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News des Tages: Gerhard Schröder, Steuern für Reiche, Nordirland

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Rückzug bei Rosneft – Hat Gerhard Schröder genug von der Lobbyarbeit für Russland?

  2. Steuern für Reiche – Warum kassiert der Fiskus von Milliardären oft nur wenig?

  3. Zwist um Zollgrenzen in Nordirland – Wieso unterstützen die USA im Brexit-Streit die EU?

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1. Gerhard Schröder hört bei Rosneft auf – nun sollte er auch seine Jobs bei anderen russischen Unternehmen aufgeben

Als junger Mann rüttelte Gerhard Schröder, so die Legende, nach einer Kneipentour am Zaun des damals noch in Bonn beheimateten Kanzleramts und rief: »Ich will da rein!« Als er das Amt dann errungen hatte, hat der Politiker mal behauptet: »Die SPD ist und bleibt die Partei der praktischen Vernunft.« Nun hat die SPD-Spitze den Ex-Bundeskanzler vor einiger Zeit zum Parteiaustritt aufgefordert, zudem gibt es Anträge auf einen Parteiausschluss: weil er sich auch nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht von seinen Jobs bei russischen Staatskonzernen distanzierte. Heute hat eines der Unternehmen, der Öl-Konzern Rosneft, mitgeteilt, dass der Altkanzler sein Amt als Chef des Aufsichtsrats dort nicht verlängern will. Er will da raus.

Wann genau er aufhört, ist wohl noch unklar – handelt es sich trotzdem um ein Zeichen von praktischer Vernunft?

Schröder gilt bis heute als, nun ja, Freund von Kremlchef Wladimir Putin. Unter dem Eindruck des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in der Ukraine wurde zuletzt der Druck auf den Altkanzler immer größer. Das Europaparlament hatte gestern darauf gedrungen, Schröder auf die Sanktionsliste gegen russische Oligarchen zu nehmen, wenn er trotz des Ukrainekriegs an seinen Posten in russischen Unternehmen festhalte. Ebenfalls gestern hatte ihm der Haushaltsausschuss des Bundestags die bisherige Ausstattung mit Mitarbeitern und Büros gestrichen.

Schröder äußerte sich selbst zunächst nicht zur Sache, gab aber eine juristische Prüfung der Kürzungen in Auftrag. Dazu kam heute die Nachricht, dass er zumindest bei Rosneft aufhören will.

»Der Schritt ist vollkommen richtig. Er hätte in Wahrheit natürlich schon viel früher kommen sollen«, sagt mein Kollege Veit Medick aus unserem Hauptstadtbüro. »Interessant wird jetzt, was Schröder mit den anderen Posten macht, die er noch hat, bei Nord Stream 1 und Nord Stream 2.« Mal angenommen, er würde alles niederlegen, könnte das womöglich auch Auswirkungen auf sein Ausschlussverfahren in der SPD haben. Jedenfalls, so Veit, »wäre dann noch fraglicher, mit welcher Begründung die Partei ihn eigentlich rauswerfen will«.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Video dokumentiert Hinrichtung von Zivilisten in Butscha: Die Gräuel von Butscha entsetzten die Welt, russische Soldaten haben dort wohl Hunderte Menschen ermordet. Der Kreml bestreitet die Verbrechen, doch die »New York Times« hat anhand von Videos acht Fälle genau aufgearbeitet.

  • Der unsichere Griff nach Russlands Geld: Die Ukraine wiederaufbauen mit russischem Vermögen: Die Idee gefällt Finanzminister Christian Lindner, ein Vorbild gibt es auch. Dennoch wäre die Umsetzung rechtlich riskant .

  • Russland will Gaslieferungen an Finnland ab Samstag einstellen: Die russischen Gaslieferungen ins benachbarte Finnland sollen laut dem finnischen Gasunternehmen Gasum am Wochenende gestoppt werden. Das habe Gazprom angekündigt. Ersatz soll es aus den baltischen Staaten geben.

