Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Möglichkeit von Verhandlungen mit einem Kriegsverbrecher, die deutsche Panzerwende und eine exklusive Umfrage für Sie in Sachen Gerhard Schröder.
Irgendwann wird auch dieser Krieg enden
Nur wann? Und wie? Auch wenn es zu keinem Wandel in Russland kommt – die große Mehrheit der Russinnen und Russen steht offensichtlich hinter Putin und seinem Vernichtungsfeldzug gegen die Ukraine – dann braucht es nichtsdestotrotz einen Plan für den »Tag danach«, für die Zeit nach diesem Krieg und mit Putin.
Kriegstreiber Putin beim orthodoxen Ostergottesdienst in Moskau
Foto: Alexander Zemlianichenko / dpa
Kann es eine gesichtswahrende Lösung für diesen Mann geben? Kann ein Kriegsverbrecher sein Gesicht wahren? So oder so, die Ukrainer werden mit ihm verhandeln müssen, aber er darf nicht den Frieden diktieren.
Dafür braucht die Ukraine eine starke Verhandlungsposition, also militärische Erfolge, also schwere Waffen.
Und darüber hinaus? Auf einer Ukraine-Konferenz auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz, wo die USA am Dienstag Unterstützer aus aller Welt zusammengerufen hatten, beschrieb es der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin so: Die Ukraine brauche »unsere Hilfe, um zu siegen. Und sie wird unsere Hilfe brauchen, wenn der Krieg vorbei ist«.
Verteidigungsministerin Lambrecht, ukrainischer Amtskollege Reznikow in Ramstein
Foto: RONALD WITTEK / EPA
Russland wird eine revisionistische Macht bleiben, wird sich mit seinen Grenzen nicht abfinden. Zu befürchten steht, dass Putins Ziel nicht allein die Annexion von Fake-Volksrepubliken im Osten der Ukraine ist, sondern die Umgestaltung Europas. Und das heißt zuallererst das Herausdrängen der Amerikaner aus diesem Europa. Zumindest, wenn wir Putins Worte und die seiner Vasallen ernst nehmen.
Solange dieser Mann in Moskau an der Macht ist, wird Russland in imperialen Kategorien denken und auf Revisionismus setzen. Wenn aber eine (Atom-)Macht nicht ins multilaterale System integriert werden kann (siehe gescheiterte Versuche des Wandels durch Handel), dann bleibt vorerst nur die Eindämmung und Abschreckung durch eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa und die Ukraine, beginnend am »Tag danach«.
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Erst Zeitenwende, jetzt Panzerwende
Wann war zuletzt ein solcher Wandel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu bezeugen wie nach dem russischen Überfall auf die Ukraine? Man muss schon weit zurückgehen, mindestens bis zur neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition in den Siebzigern.
Was die aktuelle Lage aber besonders macht: Olaf Scholz’ »Zeitenwende« ist nicht abgeschlossen. Der Kanzler muss nachjustieren. Und das wirkt eher reaktiv als aktiv. Deutschland wird getrieben in dieser Krise, Scholz ist kein Antreiber.
Beispiel schwere Waffen: Die sollten erst gar nicht geliefert werden, dann sollten andere mit deutscher Hilfe liefern (»Ringtausch«) und nun hat Verteidigungsministerin Lambrecht die Lieferung etwa 50 alter »Gepard«-Flugabwehrpanzer aus Industriebeständen angekündigt. Von einer »Zeitenwende 2.0« ist intern die Rede.
»Gepard«-Panzer der Bundeswehr, im Jahr 2009
Foto:
Thomas Imo / photothek / IMAGO
Man habe die eigene Linie der Lage auf dem Schlachtfeld anpassen müssen, sagt ein beteiligter Beamter aus der Bundesregierung. Auch, wenn dies gerade dem Kanzleramt schwergefallen sei. (Lesen Sie hier die Rekonstruktion unseres SPIEGEL-Teams, wie es zur Panzerwende kam).
