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Welt

News des Tages: Nato, Russland, Bataclan-Prozess, Flughafen-Chaos, Verbrennermotoren

1. Kein Anschluss unter dieser Nummer?

Die Frage, was Satire »darf« und in welche Richtung sie »treten« müsse, ist immer mal wieder Gegenstand hitzigster Erörterungen. Wenn George W. Bush, Prinz William, Elton John oder J.K. Rowling auf die Schippe genommen werden, findet das normalerweise milde Richter. Es sei denn, ein (vom Kreml) preisgekröntes Duo war am Werk. Dann wird’s ernst.

Wie schon in den oben genannten Fällen sollen Wladimir Kusnezow und Alexej Stoljarow alias »Vovan und Lexus« auch für Zoom-Calls in europäische Hauptstädte verantwortlich sein, bei denen Bürgermeister (darunter Franziska Giffey) mit einem falschen Vitali Klitschko zum Narren gehalten wurden. Staatstreue Scherze in Kriegszeiten aus reaktionärem Antrieb.

Besser ist es bisweilen, gar nicht ranzugehen. So, wie es nun die Nato auf ihrem Gipfel in Madrid angekündigt hat. Bis auf spezielle Notkanäle ist die diplomatische Kommunikation mit Russland mittelfristig abgebrochen. »Im Licht ihrer feindlichen Politik und Handlungen können wir die Russische Föderation nicht mehr als Partner betrachten«, heißt es im »Strategischen Konzept« der westlichen Militärallianz. Beinahe wortgleich hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg das schon vor knapp einer Woche im SPIEGEL-Interview  gesagt und betont, Russland stelle »die größte unmittelbare Bedrohung unserer Sicherheit und Werte dar«.

Finnland und Schweden sind nun offiziell eingeladen, dem Bündnis beizutreten – nachdem die Türkei den Weg dafür freigemacht hat. Im Nachgang fordert Ankara von den beiden skandinavischen Ländern die Auslieferung von 33 Personen, die des »Terrors« verdächtigt werden. Womit wir wieder bei der Satire wären.

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Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Putins Einpeitscher: Er beschimpft Olaf Scholz als »Motte« und droht Deutschland mit Krieg: Wladimir Solowjow hetzt fast täglich im russischen Staats-TV. Wer ist der Mann? 

  • Selenskyj fordert Vorgehen der Uno gegen Russland: Russland könne nicht Mitglied im Rat sein, solange es Zivilisten terrorisiere: Bei seiner Ansprache per Videostream verblüffte der ukrainische Präsident Selenskyj seine Zuhörer mit einer sehr konkreten Forderung.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Mit Gerechtigkeit gegen Grausamkeit?

»Ich gehe in die Bar, bestelle was zu trinken, sehe die Leute um mich und denke mir: Nein, ich mach’s nicht. Als ich die Leute lachen und tanzen sah, war mir klar, dass ich es nicht tun würde«, sagte Saleh Abdeslam im April vor Gericht. Es ist eine nicht unrührselige Geschichte, die der islamistische Terrorist seinen Richtern erzählt hat.

Bei den dschihadistisch motivierten Anschlägen am 13. November 2015 waren, unter anderem im Club »Bataclan«, 132 Menschen getötet worden. Abdeslam ist das letzte noch lebende Mitglied der Terrorkommandos. Weil an diesem Abend im 18. Arrondissement angeblich aus Menschlichkeit davon abgesehen hatte, seinen Sprengstoffgürtel zu zünden.

Heute am Abend erwartet er sein Urteil.

Meine Kollegin Britta Sandberg hat in der französischen Hauptstadt einen Prozess begleitet, der seinesgleichen sucht – und kaum findet; »300 Anwälte vertraten in Paris insgesamt 2400 Zivilkläger und verteidigten 20 Angeklagte. Nur 14 von ihnen waren anwesend, die anderen starben in Syrien oder gelten als vermisst«.

Sandberg erlebte den Prozess auch als eine rechtsstaatliche Leistungsschau. Der Prozess habe Angeklagten, Angehörigen und Anwälten ihren Raum eingeräumt, Hinterbliebene geschützt, psychologische Betreuung bereitgestellt. Sogar »vermeintliche Monster bekamen zumindest für Momente auf einmal ein menschliches Antlitz«. Sogar die Angeklagten, schriebt Sandberg, hätten sich am Ende bei ihren Anwälten und der Justiz bedankt.

Es könnte mehr als ein Strafprozess gewesen sein. Ein Zivilisierungsprozess.

3. Wendet der Verkehr sich ganz von selbst?

»Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren«, sagt die grüne Europa-Abgeordnete Jutta Paulus im Interview mit dem SPIEGEL , »dass es hier auch um dieses Männerding geht, nach dem Motto: Ein Motor muss Krach machen«.

