Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um Milliarden gegen Hunger und Zerstörung, um kostbare Minuten in der Luft und um die Frage, ob sich ein Burn-out noch steigern lässt.
Heute geht es um Milliarden gegen Hunger und Zerstörung, um kostbare Minuten in der Luft und um die Frage, ob sich ein Burn-out noch steigern lässt
24 Stimmen für Moskau
Heute geht es in Berlin um Geld. »Christian Lindner bezahlt«, hatte Vizekanzler Robert Habeck vorgestern verkündet, als er vor der Belegschaft der Raffinerie in Schwedt stand und es um die Frage ging, wie das Werk auch im Fall eines Ölembargos gerettet werden könnte.
Getreide-Ernte in der Ukraine (Bild aus dem Jahr 2019)
Foto: ANATOLII STEPANOV / FAO / AFP
Aber ganz allein kann ein Bundesfinanzminister nicht bestimmen, wie die »weiteren Maßnahmen zur Abmilderung der Folgen des Ukraine-Krieges« finanziert werden sollen. Deshalb berät heute der Bundesrat in einer Sondersitzung über den entsprechenden Ukraine-Ergänzungshaushalt. Darin sind Milliardensummen für Wirtschaftshilfen und humanitäre Hilfe vorgesehen. Sie sollen nicht nur an die Ukraine fließen, sondern auch in Entwicklungs- und Schwellenländer, die infolge des Krieges in eine Ernährungskrise stürzen.
Wie der Krieg den Getreideexport der Ukraine stoppt, hat meine Kollegin Maria Marquart für Sie aufgeschrieben .
Auch der Uno-Menschenrechtsrat in New York tagt heute zur Lage in dem kriegsgebeutelten Land, in dem russische Truppen Massaker an der Zivilbevölkerung verübt haben. Bis vor gut einem Monat saß übrigens noch eine russische Delegation in diesem Gremium. Erst am 7. April, also nach Bekanntwerden der Morde von Butscha, wurde Moskaus Mitgliedschaft suspendiert – bei 93 Stimmen dafür, 24 dagegen und 58 Enthaltungen. Sieht aus, als hätten eine Menge Uno-Mitgliedstaaten eine neutrale bis positive Haltung zu einem Land, das sein Nachbarland gerne von der Landkarte tilgen möchte.
Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
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Das geschah in der Nacht: Aus der Südostukraine wird Beschuss auf Wohnhäuser gemeldet. Joe Bidens Milliardenpaket für Kriegshilfen nimmt wichtige Hürde. Und: Minister muss bei Kiew-Besuch in Bunker flüchten. Der Überblick
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Ich flieg mit meinem Flugzeug
Sind die gemeinsamen Urlaubsflüge von Ministerin und Ministerinnensohn Lambrecht in Regierungsmaschinen nun ein Skandal? Oder ist Christine Lambrecht Zielscheibe einer bösen Medienkampagne, wie sich die Verteidigungsministerin gestern in der SPD-Bundestagsfraktion verteidigte? Wie so oft trifft Rechtslage auf Bauchgefühl. Juristisch gesehen dürfen Regierungsmitglieder ihre Verwandten auf Dienstflüge mitnehmen, sofern sie dies anmelden und einen Economy-Tarif dafür zahlen (wobei Lambrecht das Geld laut »Bild«-Bericht offenbar noch nicht überwiesen hat).
Christine Lambrecht
Foto: FOCKE STRANGMANN / EPA
Aber ist es eine gute Idee, ausgerechnet im Krieg mit dem Sohnemann zu verreisen? Und vor dem Sylt-Urlaub noch alibimäßig einen möglichst nahegelegenen Bundeswehrstandort zu besuchen, wo sich offenbar nur ein Antennenfeld befindet, das elektronische Signale abfängt?
Wäre Christine Lambrecht ein Aktivposten der Bundesregierung, eine Verteidigungsministerin, die mit Feuereifer die Zeitenwende vorantreibt, ihre Truppen motiviert, die Waffenlieferungen perfekt organisiert und die Deutschen mit besonnenen Interview-Aussagen beruhigt wie eine kühlende Hand auf fiebriger Stirn, ja, dann wäre der lambrechtsche Familienausflug vielleicht nur eine Meldung im Vermischten.
Aber die SPD-Frau ist eben keine Annalena Baerbock, die gerade als erste deutsche Ministerin auf Besuch in Kiew glänzte, sofern man in einem Kriegsgebiet überhaupt glänzen kann. Weil aber die Verteidigungsministerin seltsam passiv und desinteressiert an ihrem Posten wirkt, weil bekannt ist, dass sie lieber Innenministerin geworden wäre, und weil die Farbe ihrer Schuhe und des Nagellacks besser abgestimmt wirken als die Verlautbarungen ihres Hauses mit dem Rest der Bundesregierung – dann kann eben aus einer Mücke ein Gepard-Panzer werden.
Mich faszinieren an der Geschichte noch zwei Dinge: Wer fährt mit Anfang 20 noch so oft mit seiner Mutter in Urlaub? Sieben Auslandsreisen sollen die Lambrechts in der letzten Legislatur unternommen haben, als Mutti noch Justizministerin war – nach Slowenien, Helsinki, Liechtenstein, Lissabon, Luxemburg, Paris und Prag. Gut, nach Liechtenstein sollte man vielleicht wirklich nur mit den Eltern reisen, das geht richtig ins Geld, aber Paris? Prag? Hat Lambrecht Junior keine anderen Freunde?
