ine-Krieg: EU-Staaten liefern sich Grabenkampf um Energiepreise //
Der Westen will derzeit vor allem Geschlossenheit gegenuber Kremlchef Wladimir Putin zeigen. Doch beim EU-Gipfel zeigte sich: Wenn es ums Geld geht, wackelt die Einheitsfront.
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Eigentlich ware der Freitag ein Feiertag fur die EU gewesen. Unter anderen Umstanden, sagte Kanzler Olaf Scholz nach dem zweitagigen Gipfel-Marathon in Brussel, >>konnten wir zu dieser Zeit ein Jubilaum feiern<<. Auf den Tag genau vor 65 Jahren wurden die Romischen Vertrage unterzeichnet, der Grundstein der EU.
Normal aber ist derzeit wenig, schon gar nicht in der EU.
Brussel hat am Donnerstag und Freitag einen beispiellosen Gipfel-Marathon erlebt: Am Donnerstag ein Treffen der Nato mit US-Prasident Joe Biden, bei dem sich das Verteidigungsbundnis angesichts des russischen Uberfalls auf die Ukraineso entschlossen und einig zeigte wie seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr. Unmittelbar danach fand im Nato-Hauptquartier ein G-7-Gipfel statt, anschliessend eilte Biden zum EU-Gipfel ins Brusseler Europaviertel.
Auch dort gab es Einigkeitsschwure, die Europaer sonnten sich im Glanz des ersten Besuchs eines US-Prasidenten bei einem Europaischen Rat. Am zweiten Tag des Gipfels aber – Biden war langst Richtung Polen weitergereist – zeigte sich: Geht es ums Geld, ist es mit der Harmonie in der EU schnell vorbei, Ukrainekrieg hin oder her.
Russlands Uberfall auf die Ukraine hat in Europa die Energiepreise explodieren lassen. In Frankreich befurchtet man neue Unruhen wie bei den Gelbwesten-Protesten von 2018 und 2019, in Spaniens Hauptstadt Madrid haben allein am vergangenen Wochenende rund 150.000 Menschen gegen die hohen Energiepreise demonstriert.
EU im Energiepreis-Dilemma
Die EU sturzt das in ein Dilemma. Ihre Mitgliedslander sind uber den EU-Binnenmarkt, der auch den Energiemarkt umfasst, eng miteinander verflochten. Das macht nationale Sonderwege im Kampf gegen die Preisexplosion nahezu unmoglich. Der Energiemix aber fallt in die Verantwortung der Lander, entsprechend gross sind die Unterschiede. Schweden etwa bezieht rund 42 Prozent seiner Primarenergie aus erneuerbaren Quellen, Polen ganze sechs Prozent. Frankreich versorgt sich zu 37 Prozent aus Atomkraftwerken, Deutschland nur zu funf Prozent.
Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez
Foto by STEPHANIE LEOCQ / EPA
Das racht sich nun im Kampf gegen die rasant steigenden Preise. Fast neun Stunden lang debattierten die Staats- und Regierungschefs uber Massnahmen gegen explodierenden Energiepreise – und einigten sich am Ende auf einen fur Brussel typischen, wachsweichen Kompromiss.
Die Konfliktlinien waren schon vorher klar. Seit Tagen hatten sudliche EU-Lander wie Spanien, Italien und Griechenland dafur lobbyiert, die Energiepreise in der EU zu deckeln oder auf andere Weise in den Markt einzugreifen – was Deutschland, die Niederlande und einige andere Lander strikt ablehnten.
Die EU-Kommission hatte vor dem Gipfel einen ganzen Strauss von Massnahmen prasentiert, um die hohen Stromkosten zu drucken. Von Subventionen und neuen Steuern auf die Extragewinne von Energieerzeugern war die Rede, von Zuschussen fur besonders betroffene Haushalte und energieintensive Branchen. Lauter gut gemeinte Ideen, die im vornehmlich national organisierten Energiesystem der Staatengemeinschaft nur einen Nachteil haben: Was in einem Staat sinnvoll sein mag, ist in einem anderen schadlich. Und so hatten sich die Fachbeamten auf den Vorschlag festgelegt, keinen Vorschlag zu machen.
