Selbst in der Unionsfraktion waren die meisten von dem uberrascht, was ihr Vorsitzender am Mittwochmorgen im Bundestag gegenuber der Ampelkoalition ankundigte. >>Wenn wir uberhaupt zu einer Grundgesetzanderung kommen, dann fullen wir das in der Weise auf, dass dann eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt<<, sagte Friedrich Merz mit Blick auf das geplante Sondervermogen zur Aufrustung der Bundeswehr. Der CDU-Chef fugte hinzu: >>Sie werden mit jedem einzelnen Abgeordneten hier Ja sagen mussen.<<
Die Abgeordneten von CDU und CSU horchten in diesem Moment genauso auf wie die von SPD, Grunen und FDP, allen voran aber Kanzler Olaf Scholz. Der Regierungschef hatte vor drei Wochen angekundigt, als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr investieren zu wollen. Dabei war seine gut begrundete Annahme, dass die Ampelkoalition fur die Finanzierung uber ein Sondervermogen, fur das es einer Anderung des Grundgesetzes mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat bedarf, auf die Unterstutzung der Union bauen kann.
Fraktionschef Merz stellte das seinerzeit auch umgehend in Aussicht. >>Wir werden das unterstutzen und nicht im Kleinen herummakeln<<, sagte er. Merz hat bislang die Meinung vertreten, dass sich in diesen Zeiten Haudrauf-Opposition verbietet, er spricht aktuell gern von der staatspolitischen Verantwortung der Union, auch wenn sie nicht mehr regiere.
Seine Ankundigung vom Mittwoch passt allerdings nicht zu diesem Kurs. Merz macht plotzlich doch Kleinklein, in dem er der Koalition damit droht, nur exakt so viele eigene Abgeordnete fur die Grundgesetzanderung votieren zu lassen wie es sie fur eine Zweidrittelmehrheit im Parlament braucht, wenn alle Parlamentarier der Ampelfraktionen entsprechend abstimmen.
Abgesehen von den praktischen und verfassungsrechtlichen Fragen, die sich dabei stellen, tut Merz genau das, was SPD-Chef Lars Klingbeil ihm anschliessend vorwarf: Er versucht ein taktisches Spielchen – und widerspricht sich damit selbst.
Andererseits zeigt Merz auf – und das darf auch in Krisenzeiten Aufgabe des Oppositionsfuhrers bleiben -, wie wacklig die Position des Bundeskanzlers an dieser Stelle ist. Die Drohung des Unionsfraktionschefs sorgt ja nur deshalb fur so grosse Aufregung in der Koalition, weil er das Dilemma des Kanzlers fur alle sichtbar macht: Scholz hat fur seine Idee nicht die Unterstutzung aller Ampelabgeordneten (bis hin zu fuhrenden Kraften in den Fraktionen), und er kann deshalb am Ende auch nicht mit allen Stimmen der Koalition rechnen.
Scholz machte den Rahmen angesichts der eigenen Schwache lieber richtig gross
Dass es selbst mit einer einfachen Mehrheit im Parlament knapp werden konnte, durfte dem kuhlen Strategen Scholz schon klar gewesen sein, als er die 100-Milliarden-Investition in die Bundeswehr im Bundestag ankundigte. Dann lieber den Rahmen richtig gross machen, um den internen Dissens zu ubertunchen – auch deshalb durfte er auf die Idee mit dem Sondervermogen gekommen sein, abgesehen von den haushaltspolitischen Vorteilen.
Es ist richtig, dass der Kanzler die Zeitenwende dieser Tage fur massive Korrekturen in der Aussen- und Sicherheitspolitik des Landes nutzt. Dass dies zu Friktionen seiner Dreierkoalition fuhrt – zuletzt erkennbar auch beim Streit uber ein neues Entlastungspaket, der am Ende offenbar nur in einer Nachtsitzung aufgelost werden konnte -, ist wenig uberraschend, aber hochst problematisch fur Scholz.
Die Koalition muss alle Kraft aufwenden, wenn sie das Land durch diese unruhigen Zeiten bringen will, vor allem aber ihr Kanzler ist gefragt. Sich auf die Union zu verlassen, reicht dabei nicht.