»Geparden« mag zwar keiner in Kiew bestellt haben – die Ukrainer wünschen sich ja vor allem den Schützenpanzer »Marder« – doch schwere Waffen sind schwere Waffen. Und vielleicht hört sich ein Flugabwehrsystem auch einfach defensiver an als ein Schützenpanzer. Ablehnen wird die Ukraine wohl kaum.
Der Kanzler ändert damit gerade noch rechtzeitig den Kurs – oder besser: passt den Kurs erneut an – bevor der Druck der internationalen Partner, aber auch von FDP und Grünen in der Koalition zu groß geworden wäre.
Heute debattiert der Bundestag in erster Runde das geplante 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr, das die »Zeitenwende« wie kein anderes Projekt der Ampel symbolisiert. Außerdem stellt sich Außenministerin Annalena Baerbock einer Regierungsbefragung im Plenum. Das Format ist nur ein kleines, aber vielleicht gibt es große Worte: zu den von Baerbock gewünschten schweren Waffen oder zum »Tag danach«, siehe oben.
Mit Gerhard Schröder ist keine Partei mehr zu machen
Neben Helmut Kohl hat sich kein Altbundeskanzler derart tragisch selbst demontiert wie Gerhard Schröder. Doch während Helmut Kohl durch seine Spendenaffäre letztlich vor allem seiner CDU geschadet hatte, beschädigt Putins Gas-Lobbyist Schröder das Ansehen des Landes, dem er einst diente.
Gut zwei Drittel der Deutschen befürworten einen Rauswurf Schröders aus der SPD. Dies hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey ergeben, die wir heute auf SPIEGEL.de präsentieren werden – die Sie als Leserinnen und Leser der Lage am Morgen hier aber schon exklusiv vorab bekommen.
Unter den Anhängerinnen und Anhängern der Unionsparteien (74 Prozent) und der Grünen (85 Prozent) finden sich die meisten Befürworter eines Schröder-Rauswurfs. Aber auch in der SPD-Anhängerschaft zeigt sich eine klare Mehrheit (62 Prozent) für den Parteiausschluss. Einzig bei Linken und AfD kann Schröder noch punkten. Der statistische Fehler wird hier mit 6,7 Prozent angegeben.
Im Westen befürworten rund 70 Prozent einen Ausschluss Schröders aus der SPD, im Osten sind es gut 50 Prozent (statistischer Fehler bei 3,7 Prozent).
Trauer III
An dieser Stelle sollen in dieser Woche einige der zahllosen Opfer des russischen Überfalls auf die Ukraine in Erinnerung gerufen werden.
Für mich ist die Geschichte von Tetiana Perebyinis die eindrücklichste in diesem furchtbaren Krieg, ich bekomme dieses Foto vom 6. März nicht mehr aus dem Kopf.
Foto: Andriy Dubchak / dia images / Getty Images
Da liegt die 43-Jährige nach einem russischen Angriff mit ihren beiden Kindern Mykyta, 18, und Alisa, 9, und einem Begleiter tot auf der Straße in Irpin, nahe Kiew.
Ihr Ehemann Serhiy Perebyinis hat die Geschichte seiner Frau später der »New York Times« erzählt, Sie können sie hier nachlesen. In der Nacht vor der tödlichen Attacke habe er seiner Frau am Telefon gesagt, es tue ihm leid, nicht bei ihr sein zu können. Ihre Antwort habe gelautet: »Mach dir keine Sorgen, ich komme hier raus.«
Gemeinsam mit einem Bekannten habe seine Familie fliehen wollen. Am Sonntag konnte er seine Frau dann nicht mehr telefonisch erreichen. Auch Anrufe auf den Telefonen der Tochter und des Sohnes liefen ins Leere. Via Twitter habe er erfahren, warum niemand mehr auf seine Anrufe reagierte.
In einem ersten Post habe er gelesen, dass eine Familie auf der Fluchtroute bei Irpin durch einen Mörserangriff getötet worden sei. Kurz darauf zeigte ein weiterer Post ein Foto des Angriffsorts: »Ich habe das Gepäck erkannt, und so wusste ich es.«
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer