des Tages: Krieg in der Ukraine, Corona-Impfpflicht, Deutsche Bahn //
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
-
Angriffskrieg auf die Ukraine – Schrankt Russland die Attacken wirklich ein?
-
Corona – Hat die Impfpflicht noch eine Chance?
Advertisement -
Neuer Chef-Baumeister bei der Bahn – Wie viele Milliarden darf Berthold Huber investieren?
1. In Verhandlungen in Istanbul hat Russland heute angekundigt, die Kriegshandlungen in der Ukraine zu begrenzen – in geraumten Stadten berichten Zeugen von der Planlosigkeit der russischen Soldaten
Gibt es Anlass zu zaghaften Hoffnungen auf Frieden? In Istanbul haben die Ukraine und Russland heute erneut uber einen moglichen Waffenstillstand verhandelt. Eigenen Angaben zufolge will Moskau sein militarisches Vorgehen bei Kiew und Tschernihiw >>radikal<< begrenzen. Ebenfalls heute hat die Ukraine ein neues System fur Sicherheitsgarantien vorgeschlagen. Zu den Landern, die der Ukraine solche Garantien geben konnten, konnten die Turkei, Israel, Polen und Kanada gehoren. Die Garantien waren die Voraussetzung dafur, dass die Ukraine einem neutralen Status zustimmt. Das hiesse, dass es keine auslandischen Militarstutzpunkte im Land geben wird.
Mein SPIEGEL-Kollege Christoph Reuter berichtet aus der Stadt Trostjanez im Osten der Ukraine, die strategisch wichtig ist und von ukrainischen Truppen zuruckerobert wurde. In seiner Reportage schildert er halb zerfetzte Hauser, verbrannte Fabriken und vor Erleichterung weinende Menschen. Sie konnten kaum glauben, >>dass der Albtraum wirklich vorbei ist<<, schreibt Christoph. Am Freitagnachmittag waren die russischen Truppen auf der letzten freien Strasse Richtung Russland abgezogen. Zuvor hatten sie die Kurstadt mit ihren 20.000 Einwohnern schon in den ersten Kriegstagen besetzt.
Trostjanez und die vierwochige Besatzung der Stadt verschaffen dem Reporter einen Eindruck, >>wie aus einer planlos einrollenden Russentruppe innerhalb von Wochen eine morderische Soldateska wurde, die ihre Angst und ihre Wut uber ukrainische Gegenangriffe immer brutaler an der Zivilbevolkerung ausliess<<. Der Einmarsch der russischen Truppen nach Trostjanez war wohl improvisiert. Eigentlich hatten die Russen offenbar weiterrollen sollen Richtung Kiew. Nach der Sprengung einer grossen Brucke sudlich der Stadt durch die Ukrainer seien die Russen umgekehrt.
Die 300 bis 600 russischen Soldaten richteten im Polizeiprasidium, im Bahnhof und im Aerodrom, einem Behelfsflughafen fur Kleinflugzeuge, ihre Quartiere ein und verbarrikadierten sich. Bald gingen ihnen die mitgebrachten Armeerationen aus. Die Angriffe ukrainischer Drohnen auf ihre Stellungen begannen. Anfang Marz schalteten die Russen das Telefonfestnetz ab, legten die Stromversorgung lahm, ein Kalteeinbruch liess die Temperaturen auf minus 19 Grad fallen. Die Lage wurde unertraglicher fur Besetzte wie Besatzer.
Einer der Bewohner von Trostjanez erzahlte dem SPIEGEL-Reporter von seinen Gesprachen mit russischen Soldaten: >>Die wussten nicht einmal, warum sie uberhaupt hier waren.<>Sind wir schon in Kiew? Lebt Selenskyj noch?<<, der ukrainische Prasident.
