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News des Tages: Texas, Waffengewalt in den USA, Xinjiang Police Files, Wahlen in Berlin

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Tote Grundschüler – Wann bieten die USA der Waffenlobby endlich die Stirn?

  2. Müder Westen – Bröckelt die Unterstützung für die Ukraine?

  3. Feierabend fällt aus – Kann zu viel Arbeit süchtig machen?

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1. Gebrochene Herzen

Die Möglichkeit, Waffen zu besitzen, ist in den USA ein Grundrecht. Junge Leute könnten dort auf dem Weg vom Basketballplatz zum Pizzaladen noch schnell eine Schnellfeuerwaffe kaufen. Sie könnten damit dann eine Schule betreten und das Feuer auf Wehrlose eröffnen. Das völlig Verrückte ist: Sie tun es auch.

Der jüngste Tatort ist eine Grundschule in Uvalde, einem Ort im stillen Westen von Texas mit rund 25.000 Einwohnern, fast drei Viertel davon Latinos. »Die Szenen sind einem längst vertraut, wie ein Horrorfilm, den man schon viel zu oft gesehen hat«, schreibt mein Kollege, unser New-York-Korrespondent Marc Pitzke. »Trotzdem flimmern sie gerade erneut über die Bildschirme. Flüchtende Betroffene. Weinende Familien. Polizisten bei der grausigen Spurensicherung.«

Die Bluttat schockiert, doch sie überrascht kaum. »Im Land der politisch tolerierten Massaker«, schreibt Marc, seien selbst junge Schülerinnen und Schüler längst nicht mehr sicher. Vor zehn Jahren gab es bereits in Sandy Hook ein Grundschulmassaker, bei dem 20 Kinder und sechs Erwachsene starben. Der jetzige Präsident Joe Biden war damals Vizepräsident von Barack Obama. Schon damals blieb sein Kampf für eine Verschärfung des Waffenrechts erfolglos: Ein landesweites Verbot von Sturmgewehren scheiterte, auch dank des Widerstands texanischer Republikaner.

Seitdem, sagte Biden nun, habe es an Schulen mehr als 900 Schusswaffenvorfälle gegeben. »Warum?«, fragte er heute in seiner sehr emotionalen Ansprache. »Warum sind wir bereit, mit diesem Gemetzel zu leben? Wann, in Gottes Namen, werden wir der Waffenlobby die Stirn bieten?« Amerika scheint sich mit den sich ständig wiederholenden Gewaltorgien abgefunden zu haben. Es ist ein beispielloses zivilisatorisches Scheitern.

Vor Ausbruch der Coronapandemie habe ich im Rahmen eines Stipendiums zwei Monate in Denver, Colorado, gelebt und gearbeitet. Mein damals vierjähriger Sohn ging in einen örtlichen Kindergarten. Ich weiß noch, wie ich fassungslos die Unterschrift unter die Zusatzvereinbarung des Betreuungsvertrags setzte, in der – zugespitzt formuliert – festgehalten wurde, dass ich keine Schadensersatzansprüche an den Kindergarten stellen würde, sollte mein Junge während der regulären Betreuungszeit einem Amokläufer zum Opfer fallen. Was für eine verkommene Gesellschaft, in der schon kleine Kinder in Schulen und Kitas statt Brandschutzübungen das Verhalten beim Anrücken eines Schützen trainieren müssen.

»Ich bete für die Kinder, für die toten Erwachsenen und für deren Familien«, ließ Papst Franziskus heute wissen. Sein Herz sei gebrochen. Hoffentlich finden die Angehörigen der Kinder Trost in seinen Worten. Bundeskanzler Olaf Scholz twitterte unter anderem: »Unsere Gedanken sind bei den Verletzten und den Hinterbliebenen der Opfer dieses unfassbaren Massakers, für das sich kaum Worte finden lassen.«

Die besten Worte fand bislang der Basketballtrainer Steve Kerr. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag klang er wütend und verzweifelt. Kerr, eine amerikanische Basketballlegende und Trainer der Golden State Warriors, wollte nicht über Sport sprechen. »In den letzten zehn Tagen wurden ältere schwarze Menschen in einem Supermarkt in Buffalo erschossen. Asiatische Kirchgänger wurden in South Carolina getötet«, zählte er auf. »Und jetzt haben wir ermordete Kinder in einer Schule. Wann tun wir etwas? Ich bin müde. Ich bin so erschöpft davon, hier hochzukommen und den zerstörten Familien zu kondolieren. Ich bin so erschöpft von… Entschuldigung! Ich bin die Gedenkminuten leid. Genug!«

Er hat so recht.

2. Kriegsmüdigkeit

Ist Ihnen aufgefallen, dass in der gestrigen »Lage am Abend« der Krieg in der Ukraine nicht vorgekommen ist? Wie gern würde ich verkünden können, dass Russland die Angriffe eingestellt hat, Waffenstillstand herrscht oder gar derzeit Friedensverhandlungen laufen. Dem ist leider nicht so.

Außenministerin Annalena Baerbock warnte heute vor einer »Kriegsmüdigkeit« in den westlichen Staaten. »Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht«, sagte die Grünenpolitikerin in Kristiansand nach Abschluss des Ostseerats. Die Sanktionen gegen Russland und die Hilfen für die Ukraine müssten aufrechterhalten bleiben. Eine wachsende Skepsis hänge auch daran, dass der russische Angriffskrieg zu höheren Preisen bei Energie und Nahrungsmitteln führe. Dies sei aber genau die Taktik von Russlands Präsident Wladimir Putin. Daher sei es so wichtig, an der Unterstützung der Ukraine festzuhalten. (Lesen Sie hier den News-Blog zur Ukrainekrise).

