Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Bundestags-Ja zu Waffenlieferungen in die Ukraine – Blockieren Russlands Bomben auf das Bahnnetz den Nachschub?
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Endlos-Ärger mit dem Gaslobbyisten/Altkanzler – Wann verlässt Gerhard Schröder die SPD?
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Werbeverbot für rosa Spielzeug in Spanien – Lassen sich Geschlechterklischees aus dem Kinderzimmer verbannen?
1. Der Bundestag hat heute für Waffenlieferungen in die Ukraine gestimmt – doch der Transport könnte durch russische Attacken auf das Bahnnetz erschwert werden.
Nach langem Ringen hat eine große Mehrheit des Deutschen Bundestags heute für einen Antrag gestimmt, die Bundesregierung dabei zu unterstützen, die »Lieferung wirksamer, auch schwerer, Waffen und komplexer Systeme durch Deutschland« an die Ukraine voranzutreiben. Zuvor hatte es Streit zwischen Ampel und Union gegeben, weil CDU und CSU zunächst einen eigenen Antrag geplant hatten. Der nun angenommene Antrag trug den Namen »Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für die Ukraine«. Offenbar wollte man nicht schon im Titel das Wort »Waffen« verwenden.
Wie genau aber würde der Transport von deutschen Waffenlieferungen funktionieren? Mein Kollege Christoph Seidler berichtet heute darüber, dass die Ukraine gezielte Angriffe auf ihr Bahnnetz meldet, was westliche Lieferungen erschweren dürfte. »Die Bahn spielt eine wichtige Rolle in der Logistik des Krieges«, sagt eine Expertin im Gespräch mit dem Kollegen. »Es ist egal, wie viele Waffen man hat, wenn man sie nicht an die Front bekommt.«
Für den Transport schwerer Waffen ins Kriegsgebiet ist das Schienensystem der Ukraine deshalb besonders wichtig, weil die Straßen des Landes dafür weitgehend ungeeignet sind. In den letzten Tagen hat das russische Militär offenbar mehrere wichtige Bahnhöfe in der Ukraine attackiert. Russland versuche, »die Nachschubwege für militärisch-technische Hilfe aus Partnerstaaten zu zerstören«, so das ukrainische Oberkommando. Bislang ist es den Angreifern aber offenbar nicht gelungen, die Eisenbahnknotenpunkte in Städten wie Charkiw oder Odessa unter ihre Kontrolle zu bekommen – wohl auch, weil sie die gar nicht zerstören wollen. Sie wären für die Logistik der russischen Truppen nach einer möglichen Einnahme der Gebiete nützlich, um eigenes Militär und Gerät für Geländegewinne einzusetzen.
Christoph jedenfalls sagt: Die Waffen, für deren Lieferung der Bundestag grünes Licht gegeben hat, müssten wohl vor allem auf dem Schienenweg in die Ukraine kommen. Die Berichte über solche Lieferungen sorgen aber auch dafür, »dass die Bahninfrastruktur dort leider zum attraktiven Ziel für russische Angriffe wird.«
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Es ist egal, wie viele Waffen man hat – wenn man sie nicht an die Front bekommt«
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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Deutschland muss sich laut Scholz auf plötzlichen Gasstopp durch Russland einstellen: Kremlchef Wladimir Putin hat Polen und Bulgarien den Gashahn zugedreht. Das könne schon bald auch Deutschland passieren, warnte Olaf Scholz. Und versichert: Man sei vorbereitet.
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Habecks riskanter Enteignungsplan: Wirtschaftsminister Habeck hat die Abhängigkeit von russischem Erdöl weit mehr als halbiert. Nur noch eine Raffinerie bezieht ihren Rohstoff aus Russland. Die betreibt der Staatskonzern Rosneft – noch.
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Keine Chance für Erpressung: Je schlechter der Krieg für Russlands Diktator Wladimir Putin läuft, desto heftiger werden seine Drohungen. Europa darf sich davon nicht einschüchtern lassen – gut, dass es sich immer entschlossener zeigt. Ein Kommentar.
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Ukraine kündigt Angriffe auf Militärziele in Russland an: Die Welt erkenne Kiews Recht an, militärische Ziele in Russland anzugreifen, sagt der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Zuvor hatten Großbritannien und die USA Verständnis dafür gezeigt.
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Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
2. Der Druck auf SPD-Altlast Gerhard Schröder wird täglich etwas größer – auch NRW-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty wünscht sich seinen Parteiaustritt.
