Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Folgen der Folter-Enthüllungen aus China. Um eine bislang unbeobachtete Bedrohung für die Welternährung. Und die zahlreichen Probleme von Netflix.
Sanktionen gegen Chinas Verbrecher!
Die Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet beendet heute ihren mehrtägigen China-Besuch, den ersten einer Menschenrechtskommissarin seit 17 Jahren. Wie grausam die chinesische Führung mit Menschen umgeht, hat in dieser Woche der SPIEGEL gemeinsam mit Recherchepartnern enthüllt. Die Xinjiang Police Files belegen, wie die Uiguren in der Provinz systematisch unterdrückt, terrorisiert und in Lagern gefoltert werden.
Auch Bachelet besuchte auf ihrer Reise die Provinz Xinjiang, in der besagte Lager stehen und in der auch der deutsche Volkswagen-Konzern munter Autos produziert. Es wird spannend, welche Worte die Menschenrechtskommissarin zu den staatlichen Verbrechen findet.
Chinas Präsident Xi
Foto: IMAGO/Li Xueren / IMAGO/Xinhua
Als Quintessenz dieser Woche der so wichtigen Enthüllung bleibt für mich: dass es dringend eine Zeitenwende auch in der deutschen und europäischen Chinapolitik geben muss. Viel zu liebedienerisch, viel zu sehr von den Interessen der heimischen Wirtschaft geleitet waren deutsche Regierungsvertreter wie Angela Merkel gegenüber der Pekinger Führung aufgetreten. Es hatte etwas Unwürdiges, wie sie Klagen über Menschenrechtsverletzungen bestenfalls vor sich hin nuschelten. Das muss ein Ende haben. Ebenso wie die in Teilen der deutschen Wirtschaft weit verbreitete Faszination für die Effizienz und Effektivität der Kapitalismusdiktatur mit kommunistischem Antlitz.
Ja, China ist eine der brutalsten Diktaturen der Welt. Sie führt (noch) keinen Krieg gegen Nachbarländer, aber umso ruchloser gegen die eigene Bevölkerung. Es ist Zeit, Sanktionen gegen jene Vertreter des chinesischen Staates zu verhängen, die für die Verbrechen an den Uiguren verantwortlich sind. Und das dürften viele sein.
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Das geschah in der Nacht: Russland soll Wohngebiete in Donezk und Luhansk angegriffen haben. Der Ex-Oligarch Chodorkowski wirft dem Westen Fehleinschätzungen vor. Und: Die ukrainisch-orthodoxe Kirche sagt sich von Moskau los. Der Überblick.
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Das moderne Verdun: Die Ukraine erleidet bei der Verteidigung des Donbass Rückschläge, während Russland langsame Fortschritte macht – und dabei seine ganze verbliebene Kraft in die Waagschale wirft. Könnte eine ukrainische Gegenoffensive folgen?
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Anbaufläche in der Ukraine um mehr als ein Fünftel geschrumpft: Wegen des russischen Angriffskrieges ist an vielen Orten in der Ukraine kein Ackerbau mehr möglich. Wie gravierend die Folgen sind, lässt sich an Zahlen ablesen, die das Landwirtschaftsministerium in Kiew jetzt vorgelegt hat.
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Die Angst vor der Kriegsmüdigkeit: Seit drei Monaten tobt der Krieg in der Ukraine, russische Truppen machen Geländegewinne im Donbass – doch in Deutschland drängen jetzt andere Themen nach vorne. Geht Putins Kalkül auf?
Die große Vernichtung
Den Klimawandel und den Artenschwund haben die Vereinten Nationen schon lange als die großen Gefahren für unseren Planeten identifiziert. Auf der Weltbodenkonferenz in der Elfenbeinküste haben sie jetzt eine dritte globale Krise ins Visier genommen, die sich von der Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt anbahnt: Weltweit werden die Böden von Fluten weggespült, vom Wind verweht, vom Menschen versiegelt, vergiftet, verdichtet, überdüngt oder versalzen. Dadurch steht die Nahrungsmittelversorgung der Menschheit auf dem Spiel.
Die meisten Menschen haben für Böden nicht viel übrig. Erde ist für viele nur Dreck, mit dem sich die Kinder die Finger schmutzig machen. Tatsächlich jedoch bildet der Erdboden ein extrem komplexes Ökosystem, in dem Myriaden von Insekten, Milben, Springschwänzen, Fadenwürmern, Pilzen und Bakterien leben. Und dieses Ökosystem ist die Voraussetzung für unsere Ernährung. Wer es zerstört, vernichtet unsere Lebensgrundlage.