  • Kiew ordnet Ende der Verteidigung von Mariupol an: Russland hatte bereits im April behauptet, die Hafenstadt Mariupol unter Kontrolle zu haben – tatsächlich leistete aber das Asow-Regiment von einem Stahlwerk aus weiter Widerstand. Nun gibt der Kommandeur die Aufgabe bekannt.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Viele reiche Menschen zahlen nur wenig Steuern, auch in Deutschland. Die Politik sollte das dringend ändern – auf EU-Ebene

Über den Neid hat der humorbegabte deutsche Dichter Wilhelm Busch vor über hundert Jahren gesagt: »Gewinn anderer wird fast wie Verlust empfunden.« Obwohl Neid kein vornehmes Gefühl ist, empfinden die Menschen da, wenn es um Geld geht, grundsätzlich gar nicht verkehrt. Warum? Das kann man in der aktuellen SPIEGEL-Titelgeschichte lesen. Milliardäre wie der US-Amerikaner Jeff Bezos, aber auch viele deutsche Superreiche zahlen nur wenig Steuern. Zugleich wächst ihr Anteil am Vermögen der Welt. Allein das reichste Prozent der deutschen Bevölkerung vereinnahmt 35 Prozent des gesamten Wohlstands des Landes .

Die deutsche Mittelschicht »mag unter hohen Immobilienpreisen und steigenden Benzinkosten ächzen. Die Superreichen ächzen unter einem Mangel an Liegeplätzen«, berichten meine Kollegen Tim Bartz, Christoph Giesen, Marc Pitzke, Michael Sauga und Thomas Schulz. »Von Monaco bis Cannes platzen die Jachthäfen trotz immer neuer Erweiterungen aus allen Nähten.« Als Journalisten im vergangenen Jahr die geheimen Steuerdaten von Superreichen in die Hände fielen, ließ sich daraus rekonstruieren, wie viel diverse Milliardäre dank zahlreicher Tricks tatsächlich an den Fiskus abgaben. Jeff Bezos beispielsweise zahlte zwischen 2014 und 2018 lediglich 0,9 Prozent Steuern.

Ausgerechnet Bezos attackierte diese Woche öffentlich Pläne von US-Präsident Joe Biden, die Steuern für multi­nationale Konzerne und Reiche zu erhöhen, um damit neue Programme für Schulbildung und gegen den Klimawandel zu finanzieren. Dabei sind diese Pläne schon gescheitert. Ganz so extrem ist es in Deutschland nicht. Aber auch hier gibt es Möglichkeiten, sich dem Fiskus zu entziehen. Viele Vermögende haben deutlich niedrigere Steuersätze als Normalverdiener. Ökonomen und Politiker reden schon von einer »Neofeuda-lisierung«: Weil in westlichen Industrieländern und asiatischen Boomregionen die Klassengesellschaft zurückgekehrt ist. Den neuen Adel bildet die kleine Schicht der Milliardäre.

Wie schützen Reiche in Deutschland ihr Vermögen vor dem Fiskus? Zum Beispiel durch die Gründung einer GmbH. »Was so aufregend klingt wie ein Bausparvertrag und unter Experten als Schachtelprivileg firmiert, ist höchst effektiv«, schreiben die Kollegen. »Wer Immobilien oder Aktienbesitz in eine extra für diesen Zweck gegründete GmbH einbringt, kann seine Steuerlast auf Bonsai-Format schrumpfen, weit unterhalb des persönlichen Steuersatzes.«

Die Titelautoren haben unter anderem mit Stefan Bach gesprochen, einem Steuerexperten des Instituts für Wirtschaftsforschung, der die Grünen und die SPD beriet. Deren Plänen für eine Vermögensteuer kann er wenig abgewinnen, unter anderem, weil sie Investitionen im Mittelstand bremsen könnten. Größere Effekte erwartet Bach, wenn es gelingen würde, Kapital- und Reichensteuern stärker international zu koordinieren, zumal auf EU-Ebene. Der Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze und die lukrativsten Ausnahmeregeln, wie ihn etwa Österreich und Luxemburg führen, müsse ein Ende haben. »Deutlich höhere Reichensteuern lassen sich nur durchsetzen«, so Bach, »wenn sie europaweit und noch besser in der G20 abgestimmt werden.«

3. Die britische Regierung rüttelt im Brexit-Streit am Nordirland-Deal – doch die US-amerikanische Politik stellt sich offenbar auf die Seite der EU

