iang Police Files: Politiker fordern mehr Harte gegenuber China //
Es sind Bilder aus dem Innersten eines unmenschlichen Unterdruckungssystems: Ein Mann mit einer schwarzen Kapuze uber dem Kopf kauert vor Polizisten mit Schlagstocken, seine Hande und Fusse sind gefesselt. Auf einem anderen Foto ist der Rucken eines Insassen zu sehen, die Haut von lilafarbenen Striemen uberzogen.
Ein Leak von chinesischen Regierungsdaten gibt erstmals konkrete Einblicke, wie China die muslimische Minderheit der Uiguren systematisch unterdruckt und misshandelt. Der SPIEGEL wertete die Bilder und Dateien gemeinsam mit internationalen Medienpartnern aus. Sie zeigen die Folgen von Uberwachung und Folter. Sie erzahlen, wie Menschen wegen Bagatellen jahrzehntelang weggesperrt werden. Sie dokumentieren, wie die chinesische Regierung in der Region Xinjiang systematisch Menschenrechte verletzt.
Die deutsche Politik wird dadurch einmal mehr mit einem Dilemma konfrontiert, das sie selbst geschaffen ist. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu China sind eng, gleichzeitig belegen die Xinjiang Police Files nun, wie der chinesische Staat eine ganze Volksgruppe drangsaliert. Braucht es also nicht nur im Verhaltnis zu Russland eine Zeitenwende, sondern auch in der Beziehung zu China? Und wie soll das Verhaltnis zu einem Staat aussehen, der Hunderttausende Menschen mithilfe eines umfassenden Uberwachungsapparats unterdruckt und sie in Internierungslagern qualt?
Abhangigkeiten reduzieren?
Aus der Opposition wird die Forderung nach mehr Distanz zu China laut. >>Die Xinjiang Police Files dokumentieren eine neue Dimension der Brutalitat gegenuber den Uiguren. Sie zeigen eindeutig, mit was fur einem menschenverachtenden Regime wir es in China zu tun haben<<, sagte der CDU-Aussenpolitiker Norbert Rottgen dem SPIEGEL. >>Die deutsche Bundesregierung sollte die Xinjiang Police Files als Warnung begreifen und damit beginnen, die eigenen Abhangigkeiten von China zu reduzieren.<<
Doch es ist schwierig, mehr Distanz zu China zu schaffen, und das liegt nicht zuletzt an der Aussenpolitik, die in den vergangenen Jahren unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel betrieben wurde. Chinapolitik bedeutete in Deutschland lange vor allem Handelspolitik, kaum ein anderes westliches Land hat wohl so stark vom chinesischen Aufstieg profitiert. 2018 hiess es dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD noch: >>Chinas okonomische Entwicklung ist besonders fur die deutsche Wirtschaft eine grosse Chance.<< Ein grundlegendes Umdenken in der Chinapolitik brachte mutmasslich Einschnitte fur zahlreiche deutsche Firmen mit sich – und das in einer Zeit, in der Deutschland ohnehin bereits mit dem Versuch beschaftigt ist, sich trotz aller Hurden unabhangig von russischem Gas und Ol zu machen.
>>Es ist seit Langem klar, dass China zwar ein grosser Handelspartner ist, es aber sehr relevante Probleme gibt, auch bei der Einhaltung von Menschenrechten. Das wurde jahrelang ausgeblendet<<, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck dem SPIEGEL. >>Diese Regierung hat den Umgang mit den China-Fragen aber verandert. Wir diversifizieren uns starker und verringern unsere Abhangigkeiten auch von China. Die Wahrung der Menschenrechte hat ein hoheres Gewicht.<>international eine klare Antwort und weitere Aufklarung geben<<, forderte der Grunenpolitiker.
Schon jetzt untersuche man zudem Antrage deutscher Unternehmen auf Burgschaften des Bundes fur Investitionen in China genau, >>um Menschenrechtsverletzungen und Zwangsarbeit auch in der Lieferkette auszuschliessen<>Wir prufen zudem chinesische Ubernahmeofferten in Deutschland sehr genau und mit dem notigen kritischen Blick. So haben wir den Erwerb eines Unternehmens im Gesundheitssektor jungst untersagt.<< Es gebe Stellschrauben, die man auch nutze.
Eine langfristige Linie ersetzen diese Hebel allerdings nicht. Im Auswartigen Amt wird schon seit Langerem an einer >>China-Strategie<>wie wir als Bundesrepublik mit der zunehmenden Autokratisierung Chinas zukunftig umgehen<>grausam, entsetzlich und vor allem nicht hinnehmbar. Wirtschaftliche Faktoren durfen dabei kein Gradmesser fur die Bewertung dieses Verbrechens sein<<, so Merten.
Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschaftsfuhrer der FDP-Fraktion, beschaftigt sich schon seit Jahren intensiver mit China, verbrachte 2014 gar ein Vierteljahr im Riesenreich und lernte, wie er selbst sagt, dabei auch ein wenig chinesisch. >>Wer schon langer genau hinschaut, kann leider nicht uberrascht sein<>Die Enthullungen dokumentieren erschutternd plastisch die Radikalisierung des chinesischen Regimes unter Xi Jinping.<<
Der FDP-Vizeparteichef benennt das, was ihn seit Jahren umtreibt: >>Die schreckliche Entwicklung schreit geradezu nach einer gemeinsamen Strategie des Westens im neuen Systemwettbewerb, die langst uberfallig ist.<>seine Strategiearmut mit Blick auf China schleunigst uberwinden<<, daran musse die deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik dringend arbeiten.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil sagte dem SPIEGEL, die Recherchen zeigten >>das Bild eines Uberwachungsstaates, der vor allem die muslimische Bevolkerung der Uiguren systematisch unterdruckt<>verhartet sich der Verdacht, dass hier organisiert und in vollem Bewusstsein massive Verbrechen gegen die Menschlichkeit<< begangen wurden.
>>China versucht sich vermehrt jeglicher Beobachtung und Kritik eigener Menschenrechtsverletzungen zu entziehen<>Als internationale Staatengemeinschaft durfen wir hier nicht wegschauen und mussen die Universalitat der Menschenrechte verteidigen.<>wirtschaftliche Abhangigkeiten gegenuber China uberdenken und uns insgesamt in Europa souveraner aufstellen<<.
Aussenministerin Annalena Baerbock sprach am Dienstag mit ihrem chinesischen Amtskollegen uber das Thema. In einem schon langer anberaumten Videotelefonat habe die Grunen-Politikerin auch die >>schockierenden Berichte und neuen Dokumentationen uber schwerste Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang<>transparente Aufklarung der Vorwurfe<<.
In einer Pressekonferenz wahlte Baerbock klare Worte. >>Jeder der diese Bilder sieht, dem lauft es eiskalt den Rucken herunter. Diese Bilder sind verstorend und erschreckend<>Und sie untermauern das, was ja seit Langerem bereits im Raum stand, namlich dass in Xinjiang schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden.<<
Aussenministerin Annalena Baerbock
Foto by JANIS LAIZANS/REUTERS
Auch an anderen Stellen hofft man, dass China nun Transparenz schafft. Die Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet ist diese Woche zu einer Reise durch die Volksrepublik aufgebrochen. Bachelet will auch die Region Xinjiang besuchen, um sich ein Bild von der Situation der Uiguren zu machen. Dieser Besuch sei eine Chance, dass die Menschenrechtslage in China >>die notige Aufmerksamkeit bekommt<>Es sollte in Chinas Interesse sein, dass die UN-Menschenrechtskommissarin ungehinderten Zugang erhalt, um alle notigen Informationen einzuholen.<<
Gesetz gegen Produkte aus Zwangsarbeit
Ahnlich klingt der Linkenpolitiker Wulf Gallert, Vizeprasident im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Belege fur schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren seien >>immer stichhaltiger<>nur durch maximale Transparenz der chinesischen Regierung selbst<< widerlegt werden.
Doch wie viel Transparenz ist von China wirklich zu erwarten? Die chinesische Regierung behauptet bis heute, bei den Internierungslagern handle es sich um berufliche Fortbildungseinrichtungen, deren Ziele die Armutsbekampfung und der Kampf gegen extremistisches Gedankengut seien; der Aufenthalt in den Lagern sei freiwillig. Es gilt daher als unwahrscheinlich, dass China der Uno-Kommissarin Bachelet ermoglichen wird, sich ein unabhangiges Bild der Lage zu machen.
In der EU bereitet man sich deshalb schon darauf vor, im Zweifel Druck aufzubauen. Die Xinjiang Police Files wurden eindeutig belegen, was in der chinesischen Region vorgeht – >>das muss Konsequenzen haben<>Das wird durch die neuen Enthullungen sicher noch einmal eine neue Dynamik bekommen<<, so Lange.
Wirken Sanktionen?
Er erwartet, dass auch der Druck auf europaische Firmen zunehmen wird, ihre Lieferketten offenzulegen und nachzuweisen, dass sie frei von Zwangsarbeit sind. Zudem habe Peking erst im April die Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unterzeichnet, die den Einsatz von Zwangsarbeit untersagen. >>Es ist absurd, dass China in der Realitat offensichtlich das genaue Gegenteil tut<>Dafur werden wir Peking diplomatisch hart angehen.<<
Die EU hat wegen der Unterdruckung der Uiguren in der Region Xinjiang bereits im Marz 2021 Sanktionen gegen das Buro fur offentliche Sicherheit von Xinjiang sowie Vertreter des Parteikomitees des Uigurischen autonomen Gebiets Xinjiang verhangt. Diese Sanktionen hatten allerdings nichts erreicht, sagte der aussenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi. >>Selbstverstandlich mussen die chinesischen Menschenrechtsverletzungen gegenuber den Uiguren so schnell wie moglich eingestellt werden<>uber verdoppelt starke Diplomatie, uber Angebote statt uber Sanktionen<< versuchen, etwas fur die Uiguren zu erreichen.
Reinhard Butikofer, Chef der China-Delegation des Europaparlaments, argumentiert fur das Gegenteil: Die Xinjiang Police Files >>belegen eindeutig, wie sehr auch ranghohe Funktionare der Kommunistischen Partei in dieses ausserordentlich brutale Unterdruckungsregime involviert sind<>Angesichts des Gewichts der Veroffentlichungen kann die EU nicht bei ihren bisherigen, vorsichtigen Sanktionen stehen bleiben.<<