: Russland-Ukraine-Krieg, China, EU, Fussball-Weltmeisterschaft, Katar //
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschaftigen wir uns mit der Frage: Kann Peking Putin zur Vernunft bringen? Wir schauen auf die Auslosung fur die Fussball-Winter-WM. Und wir fragen uns, was das Aus fur die allgemeine Impfpflicht bedeutet.
Macht Europa Druck auf China?
Xi Jinping ist weltweit wohl der einzige Politiker von Rang und Namen, der noch Einfluss auf Wladimir Putin haben konnte. Im Westen wunschen sie sich sehr, dass Chinas Staats- und Parteichef diesen Einfluss nutzt und Russland dazu bringt, seinen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine zu stoppen.
AdvertisementXi Jinping bei einem Videogipfel mit den EU-Spitzen und der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (im September 2020)
Foto: Li Tao / dpa
Bisher aber wurden alle Hoffnungen enttauscht: Peking steht fest an der Seite des Kremls, selbst wenn man schon mal durchblicken liess, dass der Krieg nicht unbedingt in Chinas strategische Agenda passt. Denn die sieht eigentlich vor, Europa und die USA auseinanderzutreiben, um den Westen zu schwachen. Putins Uberfall hat nun das genaue Gegenteil bewirkt: Der Westen steht zusammen.
Dennoch: Dass sich an der Moskau-Treue grundsatzlich etwas andert, wenn Xi Jinping und sein Regierungschef Li Keqiang heute mit den Spitzen der Europaischen Union zum Videogipfel zusammenkommen, ist kaum zu erwarten.
Dabei konnte ein kleines Zugestandnis schon helfen: Peking konnte auf Putin einwirken, den Krieg nicht weiter eskalieren zu lassen. Etwa mit einer offentlichen Warnung vor dem Einsatz von chemischen oder atomaren Waffen. Ob China dazu bereit ist – ungewiss. Meine Kollegen Georg Fahrion und Christoph Schult haben vor dem Gipfel mit Chinas Botschafter in Berlin, Wu Ken, gesprochen, und auch er vermeidet es tunlichst, die russische Aggression auch nur im Ansatz zu verurteilen (das Interview konnen Sie im Verlauf des Tages auf SPIEGEL.de lesen).
Was tun also? Die Situation ist fur die Europaer nicht einfach: Naturlich ist China ein Rivale – aber eben auch der grosste Handelspartner der EU. Aus keinem anderen Land kommen so viele Produkte nach Europa, andersherum ist die Volksrepublik ein wichtiger Markt europaischer Unternehmen. Zudem liefert China viele Rohstoffe, die sich anderswo nur schwer beschaffen liessen.
>>Die EU ist wirtschaftlich von China noch weit abhangiger als von Russland<>Die Europaer haben kein Interesse an einem Konflikt mit zwei Grossmachten. Deshalb werden sie keinen Druck auf Peking ausuben.<<
Entsprechend ist das Erwartungsmanagement: Fur den Gipfel sind keine Abkommen vorbereitet, nicht einmal eine gemeinsame Erklarung soll es geben. Die unterschiedlichen Positionen liessen sich darin kaum vereinen.
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Die WM und der Krieg
Die anstehende Fussball-Weltmeisterschaft in Katar war ohnehin schon hochpolitisch, nun wirft auch der Krieg einen dunklen Schatten auf das Winterturnier. Wenn heute Abend Lothar Matthaus und Co. im Doha Exhibition and Convention Center die WM-Gruppen auslosen, dann fehlen die Teams aus Russland und der Ukraine in den Lostopfen. Russland wurde wegen des Uberfalls auf den Nachbarn von den Qualifikations-Playoffs ausgeschlossen, das Spiel der Ukraine gegen Schottland in den Juni verlegt. Der Sieger spielt dann gegen Wales um das WM-Ticket.
Scheich Khalid bin Khalifa bin Abdulaziz Al Thani, Premierminister von Katar, und Fifa-Prasident Gianni Infantino in Doha
Foto by NOUSHAD THEKKAYIL / EPA
WM-Gastgeber Katar profitiert derweil von Putins Krieg. Das Land ist einer der grossten Flussiggas-Exporteure der Welt, weswegen Wirtschaftsminister Robert Habeck den Scheichs jungst die Aufwartung machte. Deutschland braucht das Gas des Emirats, wenn es unabhangig von russischer Energie werden will.
Das wiederum, so ist zu befurchten, durfte dafur sorgen, dass die Kritik an der immer noch miserablen Menschenrechtslage in Katar im Zusammenhang mit der WM nicht mehr ganz so laut geaussert werden wird.
Es ist erst ein paar Monate her, als Annalena Baerbock, damals Kanzlerkandidatin, wegen eben dieser Menschenrechtslage und der Beziehungen Katars zu den Taliban, einen Boykott des Turniers forderte. Nun musste ihr Parteifreund Habeck als Bittsteller nach Doha reisen. Naturlich schwieg der Vizekanzler nicht uber die Probleme. Aber er betonte eben auch, dass schon vieles besser geworden sei. Und der Deutsche Fussballbund ist froh, dass der Druck, sich kritisch aussern zu mussen, etwas nachlasst.