Ich wiederum kann mich des Eindrucks nicht erwehren, am Steuer der größten Spritfresser, den SUVs, meistenteils Frauen sitzen zu sehen, die die dortige Sicherheit offenbar sehr zu schätzen wissen – auch auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmerinnen. Auch kenne ich persönlich Frauen, die ihre serienmäßigen Motorräder flugs mit Brülltüten aus dem Zubehör ausgerüstet haben, weil’s halt »geil klingt«.

Abgesehen vom ideologischen Ballast (nach dem Motto: Männer stehen dem Fortschritt im Wege) aber hat Paulus natürlich recht, wenn sie anmerkt, »alle großen Hersteller« hätten bereits »die Weichen in Richtung Batterieauto« gestellt. Oder, wie Arvid Kaiser recht trocken die Beschlüsse der EU-Umweltminister in Luxemburg kommentiert: »Das war es dann wohl für Autos mit Benzin- oder Dieselmotor« .

Noch besser wäre ein Solarauto wie der Lightyear Zero, den mein Kollege Thomas Geiger bereits fahren durfte. Oder ein Fahrzeug, das allein vom guten Gewissen seiner Fahrer (m/w/d) angetrieben wird.

Der Flugverkehr indes hat gegenwärtig kurioserweise kein Umweltproblem, sondern steht, wovon Reisende derzeit ein Lied singen können, vor hausgemachten Schwierigkeiten. Die Engpässe beim Personal sollen nun mit der historisch bewährten Methode bewältigt werden, Fachkräfte aus der Türkei zum Einsatz zu bringen. Man wolle nun schnell Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse erteilen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ergänzte, Lohn- und Sozialdumping werde es ebenso wenig geben wie Leiharbeit.

Apropos SPD. Für Freitag hat die Gewerkschaft Ver.di zum Warnstreik bei Beschäftigten für Instandhaltung in Technik und Gepäckbeförderung aufgerufen. Besser also, dann fünf statt nur drei Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Oder gleich den Zug zu nehmen

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Inflationsrate im Juni überraschend gesunken: Die Inflation in Deutschland hat im Juni nachgelassen. Waren und Dienstleistungen kosteten durchschnittlich nur noch 7,6 Prozent mehr als im Juni 2021. Preistreiber waren erneut Energie und Lebensmittel.

  • Wohin mit dem kaputten Toaster? – In den Supermarkt! Ab Freitag können Verbraucher alte oder kaputte Elektrogeräte wie Toaster, Wasserkocher oder Föhn bei Aldi, Edeka und Co. abgeben, egal, ob diese dort gekauft wurden. Es gibt jedoch einige Einschränkungen.

  • Schwerverletzte 34-Jährige weiter in kritischem Zustand: Fünf Menschen kamen ums Leben, als ein Zug in Bayern entgleiste. Eine bei dem Unglück schwer verletzte Frau befindet sich weiter in schlechter Verfassung. Die Ermittlungen der Soko »Zug« gestalten sich komplex.

Meine Lieblingsgeschichte heute…

… handelt vom Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Wer viel Muße und starke Nerven hat, kann nach dem klassischen Standardwerk von Edward Gibbon greifen. Sein sechsbändiger »Verfall und Untergang des römischen Imperiums« liest sich nach kurzer Eingewöhnungsphase wie eine blutrünstige Seifenoper zwischen »Game of Thrones« und »Gladiator«. Allerdings schrieb Gibbon zwischen 1776 und 1788, weshalb seine Begründung für Verfall und Untergang des römischen Imperiums heute als überholt gilt. Der Gelehrte schob die Schuld der christlichen Kirche in die purpurnen Pantöffelchen.

Inzwischen wurden für den Fall von Rom mehr Gründe aufgeführt, als damals Kaiser erdrosselt, erdolcht oder vergiftet wurden – und das will etwas heißen. Mal werden Umweltprobleme, mal Finanzprobleme angenommen. Man wird der Völkerwanderer bemüht, mal Dekadenz. Manche Forscher behaupten sogar, das antike Rom sei – ähnliche wie das antike China – im Grunde nie untergegangen, es habe sich nur verwandelt.

Mein Kollege Frank Thadeusz hat mehrere Ausstellungen zum Thema in Trier besucht, seines Zeichens ebenfalls mal Hauptstadt des damals schon recht wackeligen Reiches. Darin wird der Augenmerk vor allem auf innere Machtkämpfe gelegt, die ein so gigantisches Staatswesen – von Schottland bis Syrien, von Ägypten bis Rumänien – zu gewärtigen hatte. »Als das Ende kam«, schriebt Thadeusz, »nahm die Bevölkerung davon kaum Notiz«. Lehren für Imperien von heute, sagt er, seien daraus allerdings kaum zu ziehen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Warum das Flugchaos noch schlimmer werden könnte: Wer fliegen will, muss derzeit leiden: Weil es an Personal und Technik fehlt, kämpfen Passagiere mit Warteschlangen, gestrichenen Verbindungen und überlasteten Hotlines. Der Höhepunkt dürfte erst noch kommen .

  • Trumps irrer Ausraster: Wutanfälle, ein versuchter Griff ins Lenkrad, ein Angriff auf seinen Leibwächter: Eine Zeugin berichtet vor dem US-Kongress von Donald Trumps Verhalten rund um den Kapitol-Sturm. Die Untersuchung wird für den Ex-Präsidenten immer mehr zum Problem .

  • Meint ihr das wirklich ernst? Was ist gefährlicher: alte antisemitische Karikaturen aus Indonesien oder Antisemiten, die mit Maschinenpistolen in Synagogen eindringen? Über die fatale Lust der Deutschen an Symbolpolitik .


Was heute weniger wichtig ist

  • Billie Eilish, 12, und Anya Taylor-Joy, 16, okay, kleiner Scherz, noch mal von vorne: Billie Eilish, auch schon 20, vor wenigen Jahren aber noch als jüngster Superstar aller Zeiten gehandelt (»Bad Guy«), und die Schauspielerin Anya Taylor-Joy, 26, berühmt für ihre apart weit auseinanderstehenden Augen und ihre Rollen in »Das Damengambit« oder »The Northman«, dürfen künftig über die Vergabe der Oscars mitentscheiden. Sie gehören zu 397 Menschen, mit denen sich die rund 9000 Mitglieder umfassende Academy (ähnlich wie der deutsche PEN) jünger und diverser aufstellen möchte.

    Schon jetzt, heißt es aus Kreisen der Academy, seien 44 Prozent aller Mitglieder weiblichen Geschlechts, 37 Prozent gehörten »Minderheiten« an, welche Minderheiten das auch immer sein mögen. Eintrittskarte ist, anders als beispielsweise beim deutschen PEN, mindestens eine Oscar-Nominierung; Eilish beispielsweise konnte zuletzt mit einem »Bond«-Song reüssieren. Anders als beim deutschen PEN ist in näherer Zukunft auch keine Spaltung zu erwarten.

    Es gibt, je länger man darüber nachdenkt, jenseits einer angestrebten Verjüngung, der Diversifizierung und der Offenheit für Ausraster (Will Smith und seine Ohrfeige), im Grunde keine weiteren Parallelen zum deutschen PEN. Auch das ist eine gute Nachricht, es sei Eilish und Taylor-Joy daher herzlich gratuliert.

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Wladimir Solowjow ist, auch das gehört zur Wahreit, ein wahrscheinlich hochintelligenter Mann« 

Cartoon des Tages: Ab in den Urlaub

Illustration: Thomas Plaßmann


Und heute Abend?

Zu den wirksamsten Grundkonstellationen komödiantischer Filmkunst gehört, seit die Bilder laufen lernten, der unvermeidliche Abstieg eines Mannes in Chaos und Verzweiflung. Da gibt es eine mal mehr, mal weniger lustige Linie, die sich über Harold Lloyd und Buster Keaton, Stan Laurel und Oliver Hardy, dem unvergesslichen Peter Sellers als Inspektor Clouseau, Loriot im Wartezimmer (»Das Bild hängt schief!«) bis zu Rowan Atkinson als Mr. Bean zieht. Nur Atkinson weilt noch unter den Lebenden.

Bei Netflix ist er nun in einer Serie zu sehen, die ganz auf Chaos und Verzweiflung setzt. Er spielt darin einen schrulligen Tropf, der in Abwesenheit der Besitzer auf ein Luxus-Anwesen aufpassen muss – dabei aber von einer Biene dergestalt aus dem Konzept gebracht wird, dass er das Haus in Schutt und Asche legt. »Man vs. Bee«  kommt, wie Mr. Bean, weitgehend ohne Dialoge aus, lebt also von situationskomödiantischem Slapstick – und der wachsenden Verzweiflung eines Mannes, der über sein eigenes Temperament mindestens ebenso stolpert wie über die Anwesenheit des zudringlichen Insekts. Das ist, zugegeben, nichts für Liebhaberinnen und Liebhaber des feinen, angedeuteten oder elaborierten Lachens. Sondern, vor allem, etwas für die Sechsjährigen in uns allen.

Kritisch angemerkt sei höchstens, dass es sich bei der »Biene« eher um eine Hummel handelt. Und Hummeln können bekanntlich gar nicht fliegen.

Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Arno Frank

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