Linke nach der Saarland-Wahl: Wie realistisch ist eine Refusion mit der SPD? //
Am Abend vor der Landtagswahl meldete sich Linken-Saar-Chef Thomas Lutze auf Facebook. >>Alles wird gut<>im Angebot<<, so Lutze. Von der einstigen Knappheit pandemiebedingter Hamsterkaufe ist nichts zu sehen.
Doch gut wurde dann gar nichts. Die Kuchenrollen? Taugen nur mehr zum Tranentrocknen. Keine 24 Stunden spater gab Lutze seinen Ruckzug vom saarlandischen Parteivorsitz bekannt.
Die Linken rutschten bei der Landtagswahl im Saarland massiv ab: Vor funf Jahren wurde die Linkspartei im Saarland mit 12,8 Prozent noch grosste Oppositionspartei – nun scheitert sie weit unter der Funfprozenthurde. Auf gerade mal 2,6 Prozent der Stimmen kommt die Partei noch, minus 10,2 Prozentpunkte: So drastische Verluste hatte es fur die Linke bei fruheren Landtags- und Bundestagswahlen noch nie gegeben.
Mit dem Saarland setzt die Linke nach der 4,9-Prozent-Niederlage bei der Bundestagswahl, bei der sie nur dank ihrer drei Direktmandate uberhaupt den Wiedereinzug ins Parlament geschafft hatte, ihren Abwartstrend fort. In den westdeutschen Flachenlandern ist sie nun nur noch im hessischen Landtag vertreten, ausserdem in Bremen und Hamburg. Im Osten verliert die Linke ebenfalls seit Jahren Stimmen.
>>Man wahlt keine zerstrittenen Parteien<<
Linkenchefin Susanne Hennig-Wellsow hatte den Schuldigen schon fruh am Abend ausgemacht, dabei aber nicht Landeschef Lutze im Sinn.
Gut eine Dreiviertelstunde nach den ersten Hochrechnungen trat sie am Sonntag vor die Kameras. Das Ergebnis sei >>wirklich bitter und ein Desaster<<, sagte sie. Schuld daran habe vor allem Oskar Lafontaine, ist sich Hennig-Wellsow sicher: >>Er weiss um seine eigene Verantwortung.<< Auch die Co-Vorsitzende Janine Wissler sprach am Montagmittag von einem >>desastrosen Ergebnis<<. Die Zerstrittenheit der saarlandischen Linken habe die Inhalte komplett uberlagert.
Lafontaine hatte sich mit mehreren Genossinnen und Genossen im Saarland uber die vergangenen Jahre heftige Auseinandersetzungen geliefert, nur zehn Tage vor der Wahl gab er seinen Parteiaustritt bekannt. Er hinterliess einen Landesverband in Trummern. >>Es ist wie es ist<>Man wahlt keine zerstrittenen Parteien.<<
Der Kleinkrieg in der saarlandischen Linken durfte tatsachlich einer der Hauptgrunde fur das Wahldebakel sein. Landeschef Lutze und der einstige Linken-Obere Oskar Lafontaine stehen sich seit Jahren feindlich gegenuber.
Lutze bezeichnet das Lafontaine-Lager als >>Clique<>Betrugssystem<< aufgebaut und sich mit den Stimmen bezahlter Mitglieder fur den Bundestag aufstellen lassen. Der Angegriffene weist diese Darstellung zuruck, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Urkundenfalschung war zu Jahresbeginn eingestellt worden.
Zersetzender Lagerstreit
Schon vor der Bundestagswahl 2021 hatten sich beide Seiten zerstritten. Es folgten mehrere Fraktions- beziehungsweise Parteiausschlusse gegen Mitglieder der jeweiligen Lager. Auch gegen Lafontaine selbst lief ein Parteiausschlussverfahren, weil er infolge des Streits im Bundestagswahlkampf dazu aufrief, die Partei nicht zu wahlen.
Im November spaltete sich schliesslich die Fraktion im saarlandischen Landtag auf. Wenig spater kurte der Landesverband Barbara Spaniol, eine Vertreterin aus dem Lutze-Lager, zur Spitzenkandidatin fur die Landtagswahl. Es war die endgultige Niederlage fur Lafontaine.
Der 78-Jahrige hatte das Saarland einst zur linken Hochburg gemacht und auch die Entstehungsjahre der Linken im Bund als Partei- und Fraktionschef entscheidend mit gepragt. Nach einer Krebserkrankung zog sich Lafontaine 2010 zuruck, blieb jedoch im Saarland Fraktionschef.