Ein »Mea Culpa« wegen seiner Freundschaft zu Wladimir Putin und seiner Arbeit für russische Konzerne werde man von ihm nicht hören, hat Gerhard Schröder vor ein paar Tagen einer Reporterin der »New York Times« gesagt. Ältere politikinteressierte Menschen hat die Benutzung einer lateinischen Floskel an eine Zeit erinnert, in der Politiker gern solche Bildungsbeweise benutzten. Vor allem der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß war ein bisschen berüchtigt dafür, dass er häufig seine altphilologische Beschlagenheit demonstrierte. Obwohl ich selbst viele Schuljahre lang Latein gelernt habe, finde ich das Lateingefloskel in der Regel peinlich.
Eine ärgerlichere Peinlichkeit ist der Altpolitiker Schröder, der meines Wissens nie Latein gelernt hat, inzwischen für viele seiner Parteigenossen in der SPD. Auch für Thomas Kutschaty, der gern zum Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen gewählt werden möchte. Der SPD-Spitzenkandidat sagt im Interview mit meinen Kollegen Lukas Eberle und Christian Teevs, dass er die Anträge von SPD-Ortsvereinen auf Schröders Parteiausschluss richtig findet. »Es ist gut, dass in Deutschland kein Parteivorstand einfach entscheiden kann, ein Mitglied rauszuwerfen«, sagt er. Aber er wünsche sich den Tag herbei, an dem Gerhard Schröder die Partei verlässt.
Der Historiker Gerd Koenen sagt im Interview mit meiner Kollegin Interview Anna Reimann, die Sozialdemokraten seien in der längsten Zeit ihrer 150-jährigen Geschichte eigentlich stets die Partei in Deutschland gewesen, die den autokratischen Regimes in Russland, zuerst in Gestalt des Zarentums und später der bolschewistischen Parteidiktatur, als schärfste Kritikerin gegenüberstand. Nur leider hat Gerhard Schröder diese schöne Tradition, mit großer Entschiedenheit für verfolgte Demokraten einzutreten, nicht fortgesetzt.
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Lesen Sie hier das ganze Interview mit Kutschaty: »Ich wünsche mir den Tag herbei, an dem Gerhard Schröder die Partei verlässt«
3. In Spanien ist Werbung für rosa Spielzeug künftig untersagt – wohl ein sinnvoller Schritt, um Kinder vor sexistischen Klischees zu bewahren.
Mädchen, so hat sich die spanische Werbeindustrie nun verpflichtet, dürfen in der Werbung für Spielzeug künftig nicht mehr in »diskriminierender oder herabwürdigender« Weise gezeigt werden. Mit der Regierung in Madrid haben sich die Werberinnen und Werber auf Regeln gegen geschlechtsspezifische Spielzeugreklame geeinigt. Beide Seiten unterzeichneten eine Vereinbarung. Ziel sei es, ein »pluralistisches, egalitäres und stereotypenfreies Bild von Minderjährigen zu fördern«, heißt es.
Werbung für Spielzeug, das sich etwa auf Pflege, Hausarbeit oder Schönheit bezieht, dürfe sich nicht exklusiv an Mädchen richten. Stillschweigende Hinweise in der Werbung etwa durch die klassischen Farben Rosa für Mädchen und Blau für Jungen sind untersagt.
Der Markt für Spielwaren ist auch in Deutschland bislang traditionell zweitgeteilt, hat meine Kollegin Maren Keller vor einer Weile in einem amüsanten Text geschrieben. »Einen für Jungen und einen für Mädchen. Der eine ist blau und schwarz. Er wird von Superhelden und Polizisten bevölkert, von Piraten, Fußballspielern und Forschern. Der andere ist rosa und glitzert und wird von Einhörnern, Ponys und Prinzessinnen beherrscht.« Gendermarketing heißt die Taktik, zwei Varianten eines Produktes zu bewerben, einmal für Jungen und einmal für Mädchen. »Organisationen wie Pinkstinks kritisieren Gendermarketing schon seit Langem, weil Kindern hier oft überkommene Rollenbilder vorgeführt werden: die Puppenküche für Mädchen, die Ritterburg für Jungen.«
Hilft ein Verbot für rosa? »Werbung, die sich an Kinder richtet, zu regulieren, ist immer wünschenswert«, sagt meine Kollegin Carola Padtberg aus dem Kulturressort, die selbst drei Kinder hat. »Denn sie sind am anfälligsten für verlogene Versprechen – und den perfiden Methoden der Wirtschaft komplett ausgeliefert.«
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Lesen Sie hier mehr: Spanien verbietet sexistische Spielzeugwerbung
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Inflationsrate steigt im April auf 7,4 Prozent: Lieferengpässe, Corona und Russlands Krieg in der Ukraine: die Preise gehen nach oben. Im April klettert die Teuerungsrate laut Statistischem Bundesamt weiter auf 7,4 Prozent – der höchste Wert seit 41 Jahren.