Der Brexit werde die Briten stolz, reich und glücklich machen, hat Großbritanniens Premierminister Boris Johnson seinen Wählerinnen und Wählern versprochen. Doch offenbar ist er unzufrieden mit dem Abkommen, dass die von ihm geführte Regierung mit der EU ausgehandelt hat. Die Briten drohen seit Längerem, das sogenannte Nordirland-Protokoll auszuhebeln. Es soll dazu dienen, Kontrollen an der Grenze von Nordirland, das zu Großbritannien gehört, und Irland, das EU-Mitglied ist, zu vermeiden. Ziel ist es, Konflikte zwischen Befürwortern und Gegnern der irischen Einheit vorzubeugen. Zugleich ist eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs entstanden. Weil die britische Regierung dadurch neuerdings eine Entfremdung Nordirlands von London fürchtet, will sie per Gesetz die Brexit-Regeln für Nordirland aushebeln.

Heute hat sich die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in den Streit eingemischt. Sollte sich die britische Regierung nicht an die mit Brüssel vereinbarten Protokolle halten, würde das auch die Freihandelsbeziehungen zwischen den USA und Großbritannien gefährden, so Pelosi in einer Mitteilung. Wenn London sich entscheide, das Nordirland-Abkommen zu unterlaufen, werde der US-Kongress kein bilaterales Freihandelsabkommen mit Großbritannien unterstützen. Damit bekennt sich eine wichtige US-Politikerin klar zur Haltung der EU, dass Verträge einzuhalten sind. Pelosi fürchtet offensichtlich einen Handelskrieg.

»Boris Johnson hatte kürzlich eigens einen Hintersassen nach Washington geschickt, um für Londons Position zu werben«, sagt Jörg Schindler, der SPIEGEL-Korrespondent in London. »Das scheint nicht so viel genutzt zu haben.« Biden und den US-Demokraten sei der Frieden in Nordirland offenbar wichtiger als die »Special Relationship« zu dem Mann, den Jörg »den Hasardeur in Downing Street« nennt.

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Was heute sonst noch wichtig ist

  • Bundesrat stimmt für Neun-Euro-Ticket: Der Bundesrat hat dem Entlastungspaket der Ampelkoalition zugestimmt. Damit ist der Weg frei für günstiges Fahren mit Bus und Bahn. Woran es Kritik gab und gibt und wo man das Ticket nun kaufen kann.

  • Oklahoma verabschiedet schärfstes Abtreibungsgesetz der USA: Ein republikanischer US-Bundesstaat nach dem anderen verschärft seine Abtreibungsgesetze. Mit dem »Heartbeat Act« hatte Texas ein besonders restriktives vorgelegt – nun stimmte Oklahoma für ein noch schärferes Gesetz.

  • Erster Fall von Affenpocken in Deutschland: Die Infektionen mit Affenpocken bei Menschen häufen sich, bisher gab es nur in anderen Ländern bestätigte Fälle. Nun ist auch in Deutschland eine Infektion registriert worden.

  • Borussia Dortmund trennt sich überraschend von Trainer Rose: Als Vizemeister schloss Borussia Dortmund die Bundesligasaison ab, dennoch muss Trainer Marco Rose nun gehen. Das teilte der Klub auf seiner Website mit. Medienberichten zufolge soll Edin Terzić übernehmen.

Mein Lieblingstermin im Plan für die nächste Woche:

Ich bewundere den Mut der Kolleginnen und Kollegen, die oft unter großer Gefahr von den Schauplätzen des Ukrainekriegs berichten.

Am kommenden Dienstag, dem 24. Mai, beantworten die beiden Reporter Alexander Sarovic und Thore Schröder Fragen zu ihrer Arbeit in der Ukraine, von 18 Uhr an, im Rahmen unserer digitalen Veranstaltungsreihe »SPIEGEL Backstage«. Das Thema lautet: Recherchieren im Krieg.

Thore Schröder dokumentierte unter anderem die Kriegsverbrechen russischer Soldaten in der Kleinstadt Butscha bei Kiew und sprach später mit Menschen, die wochenlang im Asow-Stahlwerk in Mariupol eingeschlossen waren. Alexander Sarovic fuhr mit einem Armeehauptmann an die Front am Donbass und berichtete über den Kampf um Charkiw, die zweitgrößte Stadt des Landes.