Trockener Boden auf Getreidefeld in Niedersachsen
Foto: Mia Bucher / dpa
Was die Sache noch heikler macht: Böden speichern auch enorme Mengen Kohlenstoff. Mit den Böden geht auch dieser Kohlenstoff verloren – und gelangt in Gestalt des Treibhausgases Kohlendioxid in die Atmosphäre. Die Zerstörung der Böden heizt also der Erde weiter ein.
Das Programm zur Bodensanierung, das die Uno jetzt auf den Weg bringen, hat also hohe Dringlichkeit. Bis 2030, so der Plan, solle der Verlust der Böden zum Stillstand gebracht werden. Die Kosten allerdings sind astronomisch: Im Uno-Bericht zur Lage des globalen Agrarlandes werden sie auf 1,6 Billionen Dollar beziffert. Es sieht so aus, als bräuchten wir eine Greta des Bodenschutzes.
Lesen Sie hier den Report meines Kollegen Johann Grolle über den Kampf für die Böden:
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Folge von Raubbau und Klimawandel: Unserem Planeten geht fruchtbarer Boden aus – und wir sind schuld
Eine unerträgliche Stadt
Als meine Kollegin Britta Sandberg in Paris den Star-Architekten David Chipperfield zum Interview traf, kam der gerade von einem Besuch seines neuesten Projekts zurück und war euphorisch. Der Morland-Bau, direkt an der Seine gelegen, vereint alles, was dem Briten in der Architektur wichtig ist: Innerstädtischer Wohnraum für Reiche und Geringverdiener, öffentlich zugängliche Bereiche für die Bewohner des Viertels und nachhaltige Bauten, auf deren Dächer Biogemüse wächst.
Berlin, Nachtansicht
Foto: Kay Nietfeld/ dpa
»Schauen Sie sich London an«, sagte Chipperfield. Gestiegene Immobilienpreise hätten dazu geführt, dass das Zentrum zu einem einzigen Unterhaltungsviertel und High-Class-Shoppingzentrum geworden sei. »Niemand wohnt dort, niemand kann sich das noch leisten. Das ist unerträglich, und wir müssen es wieder ändern.«
Um ähnliche Entwicklungen in anderen Städten zu verhindern, plädiert Chipperfield für strenge staatliche Regelungen. Es sei interessant zu sehen, wie diese Debatte in Berlin ausgehen werde, wo sie sehr heftig geführt wird. »Für mich ist Berlin immer noch eine Art Hippiestadt. Ihre Bewohner hatten sich daran gewöhnt, dass Berlin jahrzehntelang unterbewertet wurde.« Die wahnwitzigen Preissteigerungen, die private Investoren verursachen, seien für die Berlinerinnen und Berliner deshalb nur schwer nachvollziehbar. Er wisse nicht, wie dieser Kampf ausgehen werde, so Chipperfield. »Ich weiß nur, dass es für eine Stadt schwierig ist, Investoren abzulehnen.« Da mag er Recht haben. Sollte eine Stadt aber doch dazu in der Lage sein, dann am ehesten Berlin.
Verlierer des Tages…
Netflix-Zentrale in Kalifornien
Foto: Paul Sakuma/ AP
… ist der Streamingdienst Netflix. Der Prototyp des vermeintlich neuen Fernsehens sieht gerade nämlich ziemlich alt aus. Vor ein paar Jahren war Netflix noch der Fernseh-Revolutionär: Wer den Streamingdienst abonnierte, konnte frische, ungewöhnliche Serien wie »Stranger Things« ohne Werbung sehen und ganze Staffeln an einem Wochenende bingen, sprich Komagucken. (Zu meinen Highlights auf Netflix gehören die Doku »Sunderland till I die« und die dänisch-schwedische Co-Produktion »The Bridge« mit der wundervollen »Saga Norén, Kripo Malmö«.)
Inzwischen geht es Netflix nicht mehr so gut. Die Aktie hat in sechs Monaten 70 Prozent an Wert verloren. Man verliert Abonnenten und bedient sich zur eigenen Rettung bei den Rezepten der Konkurrenz, die man lange vor sich hertrieb: Events zu den Eigenproduktionen, Werbung und Veröffentlichung von Serien-Staffeln in Teilen – damit sie länger im Gespräch bleiben. Das machen Netflix-Klone wie Disney+ schon länger.
Ob es hilft? Die vierte Staffel von »Stranger Things« ist am Freitag angelaufen. Das Finale der Staffel folgt erst in ein paar Wochen. Doch auch die Achtzigerjahre-Serie wirkt schon jetzt nicht mehr ganz frisch – findet zumindest mein Kollege Oliver Kaever.
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Einen heiteren Samstag, trotz alledem, wünscht Ihnen.
Ihr Markus Feldenkirchen