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Christian Drosten verlässt Corona-Sachverständigenausschuss: Gesundheitsminister Karl Lauterbach verkündete den Entschluss des Experten per Twitter – und äußerte sein Bedauern: »Das ist ein schwerer Verlust, weil niemand könnte es besser.«
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Twitter verzeichnet deutlichen Nutzerzuwachs: Twitter zählte zuletzt 229 Millionen täglich aktive Nutzerinnen und Nutzer – auf seine etwas eigenwillige Weise. Trotzdem bleibt das operative Geschäft im Minus.
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Vier von fünf britischen Firmen finden kaum noch Mitarbeiter: Erst die Coronapandemie, dann der Brexit – und jetzt noch die Inflation: In Großbritannien gibt es eine Rekordzahl an offenen Stellen. Die Einwanderungspolitik erschwert die Suche nach Personal.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Der Mythos Wembley
Sport ist sinnlos, aber in beunruhigenden Zeiten wie den jetzigen eine heitere Ablenkung. Mein Kollege Peter Ahrens schreibt über einige große Augenblicke der Fußballgeschichte. Sie ereigneten sich bei einem Länderspiel vor 50 Jahren, am 29. April 1972, im Londoner Wembleystadion. Es war der erste Sieg einer deutschen Elf in England, »auf dem heiligen Londoner Rasen«, wie Peter es ausdrückt. »Es gibt wenige Spiele, die in der deutschen Fußballhistorie so mit Mythen umrankt sind wie dieser Abend im englischen Regen.« Wer das Spiel heute anguckt, der sehe die pure Freude am Fußball, »die frühlingshaften grünen Trikots der deutschen Elf« und ein »rasantes pausenloses Hin und Her über 90 Minuten«.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie vor 50 Jahren Englands Fußball in Wembley (gegen Deutschland) zugrunde ging
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Null Prozent auf alles: Neben der Energie sind vor allem Lebensmittel teurer geworden. Eine vorübergehende Streichung der Mehrwertsteuer könnte Verbraucher entlasten. Was spricht dafür und was dagegen?
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Porsches Pläne im Kampf gegen Tesla: Porsche-Chef Blume hat den Sportwagenhersteller zum Liebling der Investoren gemacht. Der Börsengang soll der Firma neue Freiheiten bescheren – dabei spielt auch der 911er eine wichtige Rolle.
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»Ich brauche keine Kur, ich brauche Geld«: Der Ehemann unserer Autorin ist früh an Alzheimer erkrankt. Um den Alltag mit drei Teenagerkindern bewältigen zu können, wäre eine Pflege notwendig. Doch dafür benötigte die Familie mehr als 10.000 Euro monatlich. Wie soll das gehen?
Was heute weniger wichtig ist
Altersdemütiger Schlagerstar: Roland Kaiser, 69-jähriger Veteran des deutschen Schlagergeschäfts, wäre im Rückblick lieber bescheidener aufgetreten. Das hat der Sänger, den meine Kollegin Anja Rützel für die »ganz eigene Begehrenssprache« und »bildhafte Veblümelung« seiner frühen Lieder aufrichtig verehrt, in einem Interview berichtet. Früher habe er gedacht, die »Weisheit mit Löffeln gefressen« zu haben, so Kaiser. Darauf sei er heute nicht stolz. Sein Geständnis könnten, so vermute ich mal, viele Menschen so ähnlich formulieren. »Ich wollte nur auf die hören, die mir applaudierten.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Radu war zwar noch mit dem Fuß an dem auf ihn zurollenenden Ball, traf ihn aber nicht richtig.«
Cartoon des Tages: Proben für den Ernstfall
Foto:
plassmann / Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Könnten Sie sich Deutschlands beliebtesten Baumpfleger im Film anschauen. In der Mediathek des Senders 3sat wird derzeit der zuvor schon in manchen Kinos gespielte Film »Das geheime Leben der Bäume« präsentiert. Dessen Stars sind natürlich einerseits der deutsche Wald und andererseits der Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben. Mein Kollege Tobias Becker hat den Film gesehen und schreibt: Auch im Film »haut Wohlleben all die Klassikerzitate raus, für die ihn Fans lieben.«
Der Förster sage zum Beispiel, dass den Wald ein »Wood Wide Web« durchziehe: ein Pilzgeflecht, über das Informationen von Baum zu Baum weitergeleitet werden. Und er halte ein Plädoyer gegen die Fichte, der es in Mitteleuropa zu warm und zu trocken ist. Für den Erfolg von Wohlleben hat Tobias eine einleuchtende Erklärung: Er hänge damit zusammen, »dass sich viele ihre Gesellschaften so wünschen, wie Wohlleben den Wald zeichnet. In seinen Büchern ist der Baum der bessere Mensch: fürsorglich, solidarisch, sozial.«
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel
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