. Der Westen hat dabei meist tatenlos zugesehen. Nun ist man auch bei der Nato aufgewacht, man versucht offenkundig, ein Gegengewicht zu schaffen.
Und was tut China? Dort ist man empört. Der chinesische Uno-Botschafter, Zhang Jun, warnte die Nato vor jeder Form von Einmischung in asiatische Angelegenheiten. Das Bündnis solle nicht versuchen, eine asiatische Version der Nato zu schaffen, so Zhang. »Die Unruhen und Konflikte, die wir in Teilen der Welt erleben, dürfen nicht im asiatisch-pazifischen Raum stattfinden«, sagte er. Freundschaftsgrüße hören sich anders an.
Urteil gegen Attentäter von Paris
Plötzlich sind sie wieder da, die Bilder: Menschen springen in Panik aus einem Seitenfenster der Konzerthalle Bataclan in Paris, andere ducken sich in Straßencafés verzweifelt hinter Tische. 130 Menschen starben im November 2015 in der französischen Hauptstadt bei einer Anschlagsserie von Islamisten.
Als Hauptangeklagter wurde nun von einem Schwurgericht in Paris der 32 Jahre alte Franzose Salah Abdeslam wegen seiner Beteiligung an den Anschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt. Er gilt als einziger Überlebender des damaligen Terrorkommandos, seine Sprengstoffweste war defekt und zündete nicht.
Gerichtszeichnung von Salah Abdeslam (M.)
Foto: BENOIT PEYRUCQ / AFP
Auch 19 der insgesamt 20 anderen Angeklagten wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Bei ihnen handelte es sich meist um Helfer, die den Terroristen bei der Ausführung ihrer Tat Unterstützung leisteten.
Der Hauptangeklagte zeigte wenig Reue. Während des Prozesses gab er sogar ein Liebesbekenntnis zur Terrororganisation »Islamischer Staat« ab.
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Verlierer des Tages…
Rudy und Andrew Giuliani
Foto: Mary Altaffer / AP
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Ihr Roland Nelles