Seinen Parteiaustritt begrundete er nun neben der Fehde mit Lutze auch mit einer angeblichen Abkehr der Linken von ihren einstigen Idealen. >>Einer Partei, in der die Interessen der Arbeitnehmer und Rentner und eine auf Volkerrecht und Frieden orientierte Aussenpolitik nicht mehr im Mittelpunkt stehen<>will ich nicht mehr angehoren.<<
Renaissance eines Lafontaine-Plans
Der Rucktritt konnte nun ausgerechnet einen alten Lafontaine-Plan wieder reifen lassen, wenn auch unter andere Vorzeichen: eine Wiedervereinigung mit der SPD. Im Osten werden erste Stimmen nach einer Ruckkehr in die Sozialdemokratie laut. So hat sich etwa der Linken-Oberburgermeister von Frankfurt (Oder), Rene Wilke, hat sich bereits fur eine Fusion ausgesprochen.
1999 hatte Lafontaine der SPD den Rucken gekehrt, 2005 die Linke mit aufgebaut. Seit Langerem traumte er jedoch von einer Ruckkehr, sah allerdings zu wenig programmatische Nahe zwischen SPD und Linken fur einen Zusammenschluss.
Auch im Willy-Brandt-Haus war eine Annaherung an die Linke lange Zeit ein No-Go, zumindest so lange Lafontaine noch ein Parteibuch fuhrt. Nun konnte die Schwache der Linken den Plan doch noch real werden lassen, mit einem Aufgehen der Partei wahlweise bei SPD oder Grunen.
Im Linken-Parteivorstand selbst halt man solche Spiele fur Hirngespinste. Zu gross sind die politischen Graben, zu verschieden die Vorstellung davon, was linke Politik ist. >>Hautungen<<, also der Weggang weiterer Genossinnen und Genossen aus dem zerstrittenen Lagern, die erwartet man im Vorstand indes schon.
Auch der Politikwissenschaftler und Linkenexperte Gero Neugebauer kann sich eine Refusion derzeit nicht vorstellen. >>In der Partei fordern Einzelne seit Jahren eine Neuausrichtung<>ohne dass am Ende was passiert<>Am Ende rutscht die Partei in die Bedeutungslosigkeit<<, so Neugebauer.
>>Ich hatte mir mehr Hilfe gewunscht<<
Auch der saarlandische Noch-Landeschef Lutze macht die Wahlniederlage nicht nur an seinem Streit mit Lafontaine fest – sondern sieht eine Teilschuld in Berlin. >>Der Partei schien es wichtiger, uber Sahra Wagenknecht zu diskutieren, als dem Saarland zu helfen<>Top 3<>Ich hatte mir mehr Hilfe gewunscht.<<
Der Vorwurf ist nicht neu: Den Altlinken ist ihre einstige Friedenspartei zu grun geworden, Identitatspolitik und Klimaschutz hatten den Klassenkampf abgelost. Den Progressiven bleibt die Partei zu sehr mit sich selbst – und den Ewiggestrigen – beschaftigt.
Zuletzt hatte der Streit uber die richtige Haltung im Ukrainekrieg die Partei aufgewuhlt. Zwar hatten Parteivorstand und Fraktionsspitze in seltener Einigkeit den von Kremlchef Wladimir Putin befohlenen Angriff auf die Ukraine als >>volkerrechtswidrig<< verurteilt – schnell beeilte sich das Lager um Sahra Wagenknecht jedoch, auch eine Teilschuld der Nato herbei zu fabulieren. Zuletzt hatten gar Teile des Altestenrates der Linken kurzzeitig der Ukraine die Souveranitat abgesprochen und den Krieg zwischen zwei Landern als >>Burgerkrieg<< abgetan. Die verschrobene Sichtweise hatte selbst in der Partei fur Emporung gesorgt.
Verschleppter Neuanfang
Solche Scharmutzel sind bei der Linken an der Tagesordnung, seit Jahren hangt die Partei im Richtungsstreit fest. Vor gut einem Jahr wollte die Linke mit der Wahl von Hennig-Wellsow und Wissler als neue weibliche Doppelspitze einen Neuanfang wagen. Dieser Neuanfang zieht sich seither wie Kaugummi. Wissler muhte sich am Tag nach der Wahl, die Relevanz der Linken zu betonen. Die Ampel brauche den >>Druck von links<<, ihre Partei habe da aber ihre Rolle noch nicht gefunden. Kunftig musse man deutlicher machen, wofur die Linke steht.
Dass der Inhalt unter all den Streitereien kaum noch gehort wird, wird der Linken dabei als Problem erhalten bleiben. Hennig-Wellsow nennt das >>Vielstimmigkeit<<, wie die Linke lernt, mit einer Stimme zu sprechen, sagt sie aber nicht.
Ihre Analyse der Saar-Niederlage – >>man wahlt keine zerstrittenen Parteien<< – sie konnte sich fur kommende Wahlen daher fortsetzen.
In wenigen Wochen wahlen die Burgerinnen und Burger in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen neue Landtage. In den Sonntagsfragen der Umfrageinstitute liegt die Linke aktuell je unter der Funfprozenthurde.