Keine Frage, es gilt abzuwagen, und Russland ist weltpolitisch die weitaus grossere Bedrohung als Katar. Dennoch sollten die Politik (und auch der Sport) nun nicht die Augen verschliessen, nur weil man Katar auch nach dem Fussballspektakel dringender braucht als gedacht. Tausende Gastarbeiter sollen in den vergangenen Jahren auf den WM-Baustellen gestorben sein, Menschenrechtsorganisation haben gerade noch einmal bekraftigt, dass die Lage der Menschen trotz versprochener Reformen im Arbeitsrecht noch immer prekar sei.
Ein paar mahnende Worte bei der Begleichung der Gasrechnung werden nicht reichen, ein autoritares System, in dem es weder Parteien noch ein echtes Parlament gibt, zur Achtung von Menschenrechten zu erziehen. Genauso sollte man nicht darauf hoffen, dass die Weltmeisterschaft und das damit verbundene Licht der Weltoffentlichkeit fur nachhaltige, demokratische Verbesserungen sorgt. Dieses Kalkul ging schon bei der letzten WM vor vier Jahren nicht auf – die fand in Russland statt.
Aus fur die Impfpflicht?
Aus der allgemeinen Corona-Impfpflicht fur alle Erwachsenen wird wohl nichts mehr. Der Plan wird im Bundestag keine Mehrheit finden. Bei aller Taktiererei der Union, ihrer Lust, die Ampel vorzufuhren – Olaf Scholz und Karl Lauterbach sind auch selbst schuld, dass ihre Namen mit dem Scheitern verbunden sein werden.
Impfung in einer Apotheke in Heidelberg (im Februar 2022)
Foto: Uwe Anspach / dpa
Der Kanzler und sein Gesundheitsminister haben fur die Impfpflicht ab 18 pladiert, aber statt entschlossen auf eine schnelle Entscheidung zu drangen, gaben sie das Verfahren aus der Hand. Fraktionsubergreifende Gruppenantrage im Parlament sollten die Sache regeln. Die Folge: Das Momentum fur eine Impfpflicht wurde verpasst, das Vorhaben verschleppt und zerredet, der Eindruck erweckt, das Ganze sei nicht mehr so wichtig – zu einer Zeit, als die Infektionszahlen taglich Rekordstande erreichten.
Der mogliche Kompromiss soll nun die Impfpflicht ab 50 Jahren sein, ein Antrag, der aus der FDP kommt. Die hatte sich auch bei der Neuschreibung des Infektionsschutzgesetzes durchgesetzt, weswegen am Wochenende in der Mehrzahl der Bundeslander die meisten Coronaregeln fallen und nicht mal mehr im Einzelhandel eine Maske getragen werden muss.
Inzwischen wirkt es fast, als habe die FDP den Gesundheitsminister in der Coronapolitik nicht nur ausgebremst, sondern auch mit ihrem >>Freedom Day<>keine strenge Isolierung<<).
Angesichts der meist milden Omikron-Verlaufe scheinen Lauterbach und die Bundesregierung inzwischen auf Durchseuchung zu setzen. Nur ausgesprochen hat das bisher noch keiner.
Verlierer des Tages…
Gil Ofarim
Foto:
Gerald Matzka / dpa
…ist Gil Ofarim. Der deutsche Sanger wollte offentlich Antisemitismus anprangern – und sieht sich nun mit einer Anklage wegen Verleumdung und falscher Verdachtigung konfrontiert.
Schon langer war zu horen, dass die Ermittler an Ofarims Darstellung zweifelten, nach der ein Angestellter eines Leipziger Hotels den Musiker im Oktober vergangenen Jahres wegen seiner Davidstern-Kette antisemitisch beleidigt und ihm den Check-in verweigert habe. Ofarim hat stets auf seiner Version beharrt. Doch nach Auswertung von Uberwachungsvideos und mehr als 30 Zeugenaussagen ist sich die Staatsanwaltschaft sicher, dass sich der Vorfall >>tatsachlich so nicht ereignet<< habe.
Die ganze Sache ist verstorend: Kann das wahr sein? Hat Gil Ofarim alles nur erfunden, aus welchen Motiven auch immer? Der Sanger weist das vehement zuruck. Aber wenn die Staatsanwaltschaft recht hat, dann hatte sich Ofarim nicht nur selbst massiv geschadet, sondern auch dem wahren Kampf gegen Antisemitismus. Denn Antisemitismus bleibt ja ein reales Problem in Deutschland, daran andert die Affare Ofarim nichts. Doch sie ist eine Vorlage fur all die rechten Hetzer, die den Judenhass schon immer kleingeredet haben.
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