Warum genau die verbliebenen russischen Truppen Freitag zusammenpackten und Trostjanez verliessen, blieb unklar. >>Gab es einen Befehl?<>Ist es nackte Flucht angesichts volliger Erschopfung und ausgehender Munition?<>als sei eine Horde Halbstarker mit Spruhdosen und Panzern hier eingefallen.<<
-
Lesen Sie hier die ganze Reportage: Diese Stadt haben die Ukrainer von den Russen befreit
Und hier weitere Nachrichten und Hintergrunde zum Krieg in der Ukraine:
-
Amnesty International dokumentiert Kriegsverbrechen in der Ukraine: Russland greife >>gezielt<< zivile Einrichtungen an und setze verbotene Waffen ein: Amnesty International wirft den Kremltruppen Kriegsverbrechen bei der Invasion in der Ukraine vor.
-
>>Es ist ein Zuruckgeworfenwerden in den Abgrund<<: Boris Romantschenko uberlebte die Schoa – dann totete ihn eine russische Rakete. Nun versuchen Helfer, andere betagte Holocaustuberlebende in der Ukraine zu retten. Warum ist das so schwierig?
-
Deutschlands ostliche Partner verlieren die Geduld: Ist Deutschland zu trage im Umgang mit Russland? Eindeutig, meinen die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien. Eine neue diplomatische Offensive soll das andern.
-
Ukraine befreit Vorort von Kiew, Russland bestreitet Atomwaffenplane – das geschah in der Nacht
-
Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine im News-Update
2. Bei hohen Corona-Infektionszahlen streitet die Politik uber eine Impfpflicht – die Virologin Melanie Brinkmann pladiert im SPIEGEL-Podcast stattdessen fur eine Aufklarungspflicht
Angesichts des Streits um die aktuell notigen Coronamassnahmen gehen mir ofter zwei Zeilen des klugen Dichters Heinrich Heine durch den Kopf. >>Leider mit Vergesslichkeit / Angefullt ist dein Gehirne<<, hat Heine geschrieben. Diese Zeilen scheinen mir ganz gut das Bedurfnis vieler Menschen zu charakterisieren, sich nach zwei von der Pandemie verschatteten Jahren nun lieber nicht mehr mit Coronasorgen beschaftigen zu wollen. Ist das schlau? Wohl eher nicht: Die taglich gemeldeten Infektionszahlen sind beunruhigend hoch, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat heute in Brussel fur eine EU-weite vierte Coronaimpfung fur alle Menschen ab 60 Jahren geworben.
>>Wir durfen nicht vergessen, dass die Covid-Pandemie nicht zu Ende ist in Europa. Wir haben sehr hohe Fallzahlen, wir haben leider auch sehr hohe Sterbezahlen<<, sagte Lauterbach. Trotzdem hat sich in Baden-Wurttemberg heute die dort regierende Koalition aus Grunen und CDU darauf verstandigt, die in einem Bundesgesetz vorgesehenen Hotspotregeln nicht anzuwenden – das bedeutet, dass von Sonntag an im deutschen Sudwesten in Innenraumen keine Masken mehr getragen werden mussen.
Meine Kollegin Yasemin Yuksel spricht im SPIEGEL Daily-Podcast mit der Virologin Melanie Brinkmann. >>Wir brauchen jetzt einen neuen Umgang mit diesem Virus<>Das ist ein etwas zu fruher Zeitpunkt. Ich hatte es fur sehr sinnvoll gehalten, gewisse Massnahmen noch aufrechtzuerhalten. Dazu zahlen ganz klar das Testen und auch das Maskentragen<<.
Wachsamkeit sei weiter wichtig, so Brinkmann. Die von der Berliner Politik diskutierte Impfpflicht beurteilt sie skeptisch. >>Ich bin fest davon uberzeugt, es bringt mehr, Menschen gut aufzuklaren und ihnen den Nutzen der Impfung zu erklaren<>Eine Aufklarungspflicht fande ich wichtig. Jeder, der nicht geimpft ist, muss einmal durch<< – durch ein fur alle ungeimpften Burgerinnen und Burger verpflichtendes Gesprach mit einem Arzt.
