Vor gut drei Monaten rief Olaf Scholz (SPD) eine »Zeitenwende« der deutschen Politik aus, wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Nun ist dies Thema der Generaldebatte im Bundestag – und Scholz hat die Bühne genutzt, um der Ukraine die Lieferung eines modernen Flugabwehrsystems vom Typ Iris-T zuzusagen. Es werde helfen, ukrainische Städte sicher vor russischen Luftangriffen zu schützen. Außerdem werde den ukrainischen Streitkräften ein Ortungsradar zur Verfügung gestellt, das Artillerie aufklären könne, sagte Scholz im Bundestag.
Zuvor hatte Unionsfraktionschef und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) Scholz für dessen Kurs in der Ukrainepolitik scharf angegriffen. Scholz sage lediglich, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen dürfe und die Ukraine bestehen müsse, sagt Merz. Aber warum sage Scholz nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnen und sich Russland zumindest hinter die Kontaktlinie von vor dem 24. Februar zurückziehen müsse? »Warum sagen Sie es nicht?«, fragte Merz. »Gibt es da eine zweite Agenda?«
In der Europäischen Union gebe es »mittlerweile nur noch Verstimmung, es gibt Enttäuschung über die unklare Rolle Deutschlands und es gibt richtig Verärgerung über Sie und Ihre Regierung«. Gut einen Monat nach einer im Bundestag beschlossenen Waffenlieferung sei immer noch nichts von Deutschland aus bei der ukrainischen Armee angekommen.
Scholz habe in seiner viel beachteten Rede im Februar eine »Zeitenwende« versprochen. Nun bleibe er hinter den Ansprüchen zurück, »alles, was Sie da gesagt haben, verdampft und verdunstet im Unklaren«. Probleme schütte die Regierung »mit neuem Geld zu und geht ansonsten jeder politischen Entscheidung aus dem Weg«. Das Wort einer Zeitenwende bleibe »beziehungslos im Raum stehen«.
»Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt«
Scholz wiegelte in seiner Antwort ab und ging Merz seinerseits scharf an. »Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt«, sagte er an Merz gerichtet. »Da werden Sie nicht mit durchkommen, immer nur Fragen zu stellen und sich selbst nie zu positionieren.« Scholz listete Waffen auf, die Deutschland bereits geliefert habe und betonte, dass die Bundeswehr unter anderem schwer verwundete ukrainische Soldaten zur Behandlung nach Deutschland ausfliege.
Er verwehrte sich zudem dagegen, Aussagen zu treffen, wie die Ukraine diesen Krieg zu führen habe. »Das ist überheblich, wenn hierzulande darüber diskutiert wird, was die Ukraine richtigerweise zu entscheiden hat«, sagte Scholz. Fest stehe für ihn allein: Putin dürfe seine Ziele nicht erreichen.
Scholz verwies darüber hinaus auf Telefonate, die er mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kremlchef Wladimir Putin führe, um den Krieg zu beenden. Und gab die Kritik am Zustand der Bundeswehr an Merz zurück: Es seien Unionspolitiker gewesen, die als Verteidigungsminister die Armee kaputtgespart hätten. »Es ist eine Regierung, die von der Union geführt wurde, die diese Staatspraxis die vergangenen Jahre geführt hat.«
Scholz verteidigt Entlastungspaket
Die von der Regierung angestoßenen Entlastungsmaßnahmen verteidigte Scholz als für alle gerecht. Merz hatte zuvor unterstellt, Rentnerinnen und Rentner seien vernachlässigt worden. Scholz sagte, Tankrabatte und das 9-Euro-Ticket wurde auch sie entlasten. Außerdem stiegen die Renten zum 1. Juli so stark wie seit Jahrzehnten nicht. Auch in Zukunft werde das Rentenniveau von 48 Prozent nicht unterschritten. »Das ist eine wichtige Leistung dieser Regierung«, sagte Scholz.
Insgesamt sind für die Generalaussprache vier Stunden angesetzt, neben Scholz und Merz werden auch die Vorsitzenden der anderen Fraktionen zu Wort kommen. Anschließend geht es um die Etats für Auswärtiges und Verteidigung.
In der Debatte wird es wohl außer um die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine auch um weitere Entlastungen der Bürger angesichts deutlicher Preissteigerungen im Zuge des Krieges gehen. Über das 100-Milliarden-Programm zur Aufrüstung der Bundeswehr haben Koalition und CDU/CSU zwar eine Einigung erzielt. In der SPD und bei den Grünen gibt es aber auch vereinzelte Kritik daran.
Am Freitag wird über den Bundeshaushalt 2022 abgestimmt. In ihrem ersten vollen Regierungsjahr will die Ampelkoalition fast 140 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Der Bundeshaushalt für 2022 sieht Ausgaben von insgesamt rund 496 Milliarden Euro vor.