Dass die schlechten Nachrichten aus Kiew, Mariupol oder Saporischschja, das in der Nacht von russischen Raketen getroffen wurde, nicht so wie sonst die Medien bestimmen, liegt auch daran, dass es anderswo genauso schlechte Nachrichten gibt, deren Neuigkeitswert aber größer ist.

Bestes Beispiel sind die Enthüllungen über die Unterdrückung der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang . Heute hat die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Michelle Bachelet, die derzeit auf mehrtägiger Reise in China unterwegs ist, mit Staatschef Xi Jinping videotelefoniert, der die Menschenrechtssituation in seinem Land verteidigte.

»Von der Realität abzuweichen und das institutionelle Modell anderer Staaten zu kopieren, passt nicht nur schlecht zu den lokalen Bedingungen, sondern bringt auch desaströse Konsequenzen«, zitierte die Nachrichtenagentur Xinhua den chinesischen Staatschef. Ob er mit desaströsen Konsequenzen die Erschießung von Grundschülern meinte, sollte China beispielsweise die amerikanische Demokratie und die amerikanischen Grundrechte importieren?

Mehr Hintergründe und Nachrichten zum Krieg gegen die Ukraine finden Sie hier:

3. Süchtig nach Arbeit

Schwer zu sagen, ob folgende Nachricht nun gut oder schlecht ist. Unternehmen könnten sich darüber freuen. Deren Belegschaft wohl eher nicht. Jeder zehnte Beschäftigte in Deutschland ist arbeitssüchtig. Das besagt eine Studie, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde.

Forschende der Technischen Universität Braunschweig sowie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) haben repräsentative Daten von 8010 Erwerbstätigen aus den Jahren 2017 und 2018 ausgewertet. Sie kommen zu dem Schluss, dass vor allem Führungskräfte zu überdurchschnittlich exzessivem Arbeiten neigen. Woran man erkennt, dass man ein Workaholic ist? Arbeitssucht, so berichtet meine Kollegin Franka Quecke, machen die Wissenschaftler vor allem an zwei Voraussetzungen fest:

  • Erwerbstätige arbeiten exzessiv, das heißt: Sie arbeiten lange, schnell und erledigen verschiedene Aufgaben parallel.

  • Sie verhalten sich »getrieben«: Sie arbeiten hart, auch wenn es keinen Spaß macht, nehmen sich nur mit schlechtem Gewissen frei, können am Feierabend nicht abschalten und entspannen. Sind arbeitssüchtige Beschäftigte gerade nicht tätig, erfahren sie gewisse »Entzugserscheinungen«.

Morgen ist übrigens Feiertag in Deutschland. Wer es an dem Tag nicht lassen kann, ständig seine Dienstmails zu checken, sollte sich womöglich den Freitag spontan freinehmen und auch am Wochenende nicht schon das Teams-Meeting für Montag vorbereiten. Arbeitssucht kann zum Burn-out führen, Schmerzen verursachen oder gar im Herzinfarkt enden. In der neuen Berufswelt schuften sich viele kaputt. Moderne Technik soll den Joballtag erleichtern, bewirkt aber oft das Gegenteil.

(Sie möchten die »Lage am Abend« per Mail bequem in Ihren Posteingang bekommen? Hier bestellen Sie das tägliche Briefing als Newsletter.)

Was heute sonst noch wichtig ist


Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

Was heute weniger wichtig ist

Bleibt alles anders: Herbert Grönemeyer, 66, hat Corona – und muss seine Jubiläumstournee »20 Jahre Mensch« leider absagen. Geplant waren acht Auftritte. Der Auftakt sollte am Donnerstag in Hannover stattfinden. »Unglücklicherweise hat das Virus leider auch Mitarbeiter, Bandmitglieder und Herbert infiziert«, hieß es. Die Auftritte in Hannover, Gelsenkirchen, Berlin, Leipzig, Hamburg und München werden den Angaben nach ersatzlos gestrichen. Gekaufte Tickets können an den Vorverkaufsstellen zurückgegeben werden. »Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen sind wir nicht von dem Virus verschont geblieben«, hieß es in dem Statement des Künstlermanagements. Alle seien tief enttäuscht, Grönemeyer und seiner Crew gehe es »der Situation gemäß schräg, eine Mischung aus Trauer, Wut und Virus.«

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Orbán wird seit Jahren vorgeworfen, Ungarn autokratisch zu regieren und sich mit unlauteren Mitteln an der Wahl zu halten.«

Cartoon des Tages: Krise als Chance

Illustration: Thomas Plaßmann


Und heute Abend?

Ricky Gervais hat die Serie »The Office« erfunden. Er ist Meister darin, das Absurde im Alltag zu entdecken, und hat den Witz ohne Pointe perfektioniert. Leider ist sein neues Netflix-Special »SuperNature« nicht besonders gelungen, findet mein Kollege Arno Frank. »Lachen unter der Höhe der Zeit«, lautet der Titel von Arnos Text.

Ich empfehle Ihnen also ein Nudelgericht mit viel Käse und ordentlich Pfeffer, um heute Abend wieder zu Kräften oder auf gute Gedanken zu kommen. In seiner Kolumne »Kochen ohne Kohle« kredenzt mein Kollege Sebastian Maas heute Pasta Cacio e pepe für nur 1,80 Euro pro Portion.

Morgen gibt es wegen des Feiertags, an dem es hoffentlich mehr zu feiern gibt als heute, keine Lage am Abend. Ich freue mich auf ein Wiedersehen am Freitag.

Einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Anna Clauß

Hier können Sie die »Lage am Abend« per Mail bestellen.

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