Seine FFP2-Maske tragt der Gesundheitsminister so, dass sie ihm das Ohr zusammenfaltet. In den Wanden seines kahlen Buros stecken noch die Dubel der Bilder seines Vorgangers Jens Spahn. Und wenn der Minister dann einmal rauskommt zum Essen, bestellt er sich im Ristorante >>Il punto<>mit irgendeinem Gemuse obendrauf, aber senza sale<<. Ohne Salz. Das ist wichtig.
Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsminister und fur Burgerinnen und Burger das Gesicht dieser Pandemie, will sich uber Inhalte definieren, nicht uber die Form. Wie schwer es einem Fachpolitiker wie ihm fallt, im Machtkampf mit der FDP den eigenen hohen Anspruchen treu zu bleiben, zeigt die WDR-Dokumentation >>Konfrontation – Markus Feldenkirchen trifft Karl Lauterbach.<<
Nach Armin Laschet und Robert Habeck hat SPIEGEL-Autor Feldenkirchen nun den Bundesgesundheitsminister auf beruflichen wie privaten Terminen begleitet – und ihn spater im Studio mit den Filmen und seinen Eindrucken konfrontiert.
Steigende Corona-Zahlen und der Krieg
Der einstundige Film zeichnet das Portrat eines Gesundheitsministers in einer Zeit, in der eine Grosskrise die nachste jagt. Zwar sucht Lauterbach nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fruh die Offentlichkeit. Als erstes Kabinettsmitglied macht er sich am Berliner Hauptbahnhof ein Bild von den Fluchtlingen aus der Ukraine. Sein Ministerium koordiniert Patiententransporte, die Gesundheitsversorgung in der Ukraine. Und doch muss Lauterbach dabei zusehen, wie jene Krise, die ihn gross gemacht hat, in den Hintergrund ruckt: Corona.
Die Einsicht, dass es zutiefst menschlich ist, nicht zwei Krisen auf einmal beachten zu konnen, muss bitter sein fur ihn: >>Ich glaube, dass die steigenden Corona-Zahlen auch mit dem Krieg zu tun haben. Weil die Menschen sich auf den Krieg konzentrieren und den Eindruck haben, Corona gibt es nicht mehr<<, sagt Lauterbach.
Arger mit Marco Buschmann
In Wahrheit ist Corona gerade verbreiteter als je zuvor, und keiner glaubt das besser zu wissen als Lauterbach. Er, der Experte und Wissenschaftler, der einigen, auch Ampel-internen Widerstanden zum Trotz Minister geworden ist.
Dass die FDP dieser Koalition angehort, wird gerade fur Lauterbach zunehmend zum Problem. Das zeigt vor allem das umstrittene neue Infektionsschutzgesetz, die erste Niederlage des neuen Gesundheitsministers. Am Tag vor der entscheidenden Kabinettssitzung, man sieht das im Film, sitzt Lauterbach in Dresden, will eigentlich mit Impfskeptikern ins Gesprach kommen, als der Streit mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) eskaliert.
Der Konflikt: Trotz Inzidenzen in Rekordhohe soll die Ampel weitreichende Lockerungen beschliessen. Lauterbach muss das Gesetz verteidigen, von >>Kompromiss<>Balance<< sprechen. Das sind keine lauterbachschen Vokabeln. Im Film wirkt er denn auch angeschlagen, gibt sich wenig Muhe, seine Enttauschung zu verbergen.