Was haben die beiden Journalisten dabei erlebt? Wie können sie unter Kriegsbedingungen recherchieren? Welche Risiken gehen sie dabei ein – und welche nicht?

All das können Sie bei SPIEGEL Backstage die beiden Reporter fragen. Die Veranstaltung ist exklusiv für Abonnent:innen. Zur Anmeldung geht es hier .

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Die irre Saison von Werder Bremen: Ein Jahr lang kämpfte Bremen um die Rückkehr in Liga eins – und seine Existenz im Profifußball. Der SPIEGEL hat den Klub dabei beobachtet, wie er von mehr als bloß dem Impfpass-Skandal erschüttert wurde .

  • Das sind Deutschlands schönste Regionalbahnrouten: Flusstäler, Viadukte, Küstenstreifen und selbst richtig weite Bahnstrecken: Deutschland lässt sich im Sommer zum Schnäppchenpreis bereisen. Drei Experten verraten ihre Tipps .

  • »Man kann sein Leben verlieren, ohne zu sterben«: Virusinfekte können das chronische Fatigue-Syndrom auslösen, die Folgen sind oft dramatisch. Die 19-jährige Milena Hermisson hat es besonders schwer getroffen. Das ist ihre Geschichte .

  • Sechs Melodien von Vangelis, die in Erinnerung bleiben werden: Seine elektronisch geprägten Sounds begleiteten Historienfilme, Boxkämpfe und Raumfahrtmissionen. Nun ist der griechische Musiker Vangelis gestorben. Zum Gedenken hier einige seiner prägendsten Kompositionen.

  • Joe Biden auf Mutmachermission: Die Ukrainekrise hat Ostasien alarmiert. Japan und Südkorea wollen ihre Allianz mit den USA beleben, der Besuch von Präsident Biden soll das Verhältnis wieder stärken. Doch einer stört die Harmonie: Kim Jong Un .


Was heute weniger wichtig ist

Zu Tränen gerührter Hollywoodstar: Anne Hathaway, 39, Schauspielerin aus den USA, hat bei den Filmfestspielen in Cannes Gefühle gezeigt. Sie meldete sich anlässlich der Vorführung des Films »Armageddon Time« zu Wort, in dem sie die jüdische Mutter eines kleinen Jungen spielt, der im New York der Achtzigerjahre aufwächst. Die Arbeit hat Hathaway offenbar an ihre kürzlich verstorbene Stiefmutter erinnert, die ebenfalls jüdisch war. »Ihr Vermächtnis beeinflusst mein Leben«, sagte Hathaway mit Tränen in den Augen und stockender Stimme. Die wahre Tiefe ihrer Liebe sei allenfalls mit den Mitteln des Kinos auszudrücken, so die Darstellerin. »Weil es dir ermöglicht, Dinge ohne Worte zu sagen.«

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Nicht einmal einen Monat sitzt Boris Beckers im Gefängnis.«

Cartoon des Tages: Nato



Illustration: Chappatte


Und am Wochenende?

Könnten Sie ein gutes Buch lesen. Zum Beispiel das, das meine Kollegin Eva-Maria Schnurr gemeinsam mit dem Kollegen Frank Patalong herausgegeben hat. Es heißt »Deutschland, deine Kolonien« und beschäftigt sich mit einem verdrängten historischen Erbe unseres Landes.

Die Deutschen spielten sich nicht nur in Afrika als Kolonialmacht auf, sondern auch in China und Ozeanien. Das Buch beschreibt Deutschlands einstige Rolle, deren oft üble Folgen noch heute zu spüren sind. Berichte von Zeitzeugen verdeutlichen, was Einheimische nach der Besetzung ihrer Länder erlebten, wie sie von Missionaren behandelt wurden und wie sie sich gegen die Besatzer wehrten. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit findet in unserer Gesellschaft bislang nur sehr zögerlich statt – dieses Buch, das von der Geschichte und Gegenwart einer verdrängten Zeit erzählt, will sie antreiben.

Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel

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