Meine Kollegin Yasemin sagt: >>Ich personlich bin nicht komplett gegen eine Impfpflicht, aber dem Gedanken eines verbindlichen Aufklarungsgesprachs kann ich schon was abgewinnen. Denn auch wenn es schwer nachvollziehbar ist bei allen Informationen auf diversen Kanalen: Es gibt in der Tat nach wie vor Menschen, denen die Impfung und die Impfstoffe Angst machen oder die vom Nutzen noch nicht uberzeugt werden konnten.<<
-
Lesen Sie hier mehr: >>Wir brauchen jetzt einen neuen Umgang mit diesem Virus<<
-
Treffen der EU-Gesundheitsminister: Lauterbach fordert vierte Coronaimpfung fur alle ab 60 in der ganzen EU
3. Berthold Huber soll einen wichtigen Job bei Deutschen Bahn ubernehmen: Als kunftiger Infrastrukturchef darf er viele Milliarden Euro in neue und alte Strecken investieren
Fur viele Menschen ist der einst als CDU-Politiker bekannt gewordene Manager Roland Pofalla der Bahn-Mann, der das umstrittene Projekt Stuttgart 21 verantwortet. Die Riesenbaustelle macht immer wieder durch extrem hohe Kosten-Vorhersagen Schlagzeilen. Heute wurde bekannt, wer den Posten mit dem hochtrabenden Titel Infrastrukturvorstand, den Pofalla bislang bekleidete, in Zukunft ubernehmen soll. Nach SPIEGEL-Informationen ist es Berthold Huber, der auch bisher schon in Diensten des Konzerns stand – als Personenverkehrsvorstand.
>>Huber soll dafur sorgen, die immer grosser werdende Bautatigkeit auf den Strecken der Bahn besser mit dem laufenden Betrieb zu koordinieren<<, schreiben die Kollegen Stefan Kaiser und Gerald Traufetter uber die Personalie. Pofalla, der in seiner Politikerkarriere unter anderem mal Angela Merkels Kanzleramtschef war, hatte Anfang Marz angekundigt, nach sieben Jahren bei der Bahn den Vorstand des Staatskonzerns zu verlassen. Der 62-Jahrige nannte dafur personliche Grunde. In seinem Bahn-Job war Pofalla fur die gesamte Infrastruktur aus Netz, Bahnhofen und Energieversorgung zustandig und konnte uber ein jahrliches Investitionsbudget in zweistelliger Milliardenhohe verfugen. Am Donnerstag stellt die Bahn ihre Bilanz fur das vergangene Jahr vor.
Ich staune oft daruber, wie ausgiebig und begeistert sich viele Deutsche uber den Staatskonzern Bahn zu emporen bereit sind. Konnen Manager wie Huber und Pofalla, die in fuhrenden Funktionen fur den nicht wirklich beliebten Konzern arbeiten, jenseits Ihrer Entlohnung uberhaupt viel gewinnen? >>Der Job, den Huber jetzt wohl ubernehmen soll, ist ganz sicher keiner, mit dem man sich zum Liebling der Bahnkunden macht<>Ein Infrastrukturvorstand muss bauen und sorgt damit fur Verspatungen.<>Bauen ist also wichtiger denn je.<<
-
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Berthold Huber soll Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn werden
(Sie mochten die >>Lage am Abend<< per Mail bequem in Ihren Posteingang bekommen? Hier bestellen Sie das tagliche Briefing als Newsletter. )
Was heute sonst noch wichtig ist
-
Habeck raumt Kartellwachtern mehr Kontrollmoglichkeiten ein: Raffinerien und Kraftstoffhandler mussen sich auf eine genauere Kontrolle durch das Kartellamt einstellen. Wirtschaftsminister Robert Habeck will so dafur sorgen, dass Verbraucher schnell von sinkenden Preisen profitieren.