Als SPIEGEL-Autor Feldenkirchen spater Lauterbach die Filmsequenzen dieses turbulenten Tages im Studio zeigt und ihn auf seine Kehrtwende anspricht, wiederholt dieser freudlos die Argumente des Justizministers. Solange die Gefahr nur noch von einigen wenigen Ungeimpften ausgehe, konnten der Mehrheit nicht scharfere Massnahmen auferlegt werden. >>Mit dieser Position mag man nicht einverstanden sein. Das ist eine rechtliche Bedingung gewesen. Die kann ich als Gesundheitsminister nicht in Frage stellen.<<
An diesen Stellen wirkt Lauterbach fast ein wenig resigniert. Dann aber Flucht nach vorn, der Bundesminister fordert die Lander auf, aus der >>Schmoll-Ecke<>das bringt doch gar nichts<<, um dann fur die Impfpflicht zu werben, die aus seiner Sicht noch kommen werde: >>Ich tue alles dafur.<<
Im falschen Raum
Karl Lauterbach kam als Wissenschaftler und damit als Aussenseiter in die Bundespolitik. Mit seiner Akribie ging er seinen Kolleginnen und Kollegen schnell auf den Geist.
Karl sei kein Teamplayer, sagt der Genosse Jens Singer im Film, der sich 2005 wie Lauterbach um die SPD-Direktkandidatur im Wahlkreis Leverkusen – Koln IV bewarb.
An diesem Punkt reicht es Lauterbach. Angesauert druckt er den schwarzen Buzzer und unterbricht so die Wiedergabe des Films. >>Wenn man ihn so reden hort, den Kollegen, dann kann man fragen: Warum hat er dann gegen mich verloren?<<, poltert er, um dann hinzufugen, dass Singer die Niederlage wohl noch nicht verschmerzt habe.
Etwas spater im Film, beim Tischtennis-Spielen mit seinem Freund Gunther Wallraff in Koln, lasst Lauterbach einen Spruch fallen, der sein Verhaltnis zu anderen noch deutlicher macht: >>Wenn man der Klugste im Raum ist, ist man im falschen Raum.<<
Dann spielen sie weiter. Lauterbach ubrigens verweigert das Spiel um Punkte, das Wallraff immer wieder anregt. Begrundung: Es gehe bei ihm beruflich ohnehin schon immer ums Punkte machen, ums Gewinnen. Da wolle er privat einfach mal entspannt spielen. Und entspannt verlieren, so scheint es.
Kampfen kennt Lauterbach. Beim Besuch seines Heimatdorfs Oberzier westlich von Koln wird klar, warum. Lauterbach erzahlt, wie schwer es fur ihn war, nur fur die Hauptschule empfohlen worden zu sein, obwohl er hervorragende Noten hatte.
Lauterbach vermutet, dass die Herkunft seiner Eltern – Vater Molkereiangestellter, Mutter Hausfrau – Schuld daran war. Diese Ungleichbehandlung und eine schwere medizinische Fehldiagnose in jungen Jahren pragten und motivierten ihn – auch fur sein Studium, das ihn bis nach Harvard fuhrte.
Dass er dann doch nicht Arzt, sondern Politiker wurde, erklart Lauterbach so: >>Der einzelne Arzt macht einen wichtigen Unterschied, aber das System ist oft das Problem. Diese Erkenntnis hatte ich sehr fruh, als ich in Amerika war.<<
Seinen politischen Aufstieg verdankt Karl Lauterbach bekanntlich auch Fernseh-Talkshows. In der ersten Phase der Pandemie war er dort Dauergast. Er, der vor der Maske bisweilen aussieht wie ein Kranich auf der Mauser, fuhlt sich auf den Sesseln bei >>Maischberger<>Markus Lanz<>Anne Will<>Das Buffet hat massiv nachgelassen.<>Beeren-Teller<< bei Markus Lanz.
Mittlerweile gehe er nur noch in Talkshows, wenn er eine Botschaft zu platzieren habe, etwa einmal pro Woche. Seinen Beratern ist das immer noch zu viel. Die WDR-Produktion zeigt ihn bei seinem Auftritt bei >>Maischberger<>Diese alte Leier.<<
Die Sendung >>Konfrontation – Markus Feldenkirchen trifft Karl Lauterbach<< lauft heute Abend um 22.50 Uhr in der ARD.