1. Bei wem den Zorn über den Tankrabatt abladen?
Als meine Kinder klein waren, habe ich ihnen gern das Buch vom kleinen Maulwurf vorgelesen, der wissen will, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. Die Taube, die Ziege, die Kuh: Keiner will’s gewesen sein. Es ist die Art von Humor, die Dreijährige wahnsinnig lustig finden.
Ich musste an die Geschichte denken, als ich heute herausfinden wollte, wer für den Tankrabatt verantwortlich ist. Mehr als drei Milliarden Euro gibt die Ampelregierung dafür aus, die Spritpreise vorübergehend um ein paar Cent billiger zu machen. Das war der Plan. Doch wie sich nun zeigt, landet das Geld offenbar zu großen Teilen in den Kassen der Mineralölkonzerne. Viele Bürgerinnen und Bürger sind darüber zu Recht empört. Doch bei wem sollen sie ihren Zorn abladen? Bei der FDP, bei den Grünen, bei der SPD? Nein, nein, nein, von denen will es keiner gewesen sein.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagt, die Ausgestaltung des Tankrabatts sei Aufgabe des Bundeswirtschaftsministeriums. Man möge sich an Robert Habeck (Grüne) wenden. Habeck sagt, der Tankrabatt gehe auf eine Idee der FDP zurück. Er selbst habe sich einen anderen Weg gewünscht. Und die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schiebt die Verantwortung gleich den Autofahrern zu. Nun müssten möglicherweise Sonntagsfahrverbote und ein befristetes Tempolimit her. Was die Frage aufwirft, warum die Regierung den Sprit überhaupt billiger machen wollte, wenn der Verbrauch zu hoch ist.
Die drei Milliarden sind vermutlich futsch. Für die Zukunft soll es nun das Kartellrecht richten. Habeck will dort eine Art Beweislastumkehr verankern: Demnach müssten die Mineralölkonzerne künftig belegen, dass es mit rechten Dingen zugeht, wenn an allen Tankstellen gleichzeitig wie von Geisterhand die Preise nach oben gehen. Andernfalls werde man ihnen implizite Absprachen unterstellen. Außerdem soll die zuständige Kontrollbehörde mehr Prüfmöglichkeiten bekommen.
Ob sich Shell und Co. davon werden beeindrucken lassen? Ich kann nur hoffen, dass die Geschichte nicht wie beim Maulwurf ausgeht. Als dieser schließlich den riesenhaften Metzgershund Hans-Heinerich als Übeltäter ausgemacht hat, rächt sich der Maulwurf, indem er Gleiches mit Gleichem vergilt. Doch Hans-Heinerich schläft einfach weiter. So ein kleines Würstchen hat er nicht mal bemerkt.
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Lesen Sie hier mehr: Habeck kündigt Kartellrecht »mit Klauen und Zähnen« an
2. Die Ampelregierung und ihre Rechenschwäche
Während es für Politikerinnen und Politiker inzwischen halbwegs üblich ist, bei Fragen zum Klimaschutz, zur Virologie oder neuerdings auch zur Beschaffenheit von Kriegsgerät den Rat von Experten einzuholen, bevor man eine Entscheidung trifft, wird in Wirtschaftsfragen gern nach der Methode Pi mal Daumen regiert. Hier hält sich scheint’s jede und jeder für ausreichend qualifiziert. Wofür hat man schließlich Karl Marx gelesen, damals, im Soziologiestudium. Auch wenn man kaum über die Einleitung von »Das Kapital« hinausgekommen ist.
Mein Kollege Nikolaus Blome, der immerhin ein paar Semester Volkswirtschaft studiert hat, schreibt heute in seiner Kolumne, es tue fast körperlich weh, wie die Ampelregierung glaubt, sich über ökonomische Gesetze hinwegsetzen zu können. Sie gibt den Ölkonzernen Milliarden für einen angeblichen Tankrabatt, siehe oben, obwohl schon die Mehrwertsteuersenkung zur Coronazeit gezeigt hat, dass nur ein kleinerer Teil bei den Verbrauchern ankommt. Sie will Kraftwerke abschalten, obwohl klar ist, dass die Preise für Energie dadurch nochmals steigen werden. Sie schwadroniert über eine »Übergewinnsteuer«, kann aber nicht sagen, was »Übergewinne« überhaupt sind. Und sie glaubt, sie könne mit Kurzzeit-Entlastungen die Inflation bekämpfen, obwohl es sich dabei um eine Aufgabe der Europäischen Zentralbank handelt.
