Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Ukraine – Wie gerät Russlands Propaganda ins Schlingern?
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Corona – Gibt es endlich gute Nachrichten?
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Salz – Wie lässt sich Geschmack simulieren?
1. Der Untergang einer Legende
Das russische Militär versucht, im Osten der Ukraine in die Offensive zu kommen, die russische Propaganda vermeidet aber den Begriff »Offensive«. So wie der Krieg nicht Krieg heißen darf, sondern »Spezialoperation«. Diese Operation sei aber in die nächste Phase übergegangen, sagte Außenminister Sergej Lawrow heute. Und das russische Verteidigungsministerium meldet Luftangriffe auf mindestens 60 Ziele. Mein Kollege Fritz Schaap berichtet: »Die russischen Streitkräfte begannen am Montag mit Unterstützung schwerer Artillerie Attacken auf die Orte Rubischne, Popasna und Marinka. Zuvor hatten sie nur punktuelle Angriffe entlang der Kontaktlinie durchgeführt.« Allerdings gehen die meisten Beobachter nicht von einem schnellen Durchmarsch aus. (Hier mehr dazu.)
Doch nicht nur wegen ihrer Wortfindungsschwierigkeiten gerät die russische Propaganda in die Defensive, sondern auch wegen des gesunkenen Raketenkreuzers »Moskwa«.
Erst hieß es, es habe einen Brand an Bord gegeben, einen Unfall, eine Verkettung unglücklicher Umstände – dann wurden in russischen Talkshows Vergeltungsangriffe auf die Ukraine gefordert. Die hat aber laut der offiziellen Linie des Kremls mit dem Untergang nichts zu tun.
Erst hieß es, das Schiff sei in stürmischer See untergegangen – dann wurde klar, es gab offenkundig keinen Sturm.
Erst hieß es, das Schiff sei vollständig evakuiert und die Besatzung gerettet worden – jetzt gibt es Meldungen, die auch daran Zweifel wecken: Demnach erreichen Soldatenfamilien ihre Söhne nicht mehr, die an Bord ihren Dienst taten. Der »Guardian« zitiert die Mutter eines Wehrpflichtigen, sie habe am Montag erfahren, dass ihr Sohn tot sei: »Ich bin mir sicher, er ist nicht der Einzige, der starb.« Auch mit anderen Eltern sprach die Redaktion. Russische Exilmedien schreiben von mehr als drei Dutzend Toten. Mehrere Angehörige der Seeleute fordern Antworten: Wie viele starben wirklich bei dem Untergang, wie viele wurden verwundet, wie viele werden vermisst? Bislang bekommen sie keine. Ein Kremlsprecher verwies heute ans Verteidigungsministerium.
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Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg hier: Das News-Update
Und hier weitere Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
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»Wie sollen wir ohne Wasser leben?« Während die russische Offensive an der Ostfront gestartet ist, harren im belagerten Mariupol noch etwa 100.000 Menschen aus – es fehlt ihnen an allem. Und die Lage wird immer dramatischer.
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In der Erdgasfalle: Der größte deutsche Erdgasspeicher ist so gut wie leer, die Lieferungen aus Russland sind reduziert. Die Auswertung zeigt: Die Krise auf dem Gasmarkt begann schon vor einem Jahr.
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»Warum willst du hier sterben?« Der ukrainische Präsident hat Freiwillige aus aller Welt aufgerufen, sein Land im Krieg gegen Russland zu unterstützen. Wer ist dem gefolgt? Der SPIEGEL hat vier Männer auf ihrem Weg an die Front begleitet.
2. Die Fahrradklau-Inzidenz sinkt
Versuchen wir es bei Corona ausnahmsweise mit positiven Nachrichten. Die Inzidenz ist auf 669,9 gesunken; vor Tagen fiel sie bereits unter die 1000er-Marke. Das Robert Koch-Institut registrierte 22.483 Neuinfektionen. Immer noch viel, wirkt aber nicht mehr ganz so bedrohlich.
Ein Volk von 80 Millionen Viro- und Epidemiologen weiß natürlich: Die tatsächlichen Werte dürften höher liegen – aus zwei Gründen. Erstens gibt es wegen der Feiertage einen Meldeverzug. Zweitens lassen viele ihren positiven Schnelltest nicht mehr durch einen PCR-Test überprüfen – und nur der zählt fürs Amt. Die Dunkelziffer ist also hoch.
