Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat offenbar Asylsuchende, die wegen ihrer Homosexualität in ihren Heimatländern Verfolgung fürchten, wiederholt mit rechtlich unzulässigen Begründungen abgelehnt. Der Lesben- und Schwulenverband LSVD hat nach eigenen Angaben über 70 entsprechende Fälle aus den vergangenen Jahren gesammelt. Darunter seien auch solche, in denen Betroffene in Deutschland geheiratet haben oder heiraten wollten. Einige der Fälle liegen dem SPIEGEL vor.
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In Asylverfahren müssen Lesben und Schwule glaubhaft machen, dass ihnen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Verfolgung in ihrem Herkunftsland droht. Das Bamf stellt dafür unter anderem Prognosen darüber auf, wie sich die Geflüchteten bei einer Rückkehr in ihre Heimat verhalten könnten.
Gehen die Behörden davon aus, dass die Betroffenen ihre sexuelle Orientierung geheim halten würden, können sie abgeschoben werden – auch in Länder wie Iran und Pakistan, wo auf Homosexualität sogar die Todesstrafe stehen kann. »Diese Verhaltensprognosen sind europarechtswidrig und hanebüchen«, sagt der LSVD-Bundesvorstand Patrick Dörr.
Der Europäische Gerichtshof entschied bereits 2013, dass eine solche Asylpraxis unzulässig ist. Da die sexuelle Orientierung zur Identität gehöre, könne von Asylsuchenden nicht erwartet werden, diese zu verstecken, um Verfolgung zu vermeiden, heißt es dazu im Urteil. Das Bundesverfassungsgericht griff das europäische Urteil später auf und bekräftigte es erneut. Und auch in einem Entscheiderbrief des Bamf hieß es im Dezember 2021 eigentlich: »Antragstellenden ist demnach nicht zuzumuten, gefahrträchtige Verhaltensweisen zu unterlassen, um eine Verfolgung zu vermeiden, die andernfalls wegen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität drohen würde.«
»Absolut menschenverachtend«
Dennoch kommen entsprechende Begründungen offenbar weiterhin in Ablehnungsbescheiden vor, die jüngsten Fälle stammen aus den vergangenen Monaten. Das Bamf teilt dazu auf Anfrage mit, man lege in den Asylverfahren die »höchstrichterliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs« zugrunde. Bei Antragstellern, die »aus eigenem freiem Willen und ohne Beeinträchtigung der persönlichen Identität (also nicht aus Angst erzwungen) beabsichtigen, ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im Verborgenen auszuleben«, werde dies jedoch bei der Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit berücksichtigt. Dies könne zu einer ablehnenden Entscheidung führen.
In den Fällen, die der LSVD gesammelt hat, finden sich jedoch auch Asylsuchende wieder, die in Deutschland eine gleichgeschlechtliche Ehe eingehen wollten oder schon geheiratet hatten. Dem Bamf reichte das offensichtlich nicht als Beleg dafür, dass die Geflüchteten ihre sexuelle Orientierung offen leben wollten – ihre Asylanträge wurden dennoch mit dem Verweis auf ein mögliches, diskretes Leben in der Heimat abgewiesen.
»Uns liegt ein halbes Dutzend Fälle vor, in denen Asylsuchende gleichgeschlechtliche Ehen eingehen wollten oder eingegangen sind und das Bamf trotzdem ablehnende Entscheidungen traf«, sagt Dörr. »Dabei kommen diese Personen aus Algerien, Iran, Jamaika, Pakistan und Tunesien, also aus Staaten mit massiven Haftstrafen und gesellschaftlicher Gewalt für queere Menschen.«
Das Bamf erklärt weiterhin, man stelle »eine vertiefende Sensibilisierung der Entscheiderinnen und Entscheider« durch Schulungsprozesse sicher. Der Koalition reicht das bisher offenbar nicht. Schon im Koalitionsvertrag kündigte die Ampel an, den Umgang mit queeren Geflüchteten überprüfen zu wollen. In einem internen Arbeitspapier der SPD-Fraktion heißt es nun, die gängige Praxis sei »absolut menschenverachtend«. Die Praxis solcher Verhaltensprognosen durch das Bamf müssten »dringend und ersatzlos abgeschafft werden«.