Nikolaus nennt all das »manifesten Schwachsinn« und schreibt: »Man hätte das alles wissen können. Es steht in diesen vermaledeiten Lehrbüchern.«
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Lesen Sie hier die ganze Kolumne: Inflation des Wahnsinns
3. Geht die AfD jetzt auch im Osten den Bach hinunter?
Es war nur eine Kommunalwahl, es ging lediglich um Bürgermeister und Landräte, doch womöglich haben die Wählerinnen und Wähler in Sachsen gestern eine politische Trendwende eingeleitet: Die AfD hat in Sachsen viel schlechter abgeschnitten, als sie es selbst erwartet hatte. In Dresden kam ihr Kandidat mit 14,4 Prozent nur auf den vierten Platz. Im Landkreis Mittelsachsen, wo sich die AfD die meisten Chancen auf den bundesweit ersten Landratsposten ausgerechnet hatte, verlor sie ebenso klar wie in Pirna oder im Landkreis Leipzig.
Jörg Urban, Vorsitzender der AfD Sachsen, zeigte sich heute dementsprechend enttäuscht. »Unser Ziel, schon in der ersten Runde einen Landrat zu stellen, haben wir nicht geschafft«, sagte er laut MDR. Es werde auch in der zweiten Runde nicht einfach, »noch die Nase nach vorn zu kriegen«. Ob die Partei bei allen Landkreisen, in denen ein zweiter Wahlgang nötig ist, überhaupt antreten wird, sei unklar.
Geht die AfD also jetzt auch im Osten den Bach hinunter? Bevor sich die anderen Parteien freuen, sollten sie sich die Ergebnisse im Detail ansehen. Mancherorts bekam die AfD Konkurrenz von rechts. Die sogenannten »Freien Sachsen« nahmen der AfD Stimmen weg, die ansonsten wohl nicht bei CDU oder SPD gelandet wären.
Die Frage ist daher, wie die AfD auf die Niederlage reagiert. Mein Tipp lautet: Sie dreht noch weiter nach rechts außen ab, um der Konkurrenz den Weg abzuschneiden.
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Lesen Sie hier mehr: CDU bei Landratswahlen in Sachsen vorn
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Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Mit Kindergemälden im Schützengraben: Brennende Felder, permanente Einschläge – und die eigene Familie immer im Herzen mit im Krieg: Aktuelle Aufnahmen aus dem Osten und Süden der Ukraine bieten einen beklemmenden Einblick in den Alltag an der Front.
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Deutsche uneinig über möglichen EU-Beitritt der Ukraine: Laut einer SPIEGEL-Umfrage gibt es unter den Deutschen fast ebenso viele Gegner eines ukrainischen EU-Beitritts wie Befürworter. Die Antworten variieren je nach Wohnort.
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»Wir wissen seit Jahrzehnten Bescheid über dieses schmutzige Geld«: In Großbritannien sind russische Kleptokraten seit jeher besonders aktiv. Seit Putins Invasion hat London Sanktionen auf den Weg gebracht. Wird der Sumpf nun ausgetrocknet? Ein Korruptionsermittler hat seine Zweifel.
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Und hier alle aktuellen Entwicklungen im Newsblog.
Was heute sonst noch wichtig ist
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Irland warnt Großbritannien vor »einseitigem Bruch«: Boris Johnson riskiert einen Handelskrieg mit der EU: Per Gesetz beabsichtigt London, Teile des Brexit-Abkommens abzuschaffen. Irlands Premier Micheál Martin sagt: »Es geht um Vertrauen.«
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Esa kartiert 1,8 Milliarden Sterne: Mit der Sonde »Gaia« vermisst die Europäische Raumfahrtagentur unsere Galaxie. Zum dritten Mal veröffentlichen die Forschenden eine riesige Datenbank mit spektakulären Aufnahmen und Messreihen.
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Iran meldet Tod von zwei Luftfahrtexperten: Vier Todesfälle in vier Wochen: In Iran sind die nächsten zwei Mitglieder der Revolutionsgarden gestorben. Israel ruft seine Bürger derweil aus der Türkei zurück – aus Angst vor iranischen Racheakten.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Mit Blei in der Bodenplatte
Marcel Paul rast mit einem modifizierten Bobbycar einen Hang hinunter
Foto: Frank Rumpenhorst / dpa
Marcel Paul, 29, ist kürzlich mit 130,7 Kilometern pro Stunde auf einer abschüssigen Landstraße geblitzt worden – mit einem Bobbycar. Neuer Weltrekord! Paul hatte das unmotorisierte Kinderfahrzeug allerdings an mehreren Stellen umgebaut, wie mein Kollege Jonathan Stock recherchiert hat . Statt der Plastikräder hatte er Luftreifen aufgesetzt, aber den Schlauch weggelassen, um den Rollwiderstand zu verringern. Die Achsaufnahme war neu, die Gewichtsverteilung austariert. Paul hatte Blei in die neue Bodenplatte gegossen, um das Gefährt schwerer und damit schneller zu machen. »Am Ende war sein Bobbycar schwarz, hatte silberne Felgen und wog 40 Kilogramm«, schreibt Jonathan über den neuen Weltrekordhalter und sein Gefährt.