Doch damit wollte sich der spanische Regierungschef Pedro Sanchez nicht zufriedengeben. Er legte der Runde ein kurzes Papier mit einem vermeintlichen Patentrezept fur die gesamte Staatengemeinschaft vor.
Die EU musse den Preis von Gas deckeln und Staaten mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien erlauben, das Wirken von Angebot und Nachfrage auf den Strommarkten abzuschaffen, so der Vorschlag aus Madrid. Der Strompreis durfe vom Gaspreis >>entkoppelt<>mehr als 45 Prozent<< betragt. Praktisch aus Sanchez' Sicht: In Spanien liegt der Anteil bei gut 46 Prozent.
Auch sonst hatte das Modell fur Spanien erheblichen Charme. Das Land konnte seine derzeit hochprofitablen Wind- und Sonnenkraftwerke mit hohen Steuern belegen, um seine Gaskraftwerke zu subventionieren. Das konnte helfen, den Strompreis niedrig zu halten. In Staaten wie den Niederlanden dagegen, die besonders viele Gaskraftwerke betreiben, ware das kaum bezahlbar. Dort wurde der Strompreis eher hoher liegen.
Im EU-weiten Wettbewerb um Industrie-Ansiedlungen und Arbeitsplatze ware das ein betrachtlicher Nachteil. Es ware >>die Losung eines spanischen Problems mit europaischen Mitteln<<, atzten EU-Diplomaten.
Kein Wunder, dass viele nordeuropaische Lander das spanische Konzept entschieden ablehnten. Sanchez verliess zwischenzeitlich gar wutentbrannt den Sitzungssaal, wie Diplomaten berichteten. >>Es gibt einige, die haben sehr entschiedene Vorstellungen<<, was Markteingriffe betreffe, kommentierte Scholz spater trocken.
Jeder bekommt etwas – auch Sanchez
Geholfen hat Sanchez das Schauspiel wenig. Den Gaspreisdeckel oder andere grossere Markteingriffe konnte er nicht durchsetzen. Stattdessen einigten sich die Staats- und Regierungschefs unter anderem auf >>freiwillige gemeinsame Kaufe von Gas, Flussiggas und Wasserstoff<<, um die Preise in den Griff zu bekommen.
Brussel aber ware nicht Brussel, wenn Sanchez nicht doch etwas bekommen hatte, das er zu Hause als Erfolg verkaufen kann. So ist im Gipfel-Kommunique von >>vorubergehenden Notmassnahmen<< die Rede, mit denen die Wirkung der Preise fossiler Energien wie Gas auf die Stromproduktion gemildert werden konnten. Es ware wohl so etwas wie eine Light-Version der von Spanien geforderten Entkopplung von Gas- und Strompreis. Auch die Stromtarife fur Verbraucher und Firmen sollen mit diesen Massnahmen reduziert werden konnen.
Das alles soll aber nur erlaubt sein, wenn es im Einklang mit den EU-Vertragen steht und das >>gemeinsame Interesse<< aller EU-Staaten nicht beschadigt. Mit anderen Worten: Spanien darf ein wenig gegen die Grundsatze des Binnenmarkts verstossen, aber nur so sehr, dass dieser keinen allzu grossen Schaden nimmt. Daruber wachen soll laut dem Gipfel-Dokument die EU-Kommission.
Deren Chefin Ursula von der Leyen konnte derweil einen echten Fortschritt verkunden. Gemeinsam mit US-Prasident Biden war sie am Donnerstag vor die Kameras getreten und hatte einen rapiden Ausbau amerikanischer Flussiggas-Lieferungen nach Europa angekundigt.
Schon in diesem Jahr sollen Spezialtanker rund 15 Milliarden Kubikmeter Gas uber den Atlantik bringen; genug, um samtliche Speicher in Europa zu fullen. In einigen Jahren soll die US-Gasmenge dann auf 50 Milliarden Kubikmeter steigen. Etwa ein Drittel des europaischen Gasbedarfs wurde dann aus Amerika gedeckt. >>Das<>wird das Flussiggas ersetzen, das wir bislang aus Russland bezogen haben.<<
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