Und wer hat wohl das inzwischen gelöschte Instagram-Foto von ihm im Regierungshubschrauber geschossen, das den Skandal ausgelöst hat? War es am Ende die Mutter selbst? Das Bild ist nicht nur eine peinliche Angeberei, es eröffnet auch die Sicht auf das Cockpit des Bundeswehr-Hubschraubers. Eine Verteidigungsministerin müsste eigentlich sensibler beim Zurschaustellen von militärischem Gerät sein. Zumindest hätte sie den Sohnemann ermahnen sollen, das Foto lieber nur in der WG-Küche herumzuzeigen.
Rat mal, wer zum Essen kommt!
Heute Abend hat der Bundeskanzler ein Dinner Date mit den mutmaßlich größten Spaßbremsen, denen ein Politiker begegnen kann: dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung. Hier sind Leute versammelt, die ihre Aufgabe mehrheitlich darin sehen (anderer Ansicht möglicherweise: Hendrik Streeck), die Deutschen und ihre Bundesregierung davor warnen zu müssen, dass die Covid-19-Pandemie noch lange nicht vorüber ist. Dass es vernünftig ist, weiterhin in Innenräumen Maske zu tragen, sich regelmäßig zu testen, und sich natürlich impfen und boostern zu lassen.
Kanzler Olaf Scholz
Foto: FILIP SINGER / EPA
Hier sei fürs Protokoll kurz festgehalten, dass wir Medienleute uns selbstverständlich streng an die Empfehlungen dieses Gremiums halten. Es sei denn, es ist gerade Bundespresseball, dann drängeln wir uns juchzend und nacktgesichtig durch die vollen Gänge des Hotel Adlon am Brandenburger Tor.
In seiner neuesten Stellungnahme von Anfang März schreibt der Expertenrat, dass neue Virusvarianten zu befürchten seien, und dass »der Immunschutz der Gesamtbevölkerung nicht ausreichen wird«, um eine neue Infektionswelle zu verhindern. Und dass es doch ziemlich gut wäre, wenn die Politik schon mal »Notfallstrategien« ausarbeiten würde, die »jederzeit implementierbar« sind.
Wie man die Bundesregierung kennt, läuft diese Vorbereitung seither sicher auf Hochtouren.
Smiley!
Nein, im Ernst, Gesundheitsminister Karl Lauterbach bereitet tatsächlich Pläne für den Coronaherbst vor, die er schon sehr bald vorstellen dürfte. Dann wird der Expertenrat über dem Konzept brüten, und wahrscheinlich wird Hendrik Streeck wieder der einzige sein, der die Runde auch mal mit einem Witz aufheitert. Und der einzige, der nicht lacht, ist wieder Christian Drosten.
Übrigens stellt sich bei diesem Thema unweigerlich die Frage, was eigentlich aus dem Coronageneral im Kanzleramt wurde. Darf Carsten Breuer auch zum Dinner kommen? Weiß jemand, ob er sich noch im Kanzleramt aufhält? Was macht er dort wohl den ganzen Tag, und macht er es in Uniform? Sachdienliche Hinweise der Lage-Leserschaft werden gern entgegengenommen.
Einfach immer weiter brennen?
Diagnose Burn-out, das bedeutet typischerweise eine berufliche Zwangspause. Nach Erschöpfung und Zusammenbruch muss man sich mühsam wieder aufrappeln. Auch wenn es schwer vorstellbar ist, hat die Psychotherapie noch eine Steigerung zum Burn-out entdeckt: den »Burn-on«.
Spaziergänger bei Sonnenuntergang (Symbolbild)
Foto: Felix Kästle / dpa
Im Interview mit meiner Kollegin Carola Kleinschmidt erläutert der Arzt Bert te Wildt, was den »Burn-on« ausmacht: Patientinnen und Patienten, die zutiefst erschöpft sind, aber eben nicht zusammenbrechen. »Sie gehen immer noch täglich zum Job, funktionieren im Alltag. Es scheint, als stünden sie kurz vor dem Zusammenbruch. Aber sie machen immer weiter.« Sie brennen weiter.
Die Betroffenen würden zwar spüren, dass mit ihnen etwas falsch läuft, und die Leute in ihrem Umfeld würden das auch merken. »Doch wenn man sie fragt, wie es ihnen geht, dann beteuern sie immer weiter, dass ihr Leben gut sei und die Arbeit Spaß mache.« Es sei letztlich wie bei Suchtkranken, die denken, sie können weiter funktionieren. »Wir müssen richtiggehend um einen Zugang zu diesen Menschen kämpfen«, sagt Bert te Wildt.
Allein wenn ich mich unter meinen politischen Gesprächspartnern oder in unserer Branche umschaue, fürchte ich: Herr te Wildt ist da einer großen Sache auf der Spur.
Gewinner des Tages…
Franz Müntefering (2018)
Foto: Bernd Thissen/ dpa
…ist Franz Müntefering, 81. Heute Abend wird im SWR ein Interview mit dem langjährigen SPD-Politiker zu hören sein, der schon Vizekanzler, Bundesminister und Landesminister war, und der in seiner Partei und Bundestagsfraktion so ziemliche jede Führungsrolle irgendwann mal innehatte. Und das Beste an Münte: Obwohl er viel zu sagen hätte, gerade in Zeiten des Krieges, in denen die SPD für ihre Russlandpolitik sehr in der Kritik steht, widersteht er der Versuchung, die heute aktiven Genossinnen und Genossen ständig zu kritisieren oder zu belehren.
Das Interview wird übertragen aus dem Hofgut Himmelreich, einem Restaurant, das sich um die Inklusion behinderter Menschen in den Berufsalltag bemüht. Ich bin gespannt, was der Sozialdemokrat zu erzählen hat. Mit unserer Redaktion kommunizierte er zuletzt nur per Faxgerät, dabei wurde der knarzige Münte-Sound leider nicht mit übertragen.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihre Melanie Amann