Meldeverzug, Dunkelziffer, in der Reihe der bürokratischen Wortungetüme fehlt nur noch die Kriminalstatistik. Aber selbst die taugt heute für gute Corona-News: Weniger Menschen sind dank des Virus radlos, im zweiten Pandemie-Jahr zählte die Polizei weniger Fahrrad-Diebstähle. Ja, auch hier ist die Dunkelziffer hoch, da aber die Versicherungsbranche ebenfalls ein Rekordtief meldet, scheint wirklich etwas dran zu sein an der sinkenden Fahrradklau-Inzidenz. Wer zu Hause arbeitet, lässt sein Rad seltener unbeaufsichtigt draußen stehen.
Die Versicherer warnen allerdings: Wenn Diebe zuschlagen, wird es teurer als früher. Der »Schadendurchschnitt«, auch so ein Wort, habe sich in den vergangenen zehn Jahren von 440 Euro auf 860 Euro fast verdoppelt. Diebe suchen demnach in Kellerräumen gezielt nach hochwertigen Rennrädern, E-Bikes oder Mountainbikes. Ihr Rat: Auch drinnen Räder anschließen.
Ein ganz und gar unbürokratisches Wort hat Karl Lauterbach am Wochenende gebraucht: Der Gesundheitsminister warnte vor einer möglichen »Killervariante« im Herbst, so ansteckend wie Omikron, so tödlich wie Delta. Jetzt sind viele genervt, manche sogar empört wegen des alarmistischen Tonfalls. Schließlich wisse niemand, wie sich das Virus entwickelt, es könne auch harmloser werden. Dabei müsste die Lektion aus zwei Jahren Corona doch sein: Lasst uns das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein. Lauterbach verdient keine Kritik wegen mahnender und manchmal drastischer Worte – sondern weil es ihm politisch zu selten gelingt, das Nötige durchzusetzen.
Weder alarmistisch noch bürokratisch sagt es der Intensivmediziner Daniel Zickler von der Berliner Charité: »Bei den jetzigen Virusvarianten ist die Gefahr eher niedrig. Aber das kann sich jederzeit ändern.« Meine Kollegin Nike Laurenz hat mit ihm über die Lage in den Krankenhäusern gesprochen – und da gibt es leider keine guten Nachrichten: »Wir sind – deutschlandweit – jetzt in einer deutlich schlechteren Situation als während der Pandemie«, sagt Zickler. »Natürlich haben wir Erfahrungen gesammelt, dazugelernt. Aber erfahrene Ärztinnen und Ärzte und Pflegepersonal – und damit die betreibbaren Intensivbetten in Deutschland: Von allem gibt es weniger als zuvor.«
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Lesen Sie hier das ganze Interview: »Sie sagten, sie wollen sterben, und sagen nun, dass sie froh sind, wieder in ihrem Garten zu stehen«
3. Krisenstäbchen gegen Salz
Wo wir gerade bei Lauterbach sind: Der isst bekanntlich kein Salz, ein bisschen Zerstreuung täte ihm aber sicher gut. Da gefiele ihm vielleicht diese Erfindung japanischer Forscher: Sie haben Essstäbchen entwickelt, die mit der Hilfe von Computern den Salz-Geschmack verstärken – was wiederum Menschen helfen könnte, die auf eine natriumarme Ernährung angewiesen sind.
Die Stäbchen sind an einen Mini-Computer am Armband des Essenden angeschlossen. Das Gerät nutzt schwachen elektrischen Strom, um Natriumionen aus dem Essen über die Stäbchen in den Mund zu leiten und dort das salzige Gefühl zu erzeugen, erklärt ein Forscher: »Im Ergebnis wird der salzige Geschmack 1,5-fach verstärkt.«
Offenbar gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, Sinneserfahrungen mithilfe der modernen Technik zu simulieren. Das Team hat auch einen Fernsehbildschirm entwickelt, der sich ablecken lässt und dabei verschiedene Geschmacksrichtungen imitiert. Es ist also endgültig bewiesen: Geschmacksverlust muss nichts mit Corona zu tun haben.
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Lesen Sie hier mehr: Elektrische Essstäbchen simulieren Salzgeschmack
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Fast zwei Drittel der Deutschen halten Olaf Scholz nicht für führungsstark: Für eine deutliche Mehrheit erweist sich Olaf Scholz in der aktuellen Lage als schwacher Bundeskanzler. Nur bei den Anhängern seiner eigenen Partei genießt er weiterhin Rückhalt.
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Vorwürfe sexueller Belästigung bei den Linken – Union fordert juristische Aufklärung: Nach einem SPIEGEL-Bericht über mutmaßliche sexuelle Übergriffe bei den Linken fordern andere Parteien die Aufklärung der Vorwürfe. Die Union dringt auf juristische Konsequenzen.
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Internationaler Währungsfonds senkt Wachstumsprognose deutlich: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine belastet weltweit die Konjunktur, der Internationale Währungsfonds reduziert seine Prognose kräftig. Und es drohen weitere Coronarisiken.
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Meereis in der Antarktis fällt auf bisher niedrigsten Stand: Während das Eis der Arktis zurückgeht, nimmt das der Antarktis normalerweise leicht zu. Doch diese Ausdehnung geht nun offenbar zurück: Forscher haben in einer Studie den zweiten Tiefstwert in nur fünf Jahren gemessen.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Über Leserbriefe
Warum er grundsätzlich gern Leserbriefe beantwortet, darüber hat mein Kollege Stefan Weigel seine Midlife-Kolumne geschrieben. In der Schule würde es heißen: Thema verfehlt.
Aber ein Leser schrieb ihm wenige Minuten nach Erscheinen des Textes: »Guten Tag, vielen Dank für diese Kolumne. Sie ist, streng genommen, sinnlos, da sie nichts zur Weiterbildung/Information/ähnliches des Spiegellesers beiträgt. Gleichwohl habe ich sie gerne und erfreut gelesen und hatte danach gute Laune.«
Ich habe Stefan selten so froh gesehen. Und das in seinem Alter.
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Lesen Sie hier mehr: Warum ich grundsätzlich gern Leserbriefe beantworte
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Das passiert, wenn sie gewinnt: Marine Le Pen hat Chancen, Emmanuel Macron bei der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag zu schlagen. Frankreich würde ein anderes Land – und Europa ein anderer Kontinent.
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Sperma- und Faserspuren belasten ihn – aber ist er auch ein Mörder? Die 17-jährige Frederike wurde im Herbst 1981 erstochen, Ismet H. wurde verdächtigt, aber freigesprochen. Wegen einer neuen Regelung könnte der Fall nun noch einmal verhandelt werden. Seine Anwälte meinen aber, die Voraussetzungen dafür seien nicht erfüllt.
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Das Covid-Rätsel – milder Verlauf, aber wochenlang Symptome: Geimpft, geboostert und trotzdem infiziert. Viele Menschen haben in diesem Fall nur leichte Beschwerden, leiden darunter aber mehrere Wochen. Wie lange ist das unproblematisch und wann beginnt Long Covid?
Was heute weniger wichtig ist
Rückgratlos: Der Sängerin Taylor Swift, 32, ist die, nun ja, Ehre zuteilgeworden, dass Wissenschaftler eine Tausendfüßler-Art nach ihr benannt haben, die »Nannaria swiftae«. Das rund 22 Zentimeter lange Tier bekam für den gewöhnlichen Gebrauch den Namen »Swift Twisted-Claw Millipede« verpasst – zu Deutsch in etwa: »Verdrehte-Krallen-Tausendfüßler Swift«. Einer der beteiligten Forscher twitterte: »Ich bin ein großer Fan ihrer Musik. Deshalb wollte ich meine Anerkennung zeigen, indem ich diese neue Art aus Tennessee nach ihr benenne.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Zudem erleichert die Funktion den Alltag von Familien, in denen nicht alle Kinder ein eigenes Smartphone haben.
Cartoon des Tages: Rheinische Katholiken
Foto: plassmann / Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Könnten Sie Fußball gucken. Ich habe mir sagen lassen, das Halbfinale des DFB-Pokals könnte sich lohnen, der HSV spielt gegen den SC Freiburg (ab 20.45 in der ARD, oder als Liveticker bei uns bei SPIEGEL.de).
Offenbar tut sich einiges beim Fußball. »Wir erleben gerade rare Frühlings-Festwochen eines Sports, der viele längst vergrätzt hat«, findet mein Kollege Peter Ahrens. Er freut sich über »ein Pokalhalbfinale ohne die üblichen Bayern und Dortmunder, Frankfurts Hurra in Barcelona, Spektakel in der Champions League«. (Seinen Lobgesang finden Sie hier.)
Schuss mit lustig. Ihnen einen schönen Abend, herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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