-
Gedenken an Buchenwald-Befreiung ohne russische Regierungsvertreter: Im April wird wieder des Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald und Mittelbau-Dora gedacht. Vertreter von Russland und Belarus sind diesmal nicht willkommen.
-
Umweltministerium will Moore und Walder mit vier Milliarden Euro schutzen: Sie speichern Kohlenstoff und tragen zum Klimaschutz bei – doch viele naturliche Okosysteme sind bedroht. Die Regierung hat nun angekundigt, verstarkt in den Erhalt der Kohlenstoffsenken zu investieren.
-
Queen Elizabeth II. und Prinz Andrew nehmen an Gedenkgottesdienst teil: Im April 2021 starb Prinz Philip – kurz vor seinem 100. Geburtstag. Ihm zu Ehren wurde nun ein Gedenkgottesdienst abgehalten. Neben der Queen zeigte sich auch der in Ungnade gefallene Prinz Andrew.
-
Der Winter kommt zuruck: Der Fruhling muss noch einmal dem Winter weichen: Polarluft aus Skandinavien bringt Graupel- und auch Schneeschauer nach Deutschland. Am Wochenende wird es kalt.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
-
>>Fur blossen Protest muss man andere wahlen<<: Saugt die SPD jetzt die Linkspartei auf? Hier erlautert Generalsekretar Kevin Kuhnert, welche Schlusse er aus der Saarland-Wahl zieht und warum er kein Unterstutzer einer Coronaimpfpflicht ab 18 ist.
-
Warum ein Mann unbedingt allein im Wald wohnen will – aber nicht darf: Marc Freukes lebt seit acht Jahren als Aussteiger fernab der Zivilisation. Doch Behorden machen ihm Schwierigkeiten. Nun versteckt er sich.
-
>>Der Westen entscheidet uber Putins Bankrott<<: Jim O’Neill ist der Mann, der den Bric-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China rasantes Wachstum voraussagte. Hier erklart er, warum Putins Russland die Erwartungen nicht erfullt hat.
Was heute weniger wichtig ist
-
Gestrenger Tennisstar-Vater: Richard Williams, 80, Vater der Tennisspielerinnen Venus und Serena Williams, hat den Hollywoodschauspieler Will Smith fur dessen Oscar-Ohrfeige gerugt. Smith hatte den Komiker Chris Rock auf der Buhne der Preisverleihungsgala geschlagen und anschliessend einen Oscar in Empfang genommen – dafur, dass er in dem Film >>King Richard<>Wir kennen nicht alle Einzelheiten des Geschehens<<, liess Richard Williams nun einen Sprecher zu dem Vorfall verkunden, fur den sich Will Smith mittlerweile auch bei Chris Rock entschuldigt hat. >>Wir dulden nicht, dass jemand einen anderen schlagt, es sei denn, es ist Selbstverteidigung.<<
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: >>Die Oskar-Akademie pruft nun, ob sie Konsequenzen sie ziehen will und wenn ja, welche.<<
Cartoon des Tages: Der Traum vom Baren
Foto:
Thomas Plassmann
Und heute Abend?
Konnten Sie sich mal mit der herzerwarmenden Musik von Aldous Harding beschaftigen. Die Neuseelanderin, deren Songs ich gern hore, hat ein neues Album veroffentlicht, das den sehr apart klingenden Titel >>Warm Chris<< tragt. Mein Kollege Andreas Borcholte ist hingerissen und schwarmt uber >>sparsam mit Piano oder Gitarre instrumentierte Folksongs<>eine schrullige Songwriterin, die so schneidend wie eine Lederpeitsche sein kann, aber auch anschmiegsam und soft.<<
Einen schonen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Hobel
Hier konnen Sie die >>Lage am Abend<< per Mail bestellen.