Bevor Sie sich jetzt auf das Bobbycar Ihrer Kinder setzen, um Paul nachzueifern, sollten Sie um die Risiken wissen. Bei einem früheren Rennen raste Paul in eine Absperrung und verletzte sich so schwer, dass er sechs Wochen lang auf Krücken laufen musste. Dabei war er mit gerade einmal 45 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen, also deutlich langsamer als bei seinem Weltrekord. Außerdem sollten Sie einigermaßen fit sein. Jonathan schreibt: »Beim schnellen Fahren geht es darum, die Ideallinie zu halten. Man muss sich ganz flach machen, die Beine ausgestreckt, den Oberkörper weit nach hinten gelehnt, um der Luft so wenig wie möglich Angriffsfläche zu bieten. Das erfordert eine vollendete Körperspannung und monatelanges Training.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie ein 29-Jähriger aus Hessen den Geschwindigkeitsrekord für Bobbycars brach
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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»Für viele ist damit der soziale Abstieg vorgezeichnet«: Long Covid trifft Menschen nicht nur gesundheitlich, sondern gefährdet auch ihre wirtschaftliche Existenz. Expertin Karin Wüst berichtet von patientenfeindlicher Bürokratie, zweifelhaften Gutachten und mauernden Arbeitgebern .
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Das kleine amerikanische Wunder: Unterhändler von Republikanern und Demokraten haben sich nach dem Schulmassaker in Texas auf eine Reform der Waffengesetze verständigt. Die Änderungen wären minimal – doch die Sorge ist groß, dass noch jemand zurückzieht .
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»Die Golfer hatten keine Ahnung, dass sie über eine Leiche trampelten«: Ein missglückter Abschlag, gefährliche Wildtiere, tödliche Blitzschläge – auf dem Golfplatz kann man auf viele Arten ums Leben kommen. Ein Gerichtsmediziner erklärt, wie man den Fairway-Tod vermeiden kann .
Was heute weniger wichtig ist
Frisch vermählt: Dieter Hallervorden und Christiane Zander
Foto: Angelika Warmuth / dpa
Palim, Palim, die Hochzeitsglocke läutet: Dieter Hallervorden, 86, hat am vergangenen Freitag seine Partnerin Christiane Zander geheiratet. Für ihn ist es bereits die dritte Ehe; er und Zander sind seit sieben Jahren ein Paar. Sie war früher Stuntfrau, ist rund 30 Jahre jünger und arbeitet an Hallervordens Schlosspark Theater im Berliner Stadtteil Steglitz. Bei der Hochzeit sang Roberto Blanco. Otto Waalkes gratulierte per Videoanruf. Der Ehemann sagte der »Bild«: »Glück ist das Einzige, das größer wird, wenn man es teilt!«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Wenn ›Zeitenwende‹ erst das Ende aller ökokomischen Vernunft und im weiteren hardcore-populistischen Aktionismus bedeutet, dann möchte ich gern in die alten Zeiten zurückgebracht werden.«
Cartoon des Tages: Robert und die Mineralölriesen
Illustrator: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Heinz Strunk hat nach »Fleisch ist mein Gemüse« und »Der goldene Handschuh« wieder einen Roman geschrieben: »Ein Sommer in Niendorf«. Es geht um einen ehrgeizigen Juristen namens Dr. Roth, der sich eine Auszeit in einem kleinbürgerlichen Ostseebad nimmt. Dr. Roth reist im Maßanzug an, einen Rimowa-Rollkoffer schiebend, skeptisch die örtliche Gastronomie beäugend, Schnitzel, Würzfleisch, Ratsherrenpfanne, Fischgerichte aus »Neptuns Reich«. Und er lernt dort einen verlotterten Alkoholiker namens Herrn Breda kennen, mit dem er sich erstaunlicherweise gut versteht. Und sei es deshalb, weil es entlastend ist, mit jemandem auf niedrigem Niveau zu verkehren.
»Die armen Willis sind manchmal die glücklichen Willis«, fasst mein Kollege Tobias Becker die Beziehung zwischen Dr. Roth und Herrn Breda zusammen, wobei »armer Willi« nicht negativ zu verstehen sei. »Strunks Komik funktioniert anders als die der meisten Kollegen, sie kommt im Gewand der Tragik daher«, sagt Tobias in seiner Rezension . »Strunk stellt seine Hauptfiguren, ›die armen Willis‹, nicht einfach bloß, er lässt Raum für Empathie mit ihnen, was auch daran liegt, dass er sich immer wieder selbst als ›armen Willi‹ zu erkennen gibt.«
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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